Das Parlament mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen
-
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen
-
Homepage des Bundestages | Startseite | Volltextsuche | Ausgabenarchiv | Abonnement | Impressum | Links
-

Volltextsuche
Das Parlament
Nr. 49 / 29.11.2004

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

Zur Druckversion
Helmut Merschmann

Osteuropas zerplatzte Konsumträume

Beim "Festival des osteuropäischen Films" in Cottbus zeigt sich die Melancholie nach der Euphorie

Positiv gestimmt ist kein einziger Kurzfilm. Mal wird an einer Weggabelung ein verwittertes Kruzifix gegen ein neues, bunteres ausgetauscht (Polen), mal das neue EU-Grenzschild vom Nicht-EU-Nachbarn auf der anderen Flussseite misstrauisch beäugt (Slowakei). Auf Initiative des dänischen Kultregisseurs Lars von Trier ist das Kurzfilmprojekt "Visions of Europe" entstanden. Namhafte Regisseure aus allen 25 EU-Ländern haben jeweils ein fünfminütiges Stimmungsporträt ihres Landes gezeichnet. Die acht Spots aus den neuen Beitrittsländern, die auf dem 14. Cottbuser Filmfest zu sehen waren, fielen durch Nachdenklichkeit und Melancholie auf.

Es herrscht eine gewisse Skepsis gegenüber dem Neuen und Unbekannten, ein Unbehagen und Miss-trauen gegenüber den Neuerungen, die der Beitritt zur Europäischen Union mit sich bringt. In dieser Haltung erscheinen die Kurzfilme typisch für die gegenwärtige Stimmung in Osteuropa. Meist zeichnen sie sich durch eine getragene Stimmung aus. Nach dem Jubel und der Euphorie im Zuge des Zusammenbruchs der alten sozialistischen Regierungen ist eine Katerstimmung aufgekommen. "Die osteuropäischen Filme sind ernster geworden", sagt Festivalleiter Roland Rust. "Sie geben die Stimmung in den Ländern sehr konkret wieder, wo sich das Sozialklima in einer dramatischen Weise verschärft hat."

So zeigt etwa der Spielfilm "Schizo" von Guka Omarowa einen 15-jährigen Autisten, der sich stoisch inmitten einer von illegalen Boxkämpfen und Gelegenheitsjobs geprägten brutalen Männerwelt behauptet und als Einziger zu sozialer Anteilnahme fähig ist. Die russisch-kasachisch-französisch-deutsche Koproduktion gewann den mit 12.000 Euro dotierten Hauptpreis des Festivals. Der polnische Wettbewerbsbeitrag "Symmetrie" (von Konrad Niewolski) handelt von den schroffen Repressalien und der Verrohung, die ein unschuldig verhafteter Mann im Gefängnis zu ertragen hat und denen er sich unmerklich angleicht. In langsamen, ruhigen Bildern erzählen beide Filme auch von den sozialen Zuständen in den Ländern und den Ängsten, die die Menschen umtreiben. Dass osteuropäische Filme "nachhaltiger wirken", wie Roland Rust meint, und sich im Gedächtnis festsetzen, hängt wohl auch damit zusammen, dass sie verschlüsselt, oft in Form eines Gleichnisses daherkommen und den Zuschauer zum Nachdenken einladen.

Gleichwohl müssen auch osteuropäische Filme sich am Markt behaupten, was nur begrenzt funktioniert. In den meisten Ländern lag die Filmproduktion jahrelang am Boden und rappelt sich gegenwärtig wieder etwas auf. Ehemals blühende Filmnationen wie Georgien und die Ukraine bringen kaum noch nennenswerte Beiträge hervor. In Mazedonien werden jährlich nur noch ein bis drei Filme produziert, in Slowenien sechs bis acht, in Tschechien 19 im vergangenen Jahr - es waren einmal knapp 40. Immerhin ist den Filmen mitunter ein großer Binnenerfolg beschert. Sie kommen beim heimischen Publikum gut an. Dennoch kann das nicht von der gewaltigen Marktmacht des amerikanischen Kinos ablenken. Während sich nun auch der osteuropäische Zuschauer bestens im Gran Canyon und in L.A. auskennt, spielen polnische Filme in Ungarn überhaupt keine Rolle mehr.

Schon aus diesem Grund finden sich alljährlich die Filmschaffenden Osteuropas auf dem Cottbuser Filmfestival ein. Als Brücke zu den Mentalitäten in den osteuropäischen Ländern - so das Selbstverständnis des Festivals - kann man sich hier einen guten Überblick über die Filmproduktion in den einzelnen Nationen verschaffen. Das Festival hatte sich 1991 aus der gerade von den sozialistischen Ländern gepflegten Filmclub-Bewegung gegründet, die es auch im Westen gab. Zwei Jahre nach der deutschen Wende hatten einige engagierte Cottbuser Filmliebhaber den osteuropäischen Film vermisst, der mit einem Mal nirgends mehr zu sehen war. Dass inzwischen Teile des osteuropäischen Kinos von uns als europäisch wahrgenommen werden - ein Verständnis, das die dortigen Filmemacher schon immer für sich reklamiert haben - ist dem Festival hoch anzurechnen.

Allerdings wird auch nicht an gelegentlich verstörenden Blicken auf Westeuropa gespart, wie ein Film aus dem diesjährigen Länderschwerpunkt Tschechien zeigt. In der tschechischen Pampa, unweit Prags, soll ein Supermarkt entstehen namens "Ceský Sen" - tschechischer Traum. Eine aufwändige Marketingkampagne wird gestartet, bonbonfarbene Logos werden entworfen, Radio- und Fernsehspots geschaltet, Interviews mit Testkäufern durchgeführt und Flyer mit den Eröffnungsangeboten bedruckt. Alles ist professionell vorbereitet.

Am Eröffnungstag strömen bereits in aller Herrgottsfrühe die Massen los, um zu entdecken, dass der Einkaufsmarkt nur eine Fassade auf der grünen Wiese ist. Der "tschechische Traum" ist wie eine Seifenblase zerplatzt. An der Nase herumgeführt wurden die Menschen von zwei Filmstudenten der Prager Filmhochschule FAMU, den Regisseuren Vít Klusák und Filip Remunda. Die wollten den Einfluss der westlichen Konsumkultur auf ihre Landsleute dekuvrieren. Ihren Streich, übrigens als eine Art Doku-Soap vom tschechischen Fernsehen finanziert, haben sie dokumentarisch festgehalten.

Zur Inhaltsübersicht Zurück zur Übersicht