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Das Parlament
Nr. 40 / 27.09.2004

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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Thomas Veser

Die Alma Mater des Aga Khan im Hochgebirge

Eine gemeinsame Universität für Zentralasien

Steile Felswände säumen die Hochebene, die hügelförmig zu den Ufern des Naryn hin abfällt. In kühnen Schleifen windet sich der Gebirgsfluss, nach dem auch die größte Stadt in diesem Teil Kirgistans benannt wurde, aus dem chinesischen Tian-shan-Massiv hinab in das Tal von Naryn. Unablässig verändern die Kräfte der Natur das Aussehen dieser rauen Gegend, durch die einst Nomaden mit Pferden und Jurten gezogen sind: Im Frühjahr verursacht die Schneeschmelze im chinesischen "Himmelsgebirge", wie das Tian-shan-Massiv auf Deutsch heißt, Flutkatastrophen und verheerende Bergrutsche.

Doch auf dieser verlassenen, über 2.000 Meter hohen Ebene entsteht die ungewöhnlichste Bildungsstätte in diesem Teil Asiens: "University of Central Asia" (UCA) genannt, ist die Hochschule auf dem Dach der Welt eine Initiative des Aga Khan, der als spirituelles Oberhaupt der schiitischen Ismaeliten-Gemeinschaft vor vier Jahren den Bau mit den Staatspräsidenten Kirgistans, Kasachstans und Tadschikistans vereinbarte.

Der Aga Khan fördert vor allem Projekte auf den Gebieten Landwirtschaft, Wirtschaft, Gesundheit und Bildung, unter anderem hat er im pakistanischen Karachi eine Privatuniversität gegründet. In Kasachstan, Kirgistan und Tadschikistan ist das in Genf und Aiglemont bei Paris ansässige Förderungsinstitut des Aga Khan seit vielen Jahren vertreten. Tadschikische Entwicklungsprojekte laufen größtenteils unter der Leitung seines Netzwerkes. Als reicher Unternehmer investiert der Aga Khan einen Teil seiner Einnahmen zur Zeit in weltweit 90 Hilfsprojekte, vor allem in Ländern mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit. Rund 15 Millionen US-Dollar erhält die UCA als Stiftungskapital. Für die Baukosten, die diese Summe um ein Mehrfaches übersteigen, will die im Fundraising versierte Organisation internationale Geldgeber finden.

Für die UCA wählte man drei Standorte, die sich durch gemeinsame Merkmale auszeichnen: Tekeli (Kasachstan), Khorog (Tadschikistan) und Naryn (Kirgistan) befinden sich in abgelegenen Bergregionen, die ihrer Grenznähe wegen seit jeher benachteiligt sind und unter zunehmender Verelendung leiden. Im Sommer legten der Aga Khan und die Staatspräsidenten die Grundsteine für die Universität, für deren Bau tausende Arbeitskräfte eingestellt werden.

Als "Universitätsparks" nach westlichem Vorbild geplant, bieten die drei UCA-Lehrstätten ausschließlich Einheimischen die Möglichkeit, in der Nähe zu ihrem Lebensbereich eine akademische Ausbildung zu absolvieren oder Kurse zur Berufsfortbildung zu belegen. Seit der Unabhängigkeit der drei ehemaligen Sowjetrepubliken zeigt sich immer deutlicher, dass die einst angesehenen Hochschulen der Hauptstädte bei studienwilligen Bewohnern an Ansehen verloren.

Der Rückgang staatlicher Subventionen hat dazu geführt, dass sich das Niveau von Forschung und Lehre drastisch verschlechterte, viele der russischstämmigen Dozenten haben ihre Wirkungsstätten verlassen. Abschlussdiplome erwirbt man seit Jahren vorzugsweise durch Geld, wofür die Prüfenden bereit sind, die Examenslösungen im Voraus bekanntzugeben. Als größtes Problem betrachten die Initiatoren der UCA jedoch den Umstand, dass die staatlichen Bildungsstätten über ein Jahrzehnt nach der Unabhängigkeit weiterhin sowjetischen Lehr- und Lernformen verhaftet sind und den Studenten aus den Berggebieten nicht jene Qualifikation vermitteln können, die sie für den Neustart in den benachteiligten Randgebieten benötigen.

Diese Lücke soll die neue Universität schließen. Als Hauptunterrichtssprache hat man Englisch gewählt, einheimische Dozenten, die zuvor Studienaufenthalte an westlichen Hochschulen verbracht haben, werden laut Auskunft des Rektors Fred Starr (64), bisher Leiter des "Central Asia-Caucasus Institute" an der Washingtoner Johns-Hopkins-Universität, vorrangig zum Zuge kommen. Im Gegensatz zu den herkömmlichen Universitäten "müssen die Studierenden bei uns auch Forschungsprojekte übernehmen und sich ihre Schwerpunkte eigenständig wählen", fügt Starr, ein amerikanischer Historiker, hinzu. Erweise sich ein Kandidat bei der Aufnahmeprüfung als geeignet, werde er dank der Stipendienmöglichkeiten auch dann zum international anerkannten Studium zugelassen, wenn er sich das finanziell nicht leisten könnte.

