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Das Parlament
Nr. 40 / 27.09.2004

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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Astrid Pawassar

Georg Milbradt bleibt kaum eine Wahl

Sachsen: Bei der Landtagswahl verliert die CDU die absolute Mehrheit und koaliert wohl mit der SPD
"Auf eine Farbe hätten wir gut verzichten können" - diesen Spruch hört man allenthalben bei den frisch gewählten Abgeordneten des Sächsischen Landtags. Nun ist die NPD also drin, und man wird lernen müssen, mit ihr umzugehen. "Bloß nicht dämonisieren", raten Politikwissenschaftler, und auch Landtagspräsident Erich Iltgen (CDU) verweist darauf, dass der Wähler eben so und nicht anders entschieden hat. Unerwartet heftig hat der Souverän die in 14 Jahren absoluter CDU-Regierung etwas behäbig gewordenen Parlamentarier vor neue Aufgaben gestellt. Die alten Rollenverteilungen sind komplett aufgehoben.

Die CDU kann nicht mehr mit erdrückender Mehrheit jeden Gegenvorschlag vom Tisch wischen; sie muss nun für ihre Überzeugungen werben und ihre Argumente wohlüberlegt vortragen. Die PDS ist zwar noch die größte Oppositionsfraktion, und ihr Spitzenkandidat, Peter Porsch, frohlockte bereits, dass ihm die öffentliche Diskussion um seine Vergangenheit als möglicher Stasi-Zuträger nicht geschadet habe. Aber die Postsozialisten haben mit den Grünen und der FDP nun gleich zwei Konkurrenten bekommen, die ihre eigene Vorstellung von Oppositionsarbeit haben und nicht bereitwillig mit den Sozialisten gemeinsame Sache machen werden. Alle drei werden sich von der angekündigten "Fundamental-opposition" der NPD abgrenzen wollen und damit auch einen ständigen Diskurs über demokratische Grundwerte und Verhaltensweisen führen.

Die SPD schließlich findet sich in der absurden Position des Verlierer-Champions wieder, dem die Regierungsbeteiligung unverhofft in den Schoß fällt. Eine Skandalisierung der sächsischen Regierungspolitik, wie sie in der Vergangenheit vor allem vom wirtschaftspolitischen Sprecher der SPD-Fraktion, Karl Nolle, mit ausdrücklicher Duldung durch den Fraktionsvorsitzenden, Thomas Jurk, betrieben wurde, ist für mitregierende Sozialdemokraten schlechterdings nicht möglich.

CDU und SPD haben im zurückliegenden Wahlkampf gleichermaßen unter der alles überlagernden Last der Hartz-IV-Debatte gelitten. Es sei nicht möglich gewesen, die landespolitischen Themen in den Vordergrund zu rücken, heißt es. Die Stimmenzuwächse für NPD und PDS stützen die Interpretation, dass die Angst vor der Arbeitsmarktreform wahlentscheidend gewesen ist. Auch die FDP hat in Sachsen Plakate mit dem Slogan "Herz statt Hartz" geklebt. Und Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) musste sich bereits heftige Kritik wegen seines "Wackelkurses" in dieser Frage anhören.

Aber Hartz IV allein kann nicht Schuld gewesen sein an dem massiven Absturz der CDU. Schließlich haben die Grünen mit einem rein landespolitischen Wahlkampf - wenn auch mit Mühen und nach langem wahlabendlichen Zittern - den Sprung in den Landtag geschafft und dabei nicht nur der CDU, sondern auch der PDS Wähler weggenommen. Außerdem schneidet der Ministerpräsident bei den Sympathiewerten auf einer Skala von +5 bis -5 mit der Note 2,5 vergleichsweise gut ab. Auch die Beurteilung der Regierungspolitik in Sachsen wird mit 1,5 immer noch positiv bewertet, wenn auch niedriger als noch 1999. Damals lag der Wert sogar bei 2,2. Er habe seine Sympathiewerte nicht auf die Gesamtpartei übertragen können, lautet Milbradts Wahlanalyse.

