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Ludwig Watzal
Unzeitgemäße Betrachtungen eines
Unangepassten
Daniel Cil Brechers provokante Thesen zur
Politik und Gesellschaft Israels
In seinen autobiografischen Aufzeichnungen und historischen
Darstellungen über die Politik Israels gibt Daniel Cil Brecher
Einblicke in die Widersprüchlichkeit eines Juden, der zwischen
nichtjüdischer Diaspora und dem Staat Israel hin und her
gerissen wird. Diese Widersprüche werden noch dadurch
verschärft, dass sich seine Familie - obgleich
Überlebende des Holocausts - Anfang der 50er-Jahre in
Deutschland niederließ.
Geboren wurde der Autor 1951 in Tel Aviv. Nach seinem Studium
remigrierte er 1976 nach Israel. Er arbeitete in der
Gedenkstätte Yad Vashem und wurde 1983 Direktor des
Leo-Baeck-Instituts in Jerusalem, bis die politischen Umstände
für ihn persönlich so unerträglich wurden, dass er
1986 wieder nach Europa zurückkehrte. "Ich konnte die Kluft,
die sich täglich zwischen mir und meiner Umwelt weiter
öffnete, immer weniger leicht überwinden. Immer
öfter erschien mir mein Leben in Israel als gescheitert." Die
Hoffnung, seine Identitätsprobleme in Israel lösen zu
können, waren eine Selbsttäuschung; sie führten
letztendlich dazu, dass Brecher sich weigerte, als
Erziehungsoffizier zur Stärkung der Kampfmoral 1982 in den
Libanonkrieg zu ziehen.
Obgleich der Autor eine außergewöhnliche Analyse des
Nahostkonfliktes vorgelegt hat, wird er wegen seiner realistischen
und historisch korrekten Einschätzung seines Geburtslandes und
dessen Politik zum "Staatsfeind" gestempelt. Dieses groteske Stigma
hält zunehmend auch in Europa und in den USA Einzug. Das
Erschreckende: es wird hier von den politischen Eliten kritiklos
übernommen.
Fakten und Mythen
Brecher legt eine parallele Geschichtsschreibung zur offiziellen
israelischen vor, die wesentlich überzeugender und näher
an der historische Wahrheit ist. So verweist er auf einen
"wesentlichen Konstruktionsfehler des zionistischen Gedankens", der
bereits in den 30er-Jahren erhoben wurde, dass nämlich das
Land von anderen bewohnt war. Der Autor weist damit den Slogan vom
"Land ohne Volk für ein Volk ohne Land" von Israel Zangwill
als Legende zurück. Wie er generell alle zionistischen
Gründungsmythen und die anderen, die sich um die Kriege
Israels ranken, als Geschichtsklitterung entlarvt. Auch hier
präsentiert der Autor nur den historischen Forschungsstand und
widerlegt damit die propagandistische Rhetorik.
Der Autors behandelt das Verhältnis zwischen Israel, dem
Libanon und den Palästinensern, den alltäglichen
Zionismus, seine jüdische Jugend im Nachkriegsdeutschland, die
Identitätssuche zwischen Deutschland und Israel sowie den
Zusammenhang zwischen Holocaust und jenen Mythen, die sich um die
Entstehung Israels und seiner Politik ranken. Letzteres wurde
insbesondere dafür instrumentalisiert, um die Integration der
arabischen Juden, die in Folge der Nahostkriege ihre arabische
Heimat verließen, zu rechtfertigen, obgleich diese niemals von
den aschkenasisch-europäischen Einwanderern als
gleichberechtigt anerkannt worden sind. Die Widersprüche und
Instrumentalisierungen seitens des europäischen Judentums
benennt der Autor klar.
Brecher entzog sich durch Verweigerung dem Libanon-Abenteuer von
Jahr 1982. Trotz der befürchteten Ablehnung durch seine Umwelt
fühlte er sich wie befreit. Es kam zu einer bizarren Szene,
die am Abschluss seines Dienstes als Bildungsoffizier in der Armee
stand, der er sich geistig niemals zugehörig fühlte. So
erklärte ein Oberst: "Für jemanden wie Dich ist bei uns
kein Platz. Du wirst aus dem Erziehungskorps entfernt."
Trotzdem erhielt er im Mai 1985 eine Urkunde, eine
Kriegsauszeichnung und ein Ordensband. Der kurze Text, der
eingerahmt war vom Emblem der Israelischen Armee und dem Abzeichen
des Erziehungskorps, lautete: "Für Daniel Brecher, mit unserer
Hochachtung für seinen erzieherischen Beitrag zum Krieg
'Frieden für Galiläa'". Dass der Autor niemals hinter
dieser verheerenden Militäraktion und deren Sicherheitsdoktrin
stand, ehrt ihn.
Zementierung von Vorurteilen
Brecher bekam zwar die Leitung eines Museums in Deutschland
angeboten, entschied sich aber für Holland als neuer Heimat,
weil er sich den Debatten über "Deutsch" und "Jüdisch"
entziehen wollte, die immer wieder Zündstoff für heftige
Streitgespräche lieferten. Viele dieser Auseinandersetzungen
zielten nicht auf den Abbau von Vorurteilen, sondern auf den Erhalt
von Gruppenidentitäten und die Zementierung politischer
Urteile. Der Autor fürchtete sich vor dem kollektiven Druck
und einer zu rigiden Identifizierung mit Israel und den engen
Grenzen, die in Deutschland fast immer einer Kritik an der Politik
des Landes gesetzt wurden.
Dem Buch ist eine breite Aufmerksamkeit zu wünschen.
Insbesondere die politische Bildung, die sich die politische
Aufklärung auf die Fahnen geschrieben hat, sollte sich
Brechers Fazit zu Herzen nehmen: Zuerst solle im weitesten Sinne
über die wahren Ursachen der Gewalt gesprochen werden, und
zwar "die permanente Besiedelung der im Jahr 1967 eroberten Gebiete
und die Unterdrückung der Bevölkerung". Ein Dialog kann
nach Brechers Worten erst dann Früchte tragen, "wenn die
jüdische Seite ihre Verantwortung für die Folgen des
eigenen Handelns schultert - die Zerschlagung der arabischen
Gesellschaft Palästinas, die Zerstörung von
Menschenleben, von Wirtschaft und Kultur dieses arabischen Landes -
und sich zum begangenen Unrecht bekennt". Israel müsse sich
zur wichtigsten jüdischen Tradition bekennen - der
Gerechtigkeit.
Daniel Cil Brecher
Fremd in Zion.
Aufzeichnungen eines Unzuverlässigen.
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2005; 416 S., 22,90
Euro
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