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Das Parlament
Nr. 26 / 21.06.2004

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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Matthias Lohre

Das Attentat als moralische Dimension gegen die Machthaber

Kontroverse um Ziele und Charaktere der Verschwörer des 20. Juli

Stauffenberg hat Konjunktur. 60 Jahre nach dem Hitler-Attentat interpretieren Fernsehfilme, Theaterstücke und Romane die Ereignisse des 20. Juli 1944. Wer Claus Schenk Graf von Stauffenberg war, was er wollte und was er bewirkt hat - darüber gehen die Meinungen weit auseinander. Ob Vorkämpfer der Menschenrechte, Militarist oder Romantiker: Jede Seite streitet für ihre Sicht. Ein Ende der Kontroversen ist nicht in Sicht.

Einige Sekunden lang bleibt es still auf der Bühne. Erst dann setzt der Applaus ein, freundlich, aber verhalten. Fast so, als hätten die Premieren-Gäste Mitleid mit den Schauspielern, die sich auf der Bühne des Berliner Schiller-Theaters verneigen. Zweieinhalb Stunden lang haben die Akteure schreiend, flüsternd und singend "Stauffenberg - Die Tragödie des 20. Juli 1944" aufgeführt. Der Saal scheint sich einig zu sein: Die Theatertruppe hat wirklich versucht, etwas aus dem Stück zu machen, das 20 Jahre lang unaufgeführt geblieben ist. Aber Autor, Regisseur und Schauspieler sind am Thema gescheitert. Zwischen schwülem Opferpathos und Chaplin-Farce ist ihre Geschichte zerrieben worden. Die Geschichte, die sie doch so eindringlich erzählen wollten: Aus welchem Antrieb Oberst Schenk Claus Graf von Stauffenberg an diesem Sommertag des Jahres 1944 handelte, und mit welchem Ziel. Doch nicht nur nach diesem Theaterstück bleibt die Öffentlichkeit ratlos zurück.

Bis heute blicken die Deutschen mit gemischten Gefühlen auf diesen 36-jährigen Wehrmachts-Offizier aus schwäbischem Adel, der noch am Abend des 20. Juli 1944 vor einem Erschießungskommando im Hof des Bendler-Blocks in Berlin starb, angeblich die Worte "Es lebe das heilige Deutschland" auf den Lippen. Doch welches Deutschland wollten Stauffenberg und seine Mitverschwörer aufbauen? Und kann diese Tat die Nachfolgenden etwas lehren über Deutschland, Verrat, Ehre, Mut und Moral? Über die Antworten streiten Publizisten und Künstler bis heute.

Zum 50. Jahrestag des Attentats herrschte in der deutschen Öffentlichkeit weitgehend Sprachlosigkeit. Als sich damals der Publizist Joachim Fest daran machte, seine Geschichte vom "Staatsstreich - Der lange Weg zum 20. Juli" zu schreiben, sah er um sich herum außer einem Lexikon zum Widerstand kaum Neuveröffentlichungen auf dem deutschen Buchmarkt. Das Attentat war noch vor zehn Jahren abseits politischer und publizistischer Kreise kein Thema. Bis heute, kritisiert der Historiker Joachim Fest, respektierten die Deutschen den Widerstand gegen das NS-Regime nicht genug. Langsam ändert sich das. Der zeitliche Abstand zum Geschehen erlaubt einen offeneren Blick auf die Ereignisse. Pünktlich zum 60. Jahrestag nehmen sich neben Theaterstücken auch Bücher und Filme Stauffenbergs und anderer Nazi-Gegner an. Augenfälligster Beweis für das gewachsene Interesse: der SWR-Fernsehfilm "Stauffenberg" von Regisseur Jo Baier. 7,58 Millionen Zuschauer machten die Erstausstrahlung im Februar zum Quotenerfolg. Der Historiker Gerd R. Ueberschär schrieb das Buch zum Film: "Stauffenberg - Der 20. Juli 1944". Kurz darauf legte das ZDF nach: mit der vierteiligen Dokumentation "Sie wollten Hitler töten" aus der Guido-Knopp-Schmiede und einem gleichnamigen Buch. Zur selben Zeit füllen die Neuauflagen mehrerer Sachbücher die Verkaufsregale: Joachim Fests "Staatsstreich" etwa, oder die Biografie "Claus Schenk Graf von Stauffenberg" des Historikers Peter Hoffmann. Dabei geraten Fiktion und historische Darstellung immer wieder aneinander. Je populärer das Stauffenberg-Thema wird, desto mehr Verkürzungen und Pauschalierungen drohen, wenn die gesamte Widerstands-Geschichte in wenigen Fernsehstunden erzählt wird. Die Handlungen stehen oft ohne Bezug im Raum, Stauffenbergs Motive bleiben nebulös. Ein Held ohne Hintergrund. Stauffenberg-Biograf Hoffmann sorgte mit seiner Distanzierung zum Fernsehfilm von Jo Baier für Aufsehen. Ein Kritikpunkt: Der Film-Stauffenberg wirke, "als habe er den Massenmord an den Juden nie spezifisch und ausdrücklich verurteilt." Dabei sei das Gegenteil belegt. Baier hatte Hoffmann und andere Historiker kontaktiert, um für die Filmhandlung wissenschaftlichen Segen zu bekommen. Dafür wollte der Autor des Sachbuchs "Stauffenberg und der 20. Juli 1944" seinen Namen aber nicht hergeben.

