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Das Parlament
Nr. 46 / 08.11.2004

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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Heinrich Bortfeldt

Gute Wünsche für den deutsch-amerikanischen Dialog

28. Jahrestagung der German Studies Association in Washington

Während Clinton und Kohl wie auch Clinton und Schröder dreimal wöchentlich miteinander telefonierten, haben Bush und Schröder gerade dreimal in 18 Monaten miteinander gesprochen. Dieser Zustand ist angesichts gegenwärtiger und künftiger Bedrohungen und Herausforderungen unverantwortlich". Mit diesen Worten machte sich Ronald Asmus, Deutschland-Spezialist in der Clinton-Administration und jetzt zum Kerry-Beraterstab gehörend, erst einmal Luft.

Diese Nicht-Kommunikation auf höchster Ebene gilt für die German Studies Association (GSA) ganz und gar nicht. Sie ist eine nicht mehr wegzudenkende Institution im deutsch-amerikanischen Dialog. Gäbe es sie nicht - man müsste sie erfinden! Denn sie ist wichtiger denn je. Die GSA kann auf eine 28-jährige äußerst erfolgreiche Tradition zurückblicken und ist die weltweit größte Organisation von Deutschlandexperten mit Sitz in den USA.

Die diesjährige Jahreskonferenz fand vom 7. bis zum 10. Oktober in Washington, D.C. statt. Rund 700 Wissenschaftler, Politiker und andere Interessenten waren dazu unter andnerem aus den USA, Kanada, Deutschland, Österreich, der Schweiz, Polen, Tschechien, Holland Dänemark und Großbritannien angereist. In Washington gab es Gelegenheit, in 160 Panels neueste Forschungsergebnisse hauptsächlich zur deutschen Politik, Geschichte, Kunst und Kultur vorzustellen und darüber zu diskutieren. Damit erreichte die GSA-Tagung eine Breite, die auf dem amerikanischen Kontinent ihresgleichen sucht. Allerdings ist sie damit auch an gewisse Grenzen gestoßen: bis auf die letzten Sitzungen liefen 20 Panels parallel.

Angesichts der gegenwärtig angespannten deutsch-amerikanischen Beziehungen konzentrierten sich naturgemäß viele Fragen auf dieses Thema. Gleich einer der ersten Themenkreise widmete sich der Frage, ob der Anti-Amerikanismus in Deutschland alt oder neu sei, ob er nicht im Grunde genommen ein Anti-Bush-Amerikanismus sei, eher ein Problem der Medien als der gesamten Öffentlichkeit, ob es sich um ein kurz- oder eher langfristiges Phänomen handele, ob es tief in der deutschen Kultur verwurzelt sei und ob der Atlantizismus eine Generationsfrage sei, die sich mit dem Ende des Kalten Krieges ausgelebt hat. Schließlich wurde festgestellt, dass der Begriff "amerikanische Verhältnisse", den man öfter in Deutschland höre, abwertend sei und weit über die Beschreibung amerikanischer ökonomischer Verhältnisse hinausgehe.

Im deutschen politischen Sprachgebrauch, so eine Untersuchung, finden sich traditionelle, abwertende Schlagworte und negativ eingefärbte Begriffe wie "amerikanische Unkultur", "Oberflächlichkeit", "Dollarimperialismus". Ziemlich neu ist die Tatsache, dass die USA verstärkt an ihren eigenen Werten und Begriffen wie Freiheit, Bürger- und Menschenrechte gemessen werden und ihnen angesichts der Bilder aus den Gefängnissen von Guantanamo und Abu Ghraib Heuchelei und Verrat vorgeworfen werden.

Trotz all dieser Dinge gäbe es immer noch eine dominierende positive Amerikastimmung, wurde konstatiert. So gesehen, sei die Kritik nicht alarmierend. Gleichwohl sei eine fundamentale Amerika-Kritik - die nicht notwendigerweise Anti-Amerikanismus bedeuten müsse - mittlerweile tief ins bürgerliche Lager eingedrungen, also weit über entsprechende traditionelle SPD- und Grünen- Milieus hinaus.

Zahlreiche Beiträge widmeten sich der Analyse und Beschreibung der gegenwärtigen deutsch-amerikanischen Beziehungen. Man merkte ihnen die große Unzufriedenheit über den derzeitigen Zustand an. Dabei ging es weniger um Schuldzuweisungen, sondern vielmehr um den Versuch eines Neubeginns, denn weltpolitisch seien die Beziehungen so wichtig, dass man sich das gegenwärtige Zerwürfnis nicht leisten könne.

Wayne C. Thompson, zur Zeit Gastprofessor an der Europa-Universität in Brügge, ein erfahrener Deutschland- und Europaexperte, versuchte eine Brücke zu bauen zwischen dem "alten Europa" und den USA. Er stellte die gegenwärtigen Spannungen in eine historische Perspektive, erinnerte an die Reaktionen auf den Vietnamkrieg und an die gewaltigen Anti-Reagan-Demonstrationen wegen der Raketenstationierung Anfang der 80-er Jahre. Das führte ihn zu dem Schluss, man solle die gegenwärtigen Probleme nicht überbewerten, schließlich gäbe es viele historische, kulturelle und Werte-Gemeinsamkeiten. Die meisten Amerikaner wie Europäer wollten enge und gute Beziehungen. Thompson forderte seine Regierung auf, einen Neubeginn verbesserter Beziehungen zu Europa zu wagen. Blieb die Frage, ob unter Bush mit dem alten Personal überhaupt ein Neubeginn möglich sei.

