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Kultur für alle – Luxus oder Bürgerrecht?

Bild: Siegmund Ehrmann
Im Gespräch: Siegmund Ehrmann ...

Bild: Gitta Connemann
... und Gitta Connemann.

Bild: Sönke Peterson führt das Gespräch
Gesprächsführer Sönke Peterson (Bildmitte).

Streitgespräch Kulturförderung

Durch knappe öffentliche Kassen werden die Verteilungskämpfe auch im Kultursektor immer härter. Betroffen davon sind nicht nur die „Leuchttürme“ kostspieliger Vorzeigekultur wie etwa Spitzenorchester oder große Museen, sondern auch Kirchenchöre, Kunstvereine und Theatergruppen vor Ort. Welchen Stellenwert hat die Breitenkunst bei uns? Darüber sprach BLICKPUNKT BUNDESTAG mit der Vorsitzenden der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“, Gitta Connemann (CDU/CSU) und dem Obmann der SPD-Bundestagsfraktion in dieser Kommission, Siegmund Ehrmann.

Blickpunkt Bundestag: Fast sieben Millionen Menschen engagieren sich in Deutschland ehrenamtlich für die Kultur. Das ist eine beeindruckende Zahl. Wo aber liegen die Probleme?

Gitta Connemann: Diese Kulturschaffenden fühlen sich öffentlich, auch von der Politik, zu wenig wahrgenommen. Viele dieser Menschen fühlen sich nicht ernst genug genommen. Dabei geht es weniger um finanzielle Unterstützung als um öffentliche Anerkennung. Und um die Erleichterung der Arbeit durch vernünftige Rahmenbedingungen. Das sollten wir ernst nehmen, denn aus der Breitenkultur entsteht ja auch die Spitzenkultur, die wir ja glücklicherweise haben.

Siegmund Ehrmann: Ich finde auch, dass diese engagierten Menschen öffentliche Aufmerksamkeit auf jeden Fall verdient haben. Allerdings sollten wir auch nicht zu schwarz malen. Denn die kommunale Kulturförderung hat dieses Engagement durchaus im Auge. Jedenfalls kann ich das für Nordrhein-Westfalen sagen, wo ich selbst als Kulturdezernent einer Kommune lange Zeit Verantwortung trug. Von einem allgemeinen Herausfallen aus der öffentlichen Förderung und einer mangelnden Wahrnehmung kann aber keine Rede sein. Richtig aber ist natürlich, dass in Zeiten knapper Kassen vieles schwieriger wird.

Blickpunkt: Welche neuen Aufschlüsse erwarten Sie denn von der Bundesregierung bei der Beantwortung der Großen Anfrage der CDU/CSU zur Kulturpolitik?

Connemann: Wir wollen endlich etwas von den Strukturveränderungen erfahren, die sich bei der Breitenkultur abzeichnen. Etwa bei der Überalterung von Vereinsvorständen oder bei der abnehmenden Bereitschaft vieler, Verantwortung in Vereinen zu übernehmen, weil die Haftungsrisiken immer größer werden.

Blickpunkt: Was hat der Bund mit der Breitenkunst zu tun? Wir propagieren doch gern die Eigenverantwortung der Menschen und das Prinzip der Subsidiarität. Ist Kultur vor Ort insofern nicht Sache der Kommunen und Länder?

Ehrmann: Richtig. Der Bund hat nur sehr schmale eigene kulturpolitische Kompetenzen. Aber er kann natürlich Rahmenbedingungen schaffen, die förderlich sind. So kann er etwa beim Gemeinnützigkeitsrecht an bestimmten Stellschrauben drehen, um auch den Akteuren in der Breitenkultur das Erschließen privater Finanzquellen zu erleichtern. Damit wäre zum Beispiel vielen Chören oder Theatergruppen sehr geholfen.

Connemann: Genau. Wenn ein Vereinsvorstand im heutigen Dickicht steuer- und sozialrechtlicher Regeln nicht mehr durchfindet und fahrlässig einen Fehler macht, haftet er mit seinem Privatvermögen. Das schreckt verständlicherweise viele Menschen ab, Verantwortung zu übernehmen. Ich wünschte mir auch, dass ein kleiner Verein mit 40 Mitgliedern nicht dieselben steuerlichen Anforderungen erfüllen muss wie etwa das Rote Kreuz oder der ADAC als großer Verein. Da sind viele kleine örtliche Kulturträger einfach überfordert.

