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Die schwere Rede

Bild: Arnold Vaatz mit einem Schild: NEIN
Arnold Vaatz, CDU/CSU.

Mut zum Ja, Mut zum Nein

Es gehört Mut dazu, gegen den Strom zu schwimmen, eigene Ängste zu überwinden, über den eigenen Schatten zu springen. Aber ist es „cool“, vorgesehene Wege zu verlassen, fördert es die Karriere, den Windschatten des Zeitgeistes zu vermeiden? Manchmal hat man keine Wahl. Arnold Vaatz, CDU/CSU, hat 1989 die Stasizentrale in Dresden besetzt.

Während der Revolution in der DDR 1989 geschahen atemberaubende Dinge: Es gab volle Kirchen und lange Demonstrationen, die Rufe nach Freiheit und Demokratie und schließlich den Fall der Mauer. Lange aber gab die SED ihre wichtigsten Machtinstrumente nicht aus der Hand: Polizei, Armee und vor allem die unsichtbare Stasi. Wir Bürgerrechtler hatten eine große Sorge: Einerseits, dass es ohne Entmachtung der Stasi keinen endgültigen Sieg der Demokratie gäbe, andererseits, dass eine wirkliche Besetzung der Stasizentralen in einem Blutbad enden könnte.

Im November kamen in Dresden Gerüchte auf, dass die Stasi im großen Stil Akten schreddern würde. Kein Zweifel: Beweismittel für die Verbrechen der Stasi sollten vernichtet werden. Oppositionelle aus der Gruppe der 20 und dem Neuen Forum forderten die Staatsanwaltschaft auf, die Akten sicherzustellen. Außerdem riefen wir zu einer Demonstration vor dem Dresdner Stasigebäude auf. Wir hatten kein Vertrauen in die Behörden und den Beteuerungen des Stasichefs, die Aktenvernichtung einzustellen, konnten wir sowieso nicht glauben.

Schon gegen Mittag des 5. Dezembers drängelten sich vor der grauen Mauer des Stasigeländes viele Menschen. Die Stasiposten verweigerten den Bürgern den Zutritt. Als aber nur kurz das Tor aufging, drängelte ich mich mit ein paar Leuten auf den Hof. Drinnen gab es lange Gespräche zwischen uns Bürgerrechtlern, den Staatsanwälten und den Stasioffizieren. Schließlich setzten wir uns durch und bekamen das Recht, alle Räume zu inspizieren und alle Akten, Schränke und Schreibtische zu versiegeln.

Es wurde kritisch, als es plötzlich hieß, dass hunderte Demonstranten auf das Gelände drängen würden. Die Lage schien zu eskalieren. Die Stasileute fühlten sich bedroht, wir hatten Angst, dass sie die Waffenkammern öffnen könnten. In der aufgeheizten Atmosphäre entschloss ich mich, ohne Mikrofon eine kurze Ansprache zu halten. Ich rief in die Menge, dass unsere Sache gewonnen sei, dass keine Akten mehr vernichtet würden, aber die Stasileute beunruhigt seien und es keine Eskalation geben dürfe. Ich beschwor die Leute, keine Gewalt anzuwenden. Ich bat sie, als Zeichen des guten Willens für eine Viertelstunde den Hof zu verlassen. Nach einigen Minuten war der Hof tatsächlich ziemlich leer. Jetzt war klar, es würde alles friedlich ausgehen. Als ich wieder nach oben in das Gebäude ging, schlotterten mir immer noch die Knie. Die Stasileute wurden dann abends in Bussen vom Gelände nach Hause gefahren. Wir Bürgerrechtler haben die Stasizentrale die nächsten Tage besetzt gehalten. Unsere Freude und unsere Erleichterung waren riesengroß.

Aufgezeichnet von Tobias Asmuth,
Foto: Photothek
Erschienen am 30. Mai 2005


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