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Das Parlament
Nr. 26 / 21.06.2004

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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Oliver Heilwagen

Big Nudes oder die Schönheit des Körpers

Helmut Newton im neuen Museum für Fotografie in Berlin

Das unbekleidete Mannequin kehrt dem Betrachter den Rücken zu. Sein Antlitz ist wie der über seine Kamera gebeugte Fotograf nur verkleinert im Spiegel zu sehen. Die nachdenklich blickende Frau am Bildrand nimmt der Szene endgültig jede Erotik und entlarvt sie als nüchterne Arbeitsatmosphäre. In diesem "Selbstporträt mit Ehefrau und Model" hat der berühmte Modefotograf Helmut Newton die Beziehung zu seiner Gattin paradigmatisch eingefangen: Kein Paar hat sich so ausdauernd und intensiv gegenseitig durch die Kameralinse beobachtet wie er und seine Frau June, die unter dem Künstlernamen Alice Springs arbeitete.

Davon kann man sich nun im neuen Museum für Fotografie in Berlin überzeugen, das zwei Tage nach Newtons Beisetzung eröffnet wurde. Mit den sterblichen Überresten kehrte auch sein Bilderschatz in seine Geburtsstadt zurück. Im September 2003, vier Monate vor seinem überraschenden Tod, hatte er der Stiftung Preußischer Kulturbesitz mehr als 1000 seiner Werke als Dauerleihgabe vermacht. Der restliche Nachlass soll später folgen.

Wie Newtons Werk selbst ist auch das neue Museum von scharfen Kontrasten geprägt. Untergebracht wurde es im ehemaligen Casino der Preußischen Landwehr, einem 1909 gegenüber dem Bahnhof Zoo im wilhelminischen Stil errichteten Prunkbau. Für Newton hatte er symbolische Bedeutung: Dieses Gebäude war das letzte, was er von Berlin sah, als er 1938 mit dem Zug aus dem Dritten Reich floh. Besucher, die heute vom Bahnhof aus die Straße überqueren, werden gleich auf die Schattenseiten des Daseins aufmerksam gemacht. Direkt vor dem Museumseingang steht die in einem Wohnmobil untergebrachte Vertriebszentrale einer Obdachlosenzeitung.

Im Treppenhaus des Museums wartet der nächste Effekt: Wo früher preußische Offiziere in Öl hingen, blicken nun fünf monumentale "Big Nudes" den Betrachter frontal an. Damit wird er auf die Aktdarstellungen eingestimmt, die den Fotografen sein Leben lang beschäftigt haben. Auch die Doppelausstellung zur Eröffnung, die bis Jahresende gezeigt wird, setzt auf diesen Schlüsselreiz. Die Abteilung "Sex and Landscapes" kontrastiert Models in extrem freizügigen Posen mit atmosphärischen Landschaftsaufnahmen, die für Newtons Verhältnisse seltsam beiläufig und verwaschen wirken. Da kommt eine lyrische Seite zum Vorschein, die man bisher von ihm nicht kannte.

Die Abteilung "Us and them" ist dagegen dem Personenkult gewidmet. Zu sehen sind Porträts, die Helmut und June Newton in allen Lebensaltern und -lagen voneinander gemacht haben. Sie schonten einander nicht: Am eindrucksvollsten sind Bilder von ihm, während ihn Instrumente der modernen Medizin auf das Krankenbett fesseln. Der Fotograf, der die Schönheit des Körpers feierte wie kaum ein anderer, scheute sich nicht, auch seine eigene Hinfälligkeit zur Schau zu stellen. Aufschlussreicher ist jedoch die Perspektive des Ehepaars auf Dritte: Beide haben jeder für sich dieselben Prominenten fotografiert. Dabei wählte Helmut meist ein repräsentatives Arrangement, June eher einen intimen Moment - gerne mit Kindern. Die Rede vom spezifisch männlichen beziehungsweise weiblichen Blick bekommt hier schlagartig einen Sinn.

Noch ist aber die künftige Gestalt des Museums kaum zu erahnen. Die Helmut-Newton-Stiftung wird dauerhaft die beiden unteren Etagen des Gebäudes belegen, die sie auch auf eigene Kosten renoviert hat. Für andere Ausstellungen bleiben nur zwei Dachgeschosse übrig. Mit dem so genannten Kaisersaal enthalten sie zwar einen riesigen Raum im Berlin-typischen Ruinen-Look. Doch für Fotoschauen ist er wenig geeignet: Angekündigt ist bislang nur eine Großinstallation des Bildhauers Raimund Kummer. So macht das Ganze vorerst einen reichlich improvisierten Eindruck. Die neue Einrichtung muss noch beweisen, dass sie halten kann, was sie in ihrem Namen verspricht: Ein nationales Museum für die gesamte Geschichte der Fotografie zu sein.

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