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Thomas Emons
Von Etappe zu Etappe zum Ziel
Damals...am 28. November vor 15 Jahren: Helmut
Kohl stellt seinen Zehn-Punkte-Plan vor
Die Wiedervereinigung Deutschlands: Nicht wenige haben sie in
der Zeit des Ost-West-Konfliktes für unerreichbar gehalten.
Doch nach dem die SED-Regierung den Reiseverkehr zwischen Ost- und
Westdeutschland am 9. November 1989 freigegeben hat und die Mauer
damit de facto gefallen ist, scheint die Einheit Deutschlands nicht
mehr undenkbar. Schon wenige Tage vor der Maueröffnung sind
bei den Leipziger Montagsdemonstrationen gegen das SED-Regime
erstmals auch Sprechchöre mit dem Ruf "Deutschland einig
Vaterland" zu hören. Immer öfter heißt es jetzt
nicht mehr nur "Wir sind das Volk", sondern auch: "Wir sind ein
Volk". Doch noch gehören die Bundesrepublik und die DDR zwei
gegnerischen Militärbündnissen an. Gleichzeitig zieht es
immer mehr Ostdeutsche in den Westen, allein nach dem Mauerfall
werden etwa 46.000 Übersiedler gezählt.
In dieser Situation ergreift Bundeskanzler Helmut Kohl mit
seinem Zehn-Punkte-Programm am 28. November 1989 die Initiative, um
die Lösung der deutschen Frage mit Nachdruck auf die
weltpolitische Tagesordnung zu setzen. Seinen politischen Fahrplan
zur Überwindung der Spaltung Deutschlands hat er weder mit
Regierung noch mit der Opposition und auch nicht mit anderen
europäischen Regierungen abgestimmt. Nur den amerikanischen
Präsidenten George W. Bush senior, den CDU-Vorstand sowie
einige ausgewählte und zum Schweigen verpflichtete
Journalisten hat der Bundeskanzler vorab informiert. Sein
Zehn-Punkte-Programm, das er am 28. November 1989 im Rahmen einer
Haushaltsdebatte des Bundestages vorlegt, hat Kohl in den Tagen
zuvor, unterstützt von seinem außenpolitischen Berater
Horst Teltschik und einer von ihm geleiteten Arbeitsgruppe,
entworfen.
"Die Einheit lässt sich nicht vom grünen Tisch und mit
dem Terminkalender in der Hand planen. Aber wir können die
Etappen vorbereiten, die zu diesem Ziel führen", sagt Kohl,
ehe er ins Detail geht. Die beiden deutschen Staaten, so der Kern
seines Programms, sollen organisch und in drei Stufen von einer
Vertragsgemeinschaft über eine Konföderation zu einem
föderalen Bundesstaat zusammenwachsen.
Der Bundeskanzler stellt der vom SED-Politiker Hans Modrow
geführten DDR-Regierung humanitäre und finanzielle Hilfe
in Aussicht. Als Gegenleistung dafür soll die DDR-Führung
den Reiseverkehr zwischen West- und Ostdeutschland weiter
erleichtern und den Zwangsumtausch für Bundesbürger
abschaffen. Kohl macht außerdem deutlich, dass es eine
Wirtschaftshilfe der Bundesrepublik sowie eine umfassende und
institutionalisierte Zusammenarbeit zwischen beiden deutschen
Staaten nur dann gaben kann, wenn die SED ihr Machtmonopol aufgibt,
freien Wahlen zustimmt, alle politischen Häftlinge
freilässt, das politische Strafrecht abschafft und eine Abkehr
von der Planwirtschaft vollzieht.
Im außenpolitischen Teil seines Zehn-Punkte-Programms
unterstreicht der Kanzler, dass Deutschland in den
gesamteuropäischen Prozess "eingebettet" bleibt und seine
"künftige Architektur" in eine "gerechte europäische
Friedensordnung eingefügt sein" müsse. In diesem
Zusammenhang bezeichnet Kohl die Europäische Gemeinschaft "als
Grundlage der gesamteuropäischen Einigung" und fordert ihre
Öffnung gegenüber den Reformstaaten Ost- und
Mitteleuropas. Für die DDR fordert er "angemessene Formen der
Assoziierung". In dem er sich nicht nur für konsequente
Abrüstung und Rüstungskontrolle, sondern auch für
einen Ausbau der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit
in Europa (KSZE) ausspricht, versucht der Bundeskanzler
internationalen Vorbehalten gegen eine Wiedervereinigung
Deutschlands vorzubeugen oder ihnen zumindest die Spitze zu nehmen.
"Wie ein wiedervereinigtes Deutschland schließlich aussehen
wird, weiß heute niemand. Dass aber die Einheit kommen wird,
wenn die Menschen in Deutschland sie wollen, dessen bin ich mir
sicher", formuliert Kohl das Resümee, ohne am 28. November
1989 ahnen zu können, dass die Einheit schon am 3. Oktober
1990 kommt. Das Echo ist kontrovers. Während die Grünen
den Plan ablehnen, ist die Unterstützung in der Union
uneingeschränkt. Auch SPD und FDP begrüßen das
Programm zunächst, um später eine Ergänzung zu
fordern, die die Oder-Neiße-Linie als deutsche Ost- und
polnische Westgrenze anerkennt. International steht der Kritik aus
Moskau und Ost-Berlin sowie den Vorbehalten in London und Paris die
Unterstützung Washingtons gegenüber. Obwohl auch andere
Pläne diskutiert werden, die vom Fortbestand einer
reformierten DDR ausgehen, zeigte schon Kohls triumphaler
Dresden-Besuch am 19. Dezember 1989, dass alles auf die Einheit
Deutschlands zusteuert.
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