Dass die unbestreitbaren und außerhalb des Landes viel stärker wahrgenommenen wirtschaftlichen Erfolge Sachsens nicht offensiv genug vorgetragen worden seien, monieren PR-Berater wie der Wahlkampfexperte Peter Radunski. So habe man aus der Kür Georg Milbradts zum "Ministerpräsidenten des Jahres" kein Kapital schlagen können. Manch einer aus der CDU-Fraktion trauerte in der Wahlnacht dann auch den alten Zeiten nach, in denen ein charismatischer Landesfürst mit einem solchen Pfund gewuchert hätte. Vereinzelt wurde daran erinnert, dass die Parteiführung mit Kurt Biedenkopf nicht gerade freundlich umgegangen ist, weshalb der als Wahlhelfer nahezu komplett ausgefallen sei. Ob das der CDU letztlich geholfen hätte, steht in den Sternen. Denn immerhin hat die Forschungsgruppe Wahlen ermittelt, dass die Sachsen nach 14 Jahren Alleinherrschaft einer Partei jetzt eine andere Konstellation in der Regierung haben wollten.

Nur noch 35 Prozent der Befragten konnten der absoluten Mehrheit einer Partei etwas Gutes abgewinnen, eine deutliche Mehrheit von 57 Prozent war dagegen. So hat die CDU dann auch an sämtliche anderen Parteien Wähler abgeben müssen, insgesamt 375.000. Dabei wanderten 55.500 Stimmen an das Sammelsurium der "sonstigen Parteien" ab, 22.600 an die PDS, den Löwenanteil sahnte mit 86.100 Stimmen die FDP ab und etwa gleichauf lagen NPD (84.200 Stimmen) und das Lager der Nichtwähler (84.300). Nach der Altersstruktur hat die CDU ihre zuverlässigsten Wähler bei den Älteren. In der Gruppe der 18- bis 29-Jährigen verlor sie jedoch 22 Prozent und bei den 30- bis 44-Jährigen 17 Prozent. Auch SPD und PDS haben in diesen Altersgruppen Wähler verloren; die NPD hingegen konnte dort mit 17 beziehungsweise 12 Prozent kräftig punkten.

Die CDU wird nun ihre Hausaufgaben machen müssen. Sie wird sich künftig noch weniger hinter dem Ministerpräsidenten verstecken und in seinem Windschatten mitsegeln können. Bei den anstehenden Koalitionsverhandlungen mit den Sozialdemokraten stehen inhaltlich einige harte Nüsse auf der Tagesordnung. Zuoberst die Schul- und Bildungspolitik. Hier möchten die Christdemokraten am gegliederten Schulsystem festhalten, während die SPD eine Differenzierung der Bildungswege erst ab Klasse neun favorisiert. Bei der Wirtschaftsförderung haben die Sozialdemokraten stets für eine breitere Streuung, vor allem zugunsten der strukturschwachen Gebiete plädiert, während die CDU mit ihrer "Leuchtturmpolitik" die Konzentration von Großinvestitionen gefördert hat.

Immerhin nehmen die künftigen Koalitionspartner dem Ministerpräsidenten, der sich zur Wiederwahl stellen will, eine Sorge ab: Die allseits erwartete Kabinettsumbildung ergibt sich nun von selbst. Und bisher steht auf Seiten der SPD auch schon fest, wer auf keinen Fall in der Regierungsmannschaft auftreten wird. Leipzigs Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee hat allen Gerüchten, die seine Mitarbeit in der Verhandlungsdelegation bei den Koalitionsgesprächen als Präjudiz interpretierten, einen Riegel vorgeschoben: Er wolle auf jeden Fall im April 2005 wieder als Oberbürgermeister in Leipzig kandidieren.

Ursprünglich war geplant, dass der neue Landtag bereits am 6. Oktober zu seiner Konstituierenden Sitzung zusammenkommt. Dies hält gegenwärtig aber niemand mehr für realistisch. Nach Auskunft des Landtagssprechers Ivo Klatte wird der 19. Oktober, laut Verfassung der letztmögliche Termin, eher wahrscheinlich sein.

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