Nicht nur die Charaktere, auch die Ziele der Verschwörer werden bis heute heftig diskutiert. Für den Historiker Joachim Fest etwa ist das Attentat zu diesem späten Kriegs-Zeitpunkt eine symbolische Tat, "eine moralische Dimension, wenn man so will, um zu zeigen, dass sich nicht alle nur wie die Lämmer zur Schlachtbank haben führen lassen." Doch auch solche Äußerungen können nicht vergessen machen, dass die Zukunftshoffnungen der Attentäter wenig mit heutigem Demokratieverständnis zu tun hatten. Noch im ersten Kriegsjahr schrieb der junge Oberleutnant Stauffenberg seiner Frau Nina aus dem besetzten Polen: "Die Bevölkerung ist ein unglaublicher Pöbel, sehr viele Juden und sehr viel Mischvolk. Ein Volk, welches sich nur unter der Knute wohlfühlt. Die Tausenden von Gefangenen werden unserer Landwirtschaft recht gut tun." Sätze wie dieser machen es Theater- und Buchautoren schwer, ihrem heutigen Publikum ein korrektes und zugleich sympathisch-demokratisches Bild Stauffenbergs zu präsentieren.

Mit zum Teil bizarren Folgen: Beim Theaterstück "Stauffenberg - Die Tragödie des 20. Juli 1944" verfestigt sich das Stauffenberg-Bild zum einsilbigen Monument der Entschlossenheit: Ein Mann muss tun, was ein Mann tun muss. Am Ende geht er, in Weiß gewandet, stumm seinem Opfertod entgegen. Und Jo Baiers Fernsehfilm "Stauffenberg" kann sich nicht entscheiden, ob er Stauffenberg heilig sprechen oder zum Kumpel-Typ für heutige Fernsehzuschauer machen will. Einerseits verordnet Baier seinem Helden trockenen Humor: Auf die Frage eines Offiziers, ob er, Stauffenberg, kurz unter vier Augen zu sprechen sei, antwortet der: "Das wird schwierig. Ich habe nur eins." Auf der anderen Seite entschwindet der Held auch hier in einsame Höhen. Während SS-Truppen schon das Büro der Verschwörer stürmen, hat Stauffenberg-Darsteller Sebastian Koch noch die Zeit für einen Monolog in aller Stille: "Ich hatte einen Traum…".