Es sei vorgesehen, nach und nach sämtliche akademischen Studienrichtungen anzubieten, "allerdings wird alles stark auf den regionalen Kontext der zentralasiatischen Bergwelt mit annähernd 40 Millionen Bewohnern ausgerichtet". Dass die Absolventen später ihre Heimat verlassen und den bereits ausgeprägten Brain-Drain in Richtung Westen dank UCA noch verstärken könnten, hält der Rektor für unwahrscheinlich: "Selbst zwischen den zentralasiatischen Ländern hat sich die akademische Mobilität bisher in engen Grenzen gehalten". Als oberstes Ziel der Bergbewohner bezeichnet Starr den starken Wunsch, "in der Heimat zu bleiben und der Gemeinschaft zu dienen".

Wie sich der Aga Khan seine neue Alma Mater im Hochgebirge vorstellt, zeigen Computersimulationen. Nachdem Geologen die vorgesehenen Gebiete nach erdbebensicherem Terrain abgesucht hatten, übernahm das US-Landschaftsarchitekturbüro Sasaki Associates die Gestaltung des jeweiligen Campus. Die Gebäude entwarf der japanische Stararchitekt Arata Isozaki, von dem unter anderem das Olympiastadion in Barcelona stammt. Isozakis Entwurf, der bei der Ausschreibung den Zuschlag erhalten hatte, sieht eine für zentralasiatische Gewohnheiten völlig neue Anordnung der Campusgebäude vor. In den drei Universitätsparks hat der Japaner, der sich mit Bauprojekten in erdbebengefährdeten Regionen einen Namen gemacht hat, die Bereiche Lernen, Leben und Freizeit nicht, wie sonst üblich, klar funktional voneinander abgegrenzt, sondern ihre architektonischen Komponenten in orgineller Weise vermischt und auf diese Art miteinander in Beziehung gesetzt.

Getreu dieser "Cluster-Anordung", wie sich Isozakis Mitarbeiter Shunji Nagata ausdrückt, gelangen die Studierenden zum Beispiel nach einer Lehrveranstaltung in ein Café, in dem sie sich entspannen können. Und der private Bereich "Students' Life" erlaubt es dank der Nähe zu Übungsräumen, ein gemeinsames Abendessen als akademischen Disput ausklingen zu lassen.

"Der ungewöhnliche Studienort und die über die Architektur geschaffenen Bezüge zur optischen Szenerie werden Teil des Studienerlebnisses", sagt Nagata.

Eine zentrale Rolle hat der Architekt der Erholung und dem Sport zugedacht: Dieser Bereich soll auch den Einheimischen da sein und ihnen die Schwellenangst vor der Universität nehmen. Nichts soll in dieser Hochschule an Altbekanntes anknüpfen, weder an zentralasiatische Baustile noch an das allgegenwärtige Architekturerbe aus sowjetischer Zeit. Die anfangs auf 4.000 Studierende begrenzte Einrichtung soll auch den Nachbarländern Afghanistan, Pakistan, Turkmenistan und China offen stehen.

Wie es jetzt aussieht, wird die UCA drei akademische Programme anbieten: Während das tadschikische Khorog ein Institut für Bildungswissenschaften und Entwicklung des ländlichen Raumes erhält, liegt der Schwerpunkt im kasachischen Tekeli auf Umwelt- und Ressourcenentwicklung sowie auf Tourismus und Freizeitaktivitäten; in Naryn soll bald das Institut für Management und Wirtschaftsentwicklung sowie für öffentliche Verwaltung den Betrieb aufnehmen.

Als einzige UCA-Abteilung, die bereits ihre Dienste anbietet, verzeichnet die Berufsfortbildung steigende Teilnehmerzahlen. Mittlerweile beteiligen sich die Vertreter verschiedenster Berufsgruppen an den Kursen, Landwirte findet man dort ebenso wie Ärzte, Beamte und Handwerker. "Seit der Unabhängigkeit verändern sich die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse so rasant, dass die Menschen die Orientierung verlieren", erklärt Taalaibek Akunow, der den Lehrbetrieb koordiniert. Auf große Nachfrage stießen Kurse für jene, die sich selbständig machen wollen. Dank des erworbenen Know-how gründeten Einheimische in Naryn eigene Geschäfte, vor allem Restaurants und Cafés für ausländische Bergtouristen. Weil gute Bildung keine Gratisgabe des Staates mehr ist, erhob man von Anfang an Gebühren. Sie stellten für die Teilnehmer, die im Schnitt kaum mehr als 30 US-Dollar monatlich erwirtschaften, ein großes Opfer dar. Inzwischen werde das akzeptiert, sagt Akunow.

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