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Das Parlament
Nr. 49 / 29.11.2004

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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Volker Koop

Waren die Deutschen nur Täter oder auch Opfer?

"Gedenktage verändern nicht die Welt, aber schärfen die Sicht"
Im Zusammenhang mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges häufen sich in den nächsten Wochen und Monaten bis zum 8. Mai 2005 zahlreiche Jahrestage, an denen in der unterschiedlichsten Form an das Geschehen vor nunmehr 60 Jahren erinnert wird. Im Herbst 1944 erreichten erste amerikanische Truppen das Saarland, in der Folgezeit rückten die damaligen Alliierten von allen Seiten auf deutsches Gebiet vor, befreiten die Überlebenden in den Konzentrationslagern, trafen an der Elbe bei Torgau zusammen und übernahmen schließlich nach Unterzeichung der Kapitulationsurkunde in Berlin-Karlshorst die Macht über das geschlagene Deutschland.

So wie zuvor Deutsche Elend und Not über die Zivilbevölkerung in anderen Ländern gebracht hatten, gehörten sie nun, Ende 1944 und in den ersten Monaten des Jahres 1945, selbst zu denen, die auf der Flucht waren und dabei zu Tausenden umkamen, beispielsweise bei den großen Schiffstragödien auf der Ostsee. Schiffe mit mehr als 30.000 Flüchtlingen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten wurden torpediert, bombardiert und versenkt, darunter die "Wilhelm Gustloff" mit 9.000 Toten. Bei den Angriffen auf die "Cap Arkona", "Athen" und "Thielbek" starben 8.000 Menschen, die meisten davon KZ-Häftlinge. Während die Vorbereitungen für die zentralen Gedenkfeiern längst abgeschlossen sind, wird nun - wenn auch spät - über die Frage diskutiert, in welcher Weise diesen zivilen deutschen Opfern gedacht werden kann, zumal bisweilen sogar zu hören ist, deutsche "Opfer" unter der Zivilbevölkerung gebe es ohnehin nicht, da sie als Deutsche Täter per se seien.

"Bei den Feierlichkeiten zum 60. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges im kommenden Jahr dürfen die unzähligen zivilen Opfer, die in den letzten Wochen des Krieges ihr Leben verloren, nicht ins Abseits geraten", sagt der schleswig-holsteinische CDU-Abgeordnete Wolfgang Börnsen und appelliert an Bundesregierung und an die Spitze des Bundestags, dabei auch in angemessener Weise an die großen Schiffskatastrophen auf der Ostsee zu erinnern. Es sei höchste Zeit, sich Gedanken darüber zu machen, wie die Tragödien auf der Ostsee den heutigen Menschen als Mahnung gegen Krieg und jede Form von Unrecht in das Bewusstsein gerufen werden könnten. Börnsen: "Man darf sich nicht auf den Standpunkt zurückziehen und sagen, die damals Umgekommenen seien als Deutsche weniger Opfer als vielmehr selbst Täter gewesen. Wer so argumentiert, übersieht, dass mit den versenkten Schiffen nicht nur unschuldige Frauen und Kinder, sondern auch Tausende von KZ-Häftlingen in die Tiefe gerissen wurden." Vergessen dürfe aber auch nicht, dass es zahllose stille Helden gegeben habe. Helfer aus Schleswig-Holstein, Dänemark und Schweden hätten ihr Leben aufs Spiel gesetzt, um das anderer zu retten: "Beide Gruppen - Helfer wie Opfer - haben ein würdiges Gedenken verdient, das sich nicht auf wenige Sätze am Volkstrauertag beschränken darf."

Die Opfer müssten im Mittelpunkt der Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg stehen, sagt Angelika Krüger-Leißner. Die SPD-Abgeordnete ergänzt, dass dies selbstverständlich auch für die Opfer unter der deutschen Zivilbevölkerung, wie die mehr als 9.000 Toten bei der Versenkung der "Wilhelm Gustloff", gelten müsse. Beim Untergang dieses Schiffes seien in der Hauptsache Frauen, Kinder und alte Menschen gestorben, aber auch Soldaten der Wehrmacht. Sie alle seien Opfer eines Krieges, der von Deutschland begonnen und im Osten als Vernichtungskrieg mit beispielloser Härte geführt worden sei. Das heutige Gedenken - so Angelika Krüger-Leißner weiter - könne nicht von den historischen Kontexten absehen. Nur die Einordnung in historische Zusammenhänge schaffe eine lebendige Erinnerungskultur, in der die verschiedenen Opfergruppen mit ihren spezifischen Leiderfahrungen ihren Platz finden müssten: "Der Untergang der ?Wilhelm Gustloff' und anderer Schiffe war ein schreckliches Geschehen, das wir - wie viele andere - nicht vergessen dürfen. Die Voraussetzungen, die dazu führten, müssen aber immer berücksichtigt bleiben."

Gedenkstätte "Neue Wache"

Auf die zahlreichen Gedenktage, an denen die Deutschen aufgerufen seien, der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft zu gedenken, verweist der FDP-Abgeordnete Jörg van Essen, so im November am Volkstrauertag, an dem sich die Menschen der Vergangenheit mit dem Auftrag erinnerten, das Vermächtnis der Opfer zu erfüllen. Dennoch sieht Jörg an Essen: "Sicherlich werden wir mit Gedenktagen die Welt nicht verändern können. Aber sie schärfen unsere Sicht auf die Vergangenheit und ermahnen uns in der Gegenwart. Dies ist für mich der Sinn des Erinnerns. Aus der Erinnerung an das Leid der Kriege und aus dem Gedenken an die Opfer erwächst der Auftrag an uns alle, sich für Frieden, Freiheit, Gerechtigkeit und ein würdiges Leben für alle einzusetzen." Sicherlich sei auch der Untergang der "Wilhelm Gustloff" eine der großen Tragödien der letzten Kriegstage. "Aber in der Erinnerung", so die Überzeugung des FDP-Parlamentariers, "sollten wir vereint bleiben. Ich glaube daher, dass es besser ist, sich auf die bestehenden Gedenktage zu konzentrieren und alle Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft mit einzubeziehen." Seit 1993 habe dieses Gedenken einen festen Platz in Berlin. In der zentralen Gedenkstätte in der "Neuen Wache" habe man der Erinnerung an die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft einen festen Platz gegeben. Zu sehen sei dort die berühmte Skulptur "Mutter mit totem Sohn" der Künstlerin Käthe Kollwitz. Wohl kaum ein anderes Kunstwerk vermöge die Trostlosigkeit und unstillbare Trauer über den Verlust des eigenen Kindes im Krieg so intensiv auszudrücken.

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