Verdammung und Seligsprechung. Zwischen diesen Polen hat sich die schier endlose Debatte über die Hitler-Attentäter lange bewegt. Deren Gräben verlaufen seit 60 Jahren quer durch Deutschland. Ein Rückblick: Bis in die frühe Bundesrepublik hallte Hitlers Parole von der "ganz kleinen Clique ehrgeiziger Offiziere" nach. Der Vorwurf des Vaterlandsverrats ging bald in Verdrängung über. In der Bundesrepublik machte die Westbindung die Attentäter schnell wieder hoffähig, und auch die anfangs heftig umstrittene Bundeswehr fand in den Wehrmachtssoldaten um Stauffenberg willkommene Taufpaten. Die DDR hingegen kanzelte die Frauen und Männer des 20. Juli nach anfänglichem Lob ab als Großbourgeois, Junker und nationalkonservative Hardliner. Zeitgleich ging der kommunistische Widerstand auf im Gründungsmythos des Arbeiter- und Bauernstaates: hier das Land der Opfer und Widerständler im Nazireich, dort das Land der Täter, das man sich mit einem "antifaschistischen Schutzwall" vom Leibe halten müsse. Im Gegenzug blieb das Gedenken in Westdeutschland lange auf die militärischen Planer eingeengt. Ihre Verbindungen zu Gewerkschaftern und Kommunisten fanden wenig Beachtung.

Erst seit der Wiedervereinigung nähern sich die Geschichtsbilder der Menschen aus Ost und West einander an. So haben nicht nur Gewerkschaftsvertreter wie Frank Bsirske bis heute ein mulmiges Gefühl beim Gedanken an die Herkunft mancher Widerständler: "Die Nationalkonservativen hatten nichts gegen die Verhaftung der Linken und die Vorbereitung des Weltkriegs." Für den Ver.di-Chef ist die Erinnerung an den 20. Juli denn auch "biografisch eher eine Geschichte der Distanz, nicht der Nähe." Doch die Sympathie wächst: Die Dienstleistungsgewerkschaft ist Hauptsponsor des Stauffenberg-Theaterprojekts, das im Juni das Gelände des ehemaligen Reichssicherheitshauptamts bespielte. Aufführungen an der "Wolfsschanze" und dem Nürnberger Reichsparteitagsgelände sollen folgen.

Vielleicht hat der dänische Schriftsteller Stig Dalager einen Weg gefunden, wie aus der Helden-Statue wieder ein Mensch werden kann. Pünktlich zum 60. Jahrestag erscheint Ende Juni die deutsche Übersetzung seines Romans "Zwei Tage im Juli". Die Tage rund um das Bombenattentat werden hier aus zwei Perspektiven erzählt - Stauffenbergs und Hitlers. Dalagers "Führer" sehnt sich wehleidig nach dem eigenen Tod. Parallel dazu geht der Romantiker Stauffenberg in seiner selbst gewählten Rolle auf, "in der Größenwahn, Fanatismus und Verachtung für Adolf Hitler Hand in Hand gehen müssen, um Widerstand gegen ihn erfolgreich bündeln zu können." Stauffenberg, der Besessene. Das Bild, das dabei von ihm entsteht, ist weniger heroisch oder sympathisch als das derzeit gepflegte. Aber vielleicht genau darum glaubhafter.

Matthias Lohre

"Sie wollten Hitler töten": 4tlg. Dokumentation,

ab 02.07. freitags 20:15 Uhr auf 3Sat,

ab 03.07. samstags 20:15 Uhr auf Phoenix

"Stauffenberg" - Der Film von Jo Baier:

20.07., 20:15 Südwest Fernsehen

"Mythos Widerstand": 3tlg. Dokumentation, 14./16./19.07., 21:45 Uhr ARD

"Zwei Tage im Juli", Roman von Stig Dalager, 280 S.,

gebunden, 19,90 Euro, erscheint Ende Juni im

Aufbau-Verlag

"Stauffenberg - Die Tragödie des 20. Juli 1944", Theaterstück von David Sternbach; nächste Open-Air- Aufführungen auf dem Südgelände des Martin-Gropius-Baus in Berlin: 24. bis 27. Juni 2004, Beginn: 21.00 Uhr, Einlass:

20.00 Uhr, Karten: 12 und 18 Euro zzgl.

Vorverkaufsgebühr (Abendkasse: 13,50 und 21 Euro), übliche Ermäßigungen; weitere Aufführungen:

Wolfsschanze in Polen nahe Gierloz (Görlitz) 31. Juli und 1. August 2004, weitere Spielorte: Wilhelm-Leuschner-Gedenkstätte in Bayreuth, Gelände des ehemaligen "Kraft-durch-Freude"-Bades Prora auf Rügen.

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