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Verantwortung

Bild: Gisela Piltz mit einem Schild: JA
Gisela Piltz, FDP.

Mut zum Ja, Mut zum Nein

Es gehört Mut dazu, gegen den Strom zu schwimmen, eigene Ängste zu überwinden, über den eigenen Schatten zu springen. Aber ist es „cool“, vorgesehene Wege zu verlassen, fördert es die Karriere, den Windschatten des Zeitgeistes zu vermeiden? Manchmal hat man keine Wahl. Gisela Piltz, FDP, ist der deutschen Vergangenheit nicht ausgewichen.

Es war ein toller Urlaub, ein Strand auf Hawaii, kilometerlang, mit einer starken Brandung, mein Freund ging sofort surfen. Leider begann es, von jetzt auf gleich zu regnen. Alle Leute sammelten sich unter einer Holzhütte am Strand, nur mein Freund blieb noch draußen wegen der Wellen. Amerikaner sind unkomplizierte Leute. Ich mag das und war nicht überrascht, als ein Mann um die vierzig auf mich zukam und fragte, ob ich an der Yale-Universität studiert hätte, weil ich ein Yale-T-Shirt trug. „Leider nein“, antwortete ich. „Macht nichts“, sagte er und lachte, „ich auch nicht“. Wir haben uns dann lange über Hawaii unterhalten und über die Menschen auf den Inseln.

Dann kam mein Freund an den Strand zurück, und ich begrüßte ihn auf Deutsch. Da merkte ich schon, dass mein amerikanischer Gesprächspartner zu Stein wurde, irgendwie ahnte ich auch warum. „Kommen Sie aus Deutschland“, fragte er. Als ich ja sagte, meinte er, dass er sich dann nicht länger mit mir unterhalten könne: „Meine Eltern waren in einem KZ.“ Ich habe noch gesagt, dass ich doch derselbe Mensch wie vor drei Minuten sei, aber er ist sofort gegangen. Es war eine komische Sache, ich fühlte mich verletzt, gleichzeitig habe ich den Mann auch verstanden. Ich denke, die Opfer des Holocausts und auch ihre Kinder haben das Recht, mit ihren Erfahrungen so umzugehen, wie sie es für richtig halten.

Es wäre natürlich leicht gewesen für mich zu sagen: Nein, ich komme aus der Schweiz. Fertig und aus. Was hat die deutsche Geschichte in meinem Urlaub zu suchen? Aber ich wollte meine Herkunft nicht verleugnen. Nicht weil ich stolz bin, eine Deutsche zu sein. Ich fand den Satz immer ein wenig albern. Worauf soll ich stolz sein? Dass ich einen deutschen Pass habe, dafür kann ich nichts, höchstens meine Eltern. Ich denke nur, dass niemand seine Verantwortung für die Vergangenheit leugnen kann. Leider haben das die Deutschen lange genug nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs getan. Heute aber setzen wir uns mit unserer Geschichte auseinander. Das finde ich richtig und gut.

Dass Deutschland nicht vor der Nazizeit die Augen zumacht, versuche ich auch den Leuten zu erklären, wenn ich ins Ausland reise. Darin sehe ich nicht meine Mission, aber ich werde eben oft von Menschen in Europa oder Amerika darauf angesprochen, wie es jetzt in Deutschland ist. Ich selbst denke, dass für mich neben dem Unterricht über den Nationalsozialismus in der Schule auch die Auseinandersetzung mit der eigenen Familie eine große Rolle gespielt hat. Ein Großvater ist im Krieg gefallen, der andere war ein NSDAP-Mitglied. Vielleicht ist für mich deshalb klar, dass keiner vor der Vergangenheit fliehen kann. Darum finde ich auch den Spruch „Jetzt muss aber mal Schluss sein“ schlimm. Wenn man seine Vergangenheit annimmt und sich damit beschäftigt, dann hört das nicht einfach auf – auch nicht am Strand, wenn es gerade praktisch wäre.

Ich hatte dann auf der Reise in New York auch noch ein sehr schönes Erlebnis. Als wir in einer jüdischen Bäckerei Kaffee tranken, hat sich eine alte Frau zu uns gestellt und auf Deutsch gesagt: „Sie kommen aus Deutschland, das ist aber nett. Aus welcher Stadt denn genau?“

Aufgezeichnet von Tobias Asmuth,
Foto: Photothek
Erschienen am 30. Mai 2005


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