Anderen Teilnehmern waren die historische Einordnung und der "good will"-Ansatz nicht unsympathisch, sie verwiesen jedoch auf strukturelle Defizite und darauf, dass eine Gegenpolbildung, wie sie derzeit besteht, in der Zeit des Kalten Krieges unmöglich war. Nach dessen Ende hätten sich neue geopolitische Bedingungen herausgebildet. Eine Mitarbeiterin des State Department meinte, es handele sich schon um einen fundamentalen Bruch, wenn einer in den Krieg ziehe und der engste Verbündete sage: Nein! Das Wort "Puzzle Germany" machte die Runde. Unsicherheit gab es auf amerikanischer Seite darüber, welche Rolle Deutschland künftig in der Weltpolitik spielen wolle. So gebe es gravierende Meinungsverschiedenheiten um den Gebrauch von Macht, dessen Verständnis in Deutschland immer noch vom sogenannten Genscherismus geprägt sei. Deutschland wolle den Ständigen Sitz im Sicherheitsrat nur dazu benutzen, um sein Verständnis von Multilateralismus durchzusetzen. Deshalb sei auch die amerikanische Haltung dazu reserviert.

Demgegenüber, so das Gegenargument, könne man aus deutscher Sicht auch vom "Puzzle America" sprechen. Elizabeth Pond, eine angesehene Autorin und "transatlantische Wanderin", sprach von einer erheblichen gegenseitigen Entfremdung, die sie sowohl in Deutschland als auch in den USA spüre. Im Vorfeld der Wahl hätten deutsche Freunde gesagt: "Falls Bush wiedergewählt werden sollte, werden wir Anti-Amerikaner. Bislang hatten wir eine Anti-Bush-Einstellung". Es klang fast wie ein Appell, als sie verlangte, amerikanische Politik müsse wieder Vertrauen schaffen und die nötige Legitimation zurückgewinnen. Die sei nämlich von Bush völlig falsch eingeschätzt worden nach dem Motto: Wenn wir energisch genug führen, werden uns die anderen schon folgen.

Auch Ronald Asmus registrierte eine Polarisierung auf beiden Seiten des Atlantiks: "Während wir uns über Anti-Amerikanismus unterhalten, könnten wir auch einen Panel machen über anti-französische oder anti-deutsche Stimmungen in den USA." Die Kosten einer derart divergierenden Politik seien jetzt schon sehr hoch und angesichts der Tatsache, dass die Welt nicht friedlicher, sondern gefährlicher werde, unerträglich. "Wir sahen die guten Beziehungen zu Deutschland als selbstverständlich an; nun erscheint uns Deutschland als undankbar." Auch er mahnte dringend an, die Koalition wieder zusammenzuschmieden, Europa mehr Aufmerksamkeit zu schenken und das gemeinsame Schiff wieder auf neuen Kurs zu bringen.

Angesichts der Präsidentschaftswahlen wurde auf die Bedeutung künftiger Personalentscheidungen verwiesen, die auch immer Richtungsentscheidungen seien. Bowman Miller, Europaanalytiker im State Department und langjähriger Deutschlandexperte, meinte, ohne Powell wäre die Situation noch schlimmer. Viel hänge vom künftigen Außenminister ab. Powell werde jedoch nicht mehr zur Verfügung stehen. Condoleezza Rice werden Ambitionen auf das Amt nachgesagt. Sie sei aber zugleich die große Unbekannte, denn keiner wisse, wofür sie eigentlich stehe. Bei einem Wahlsieg Kerrys wurden dem ehemaligen Botschafter in Deutschland, Holbrooke, gute Chancen eingeräumt. Er verfüge über langjährige außenpolitische Erfahrungen und sei ein enger Freund Kerrys. Der Demokrat verstünde die europäischen Partner besser, er würde die Diplomatie und Konsultation wiederbeleben, die Bedeutung der NATO anheben - und von den Europäern mehr Anstrengungen im internationalen Krisenmanagement erwarten. Auch Miller als ausgewiesener Demokrat, kritisierte die gegenwärtige amerikanische Politik: "Wir müssen die Europäer als Partner betrachten und dürfen keine weitere Entfremdung zulassen. Unsere Politik basiert auf Angst. Das ist kein tragendes Konzept."

Schließlich wurde darauf aufmerksam gemacht, dass die amerikanische Nation in diesen Fragen selbst gespalten ist. Insgesamt gab es viele besorgte Fragen, kritische Zustandsbeschreibungen, aber auch den Willen, die deutsch-amerikanischen Beziehungen neu zu beleben. Gleichwohl war es vielen Teilnehmern anzumerken, dass man zunächst auf den Ausgang der Wahlen und die ersten Monaten danach schauen wollte, um klarer zu sehen, wohin die Reise geht.

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