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Das Parlament
Nr. 40 / 27.09.2004

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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Erich Röper

Viel Polemik, wenig Wissen

Darnstädts rabiater Rundumschlag

Eine "Streitschrift" ist das Buch: Deutschland sei reformunfähig, kaum noch regierbar, so der promovierte Jurist mit Schwerpunkt Staatsrecht, seit 1984 "Spiegel"-Autor zu aktuellen politischen Entwicklungen. "Ohne eine ganz neue Organisation des Staates, der Demokratie, der Parteien, der Verbände und der Gemeinden, ohne ein neues Verhältnis zur Europäischen Union, eine Stärkung der Regionen und die Abschaffung der deutschen Kleinstaaterei gibt es keinen Ausweg aus der Konsensfalle."

Ein Dickicht blockierender Kompetenzen, Konsenssucht, Reformunwilligkeit und Lobbies zeigt er in sechs Kapiteln: Enthauptete Republik ohne funktionierende Verfassung; Prinzip Wettbewerb; Abschaffung der Demokratie; Gemeinden - wankende Fundamente des Staates; von den Kulturministern ruinierte Bildung; wozu noch Gesetze, da der Verbändestaat den Rechtsstaat ablöst? Mit dem Grundgesetz sei die schleudernde drittgrößte Industrienation nicht mehr zu managen. Hauptzeuge ist McKinseys Deutschland-Chef: Der Staat des Grundgesetzes "sei zum ?Sanierungsfall' geworden: ?ineffizient und ungerecht'".

Vorurteile und Feindbilder

Zitate garnieren Darnstädts Vorurteile zu Parlamentarismus, ministerialen Fachbruderschaften, organisierter Verantwortungslosigkeit. Vor allem das Feindbild Landesfürsten dekliniert er durch: "Nirgendwo auf der Welt gibt es so etwas Verrücktes wie in Deutschland. 16 Kleinstaaten, die sich ineinander verknäulen, damit ja keiner etwas ohne den anderen tut." Abschaffen müsse man das Monstrum Bundesrat!

Und wo bleibt bei staatlichem "shareholder value" der Mensch? "Die innere Einstellung zu sozial Schwachen ist das Kriterium, durch das sich (Christliche) Demokraten von Liberalen unterscheiden müssen", so Heiner Geißler. Obwohl kein Strukturproblem Vorpommerns besser in Hamburg statt Schwerin gelöst wird, will Darnstädt Zentralisierung (nationaler Bildungsstandard), große Bundesländer. Da aber Politik mit einem Minimum öffentlicher Mittel ein Maximum an Wählern erreichen will, wird der Rezensent Berlin-Brandenburg ablehnen, damit nicht die Interessen der Randgebiete in Groß-Berlin untergehen.

"Die Parteien haben den Staat zu ihrer Kolonie gemacht." Der Rezensent kennt ihr Innenleben, doch ist die Demokratie besser als alle anderen Staatsformen (Winston Churchill). Wie sonst hätte Heiner Geißler sich so lange halten oder Ströbele Abgeordneter werden können? "Die Fraktion, das schwarz gebaute Schlachtschiff des Parteienstaats"? Nur so sind Parlamente zu organisieren. Plebiszite dienen wie in der Schweiz meist den "beati possidentes"! Wählt Darnstädt darum die auch in einer Volksabstimmung abgelehnte neue Rechtschreibung?

Die Gemeinden Opfer organisierter Verantwortungslosigkeit, "Kommunalwahlen eine verfassungsrechtlich veredelte Variante besonders komplizierten Unfugs"? Nicht die Länder haben "für die finanzielle Misere der Städte und Dörfer einen großen Teil der Verantwortung", nicht "die Verfassung ist der Tod der Städte", globale Raffkes zerstören mit technischen Abschreibungen in Drittländern die Deutschland AG und Kommunen. "Die Unternehmen müssten durch Gesetz gezwungen werden, wieder mehr und gewinnunabhängig Steuern an die Kommunen zu zahlen."

Das Bildungssystem ist nicht wegen der Kultusministerkonferenz ("groß angelegtes Betrugsunternehmen") marode. Trotz PISA wollen die politisch tonangebenden Bildungsbürger "die Restauration des alten deutschen Schulmeistergymnasiums" und überall anerkannte Abschlüsse. Doch be- und verhindert ihr verschrobener Leistungsbegriff eine Schulreform. Kein Protest Darnstädts! Er polemisiert gegen die Lehrer, die marktgerecht den Wettbewerb nutzen.

"Der Rechtsstaat, ein gefährlicher Wahn" schützt Bürger und Gesellschaft. Zu recht steht "ein Bauherr vor fast unüberwindlichen Hürden, wenn er außerhalb geschlossener Ortschaften bauen will". Sollen auch die Natur privatisiert, Richter und Beamte nach Gutsherrenart befördert werden? "Der Zweckstaat als Nachfolger des Rechtsstaats"? "Korporatismus . . . für die Teilung der Macht zwischen Staat und Verbänden" ist ein Ständestaat - Dollfuß und Franco lassen grüßen.

"Die ganze Konsensrepublik funktioniert schon in sich nicht mehr." Kein Vorurteil fehlt. Rar sind Lösungsideen. Es ist zu wenig. Mängel gibt es, der Rezensent könnte ein Buch füllen. Fundamental-Polemik aber braucht mehr Sachkenntnis, nicht nur Zitate. Darnstädt hat gebellt, doch zunächst zieht die Karawane weiter.

Thomas Darnstädt

Die Konsensfalle. Wie das Grundgesetz reformen blockiert.

Deutsche Verlags-Anstalt, München 2004; 192 S., 18,90 Euro

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