Ehrmann: Auf der Haftungsseite sehe ich weniger akuten gesetzgeberischen Handlungsdruck. Die steuer- und sozialversicherungsrechtlichen Aspekte sind in der Tat bei einer verantwortlichen Vereinsführung nicht zu unterschätzen.

Blickpunkt: Sollte sich der Bund auf die Förderung so genannter Leuchtturmkultur, also auf nationale Prestigeprojekte, konzentrieren? Auch in der Bildungspolitik mischt sich der Bund ja nicht in die örtliche Schulpolitik ein.

Connemann: Das Hin- und Herschieben der Zuständigkeitsfrage ist bei der Lösung der Probleme ebenso wenig hilfreich wie ein gegenseitiges Ausspielen von Breiten- und Spitzenkultur. Wir brauchen beides. Unbestritten ist, dass die finanzielle Förderung der Breitenkultur Sache der Kommunen und Länder ist. Aber die gesetzgeberischen Rahmenbedingungen sind nun einmal Sache des Bundes. Da darf er sich nicht aus der Verantwortung stehlen. Gerade weil wir die Breitenkultur, die ja zugleich eine Bürgerkultur ist, brauchen. Es gibt keinen kulturellen Leuchtturm, der nicht auf dem Grund breiten gesellschaftlichen Kulturengagements stünde. Gerade die Laienkulturvereine leisten hier vor Ort unglaublich gute Arbeit. Ich spreche hier aus der Erfahrung als Vizepräsidentin einer Bundesvereinigung von 18.000 Blaskapellen, Spielmanns- und Fanfarenzügen. Angeschlossen sind 1,3 Millionen Mitglieder, von denen mehr als 60 Prozent unter 27 Jahre sind. Viele dieser Jugendlichen stammen aus Familien, in denen sie nicht die Chance gehabt hätten, Zugang zur kulturellen Bildung zu finden. Denn teure Musikschulen hätten sie nicht bezahlen können.

Ehrmann: Leuchttürme entwickeln sich nicht ausschließlich aus der Breitenkultur. Wir sollten diese zweifellos wichtig nehmen und unterstützen. Aber genauso wichtig ist natürlich die Auseinandersetzung mit der Förderung öffentlicher und privater Kultur insgesamt, der wirtschaftlichen und sozialen Situationen der Künstler und der kulturellen Bildung. Viele Künstler sind zum Beispiel durch die Arbeitsmarktreform-Gesetzgebung hart betroffen. Hier liegt wirklich ein Problem. Breitenkultur ist wichtig, aber Kreativität entsteht nicht nur aus ihr heraus. Deshalb müssen wir sicherstellen, dass öffentlich finanzierte Kulturförderung auch weiterhin erfolgt. Leider haben wir auf Grund der Finanzkrise hier erhebliche Probleme. Wenn Sie bedenken, wie viele Bibliotheken geschlossen werden, wie schwer es Musikschulen haben, was in der Theaterlandschaft passiert – da gibt es Sollbruchstellen, die ans Eingemachte gehen. Gut, der Bund hat hier keine originären Kompetenzen, aber wir sind uns in der Kommission doch grundlegend einig, dass wir hier vernetzt denken und neue Impulse setzen müssen.

Connemann: Natürlich besteht auch hier Handlungsbedarf. Die Basis aber bleibt die Breitenkultur. Wenn ich eine Lobby für Kultur erzeugen will, und die brauchen wir, ist eine starke Bewegung aus der Bevölkerung Voraussetzung. Und die bekommen wir nicht, wenn Kultur nur über Nationaltheater und Spitzenorchester als Luxus für einige Privilegierte und Begüterte wahrgenommen wird.

Ehrmann: Ich glaube, da haben Sie eine falsche oder verzerrte Wahrnehmung. Kultur, verehrte Kollegin, auf eine privilegierte Interessentenschicht abzustellen, hieße, die soziale Breite des Kulturpublikums zu unterschätzen.

Blickpunkt: Was halten Sie davon, die Kulturförderung als Staatszielbestimmung in das Grundgesetz aufzunehmen?

Connemann: Ich unterstütze diese Forderung uneingeschränkt und hoffe auf ihre Realisierung.

Ehrmann: Das sehe ich auch so. Das würde unserer Verfassung gut anstehen.

Das Gespräch führte Sönke Petersen.
Fotos: Anke Jakob
Erschienen am 30. Mai 2005

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