Jörn Weder
Im Bann des Supersommers
Spannende Forschung: dem Klimawandel auf der
Spur
Der Supersommer des Jahres 2003 wäre vor 20
Jahren in Deutschland noch undenkbar gewesen. Eine solch heiße
Saison ist in den zurückliegenden zwei Jahrzehnten statistisch
gesehen 20-mal wahrscheinlicher geworden. Und dennoch: Sie
würde sich nach der heutigen Datenlage lediglich alle 400
Jahre wiederholen. Macht der Klimawandel allerdings weitere
Fortschritte wie zuletzt, dann müssen wir nach 2050 jedes
zweite Jahr mit einer abnormen und brutalen Hitze dieser Art
rechnen. Mit diesem Beispiel macht der Frankfurter Klimatologe
Christian Schönwiese deutlich, wie der vergangene Sommer die
Arbeit deutscher Klimaforscher spannend und konkret macht.
Nicht alle Folgen des absehbaren Klimawandels
werden für die Bundesrepublik negativ sein. Das
Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) versucht,
durch die modellhafte Verknüpfung bekannter regionaler
klimatischer Eigenheiten mit dem wahrscheinlichen globalen Trend
herauszufinden, wie sich das Wettergeschehen auch in einzelnen
deutschen Landschaften in den kommenden Jahrzehnten gestalten wird.
So steht zu befürchten, dass sich der für
Berlin-Brandenburg typische Mangel an Niederschlägen mit der
Folge neuerlicher Missernten noch stärker ausprägen
wird.
Andererseits kann aber der deutsche Weinbau
vermutlich über den Werderaner Wachtelberg bei Berlin weiter
nordwärts rücken. In Südengland hat sich die
Rebenfläche in den zurückliegenden 15 Jahren bereits
verdreifacht. Selbst Dänemark hat sich die EU-Zulassung
für eine erste kleine Versuchsanlage geholt.
Auch diese Entwicklung hat freilich eine
Kehrseite. Die auf kühle Herbstnächte für ihre
Reifung angewiesene Riesling-Rebe ist unter Umständen im
Rheingau nicht mehr zu halten und muss dann möglicherweise
einem Cabernet Sauvignon weichen. Wer heute Reben pflanzt, die in
30 Jahren ihr Ertragsoptimum haben werden, der müsste - so
Manfred Stock vom PIK - heute schon wissen, in welchem Klima seine
Trauben blühen und fruchten werden. Die Potsdamer
Wissenschaftler wollen nach den Worten von Professor Wolfgang
Cramer nicht in den Fehler der Waldschadensforscher verfallen und
für die Zukunft nur schwarz malen. Beispielsweise könnten
ausgedehnte warme Jahreszeiten einen Badeurlaub an Ost- und Nordsee
sehr viel anziehender als heute machen.
Sorgenkind Wolken
Auf die deutsche Klimawissenschaft warten
laut Christian Schönwiese große und wichtige Aufgaben:
Die Rechenmodelle müssten noch genauer und verlässlicher
werden, so dass man auch für begrenzte Regionen und für
die Niederschläge brauchbare Aussagen machen könne. Die
Wolken bleiben ein schwer berechenbares "Sorgenkind" der Forscher.
Extremereignisse wie Starkniederschläge, die mögliche
Überflutungen nach sich ziehen, sind seit dem Elbehochwasser
von besonderem Interesse.
Ebenso ist es für die Wissenschaftler
nützlich und notwendig, die Riesenfülle der
Beobachtungsdaten zu analysieren - auch für weit
zurückreichende Zeiten, als der Mensch noch nicht in das Klima
eingriff. Dies helfe, die natürlichen und die menschlichen
Einflüsse auf das Klima zu trennen. Die Forscher wollen zudem
genauer ermitteln, welche Folgen Veränderungen in der
chemischen Zusammensetzung der Atmosphäre haben, und das nicht
nur wegen der bodennahen Ozonbelastung oder des Ozonlochs hoch in
der Stratosphäre.
Durch die Zusammenarbeit mit Geologen und
Ozeanologen hat es laut Schönwiese bereits "riesige"
Fortschritte beim Aufspüren von Klimawandlungen gegeben, die
sehr lange zurückliegen. So sei man auch auf abrupte
Klima-Umstürze in Europa gestoßen, die mit
Änderungen der ozeanischen Zirkulation, vor allem des
Golfstroms, verknüpft waren. Auf solche Sprünge in der
Klimaentwicklung, in der Klimavariabilität im weitesten Sinne,
richtet sich verstärkt das Interesse der Forscher - nicht nur
am PIK, sondern auch am großen Max-Planck-Institut für
Meteorologie in Hamburg mit seinem leistungsstarken Rechenzentrum.
Im Blick ist ein mögliches Wegschmelzen des westantarktischen
Eisschildes oder des Grönlandeises, jeweils verbunden mit
einem verheerenden Anstieg des Meeresspiegels.
Die Furcht, dass das Klima sehr
plötzlich aus den gewohnten Gleisen springt, hat die Forscher
um Hartmut Graßl (Hamburg) und Hans Joachim Schellnhuber
(Potsdam) bewogen, im neuen Gutachten des Wissenschaftlichen
Beirats für Globale Umweltveränderungen einen kritischen
Schwellenwert von zwei Grad Celsius für die globale
Erwärmung vorzugeben, der nicht überschritten werden
sollte. Wenn die Politik diese Vorgaben ernst nimmt, müsste
sie die Umstellung auf eine von Treibhausgas freie
Energieversorgung sehr viel rascher vorantreiben,
einschließlich des Abscheidens von CO2 aus dem Rauch von
Kohlekraftwerken und der Speicherung des Gases in geologischen
Formationen. Über die Hälfte der Kohlenstoffemissionen in
den neunziger Jahren haben die Meere und die Wälder
geschluckt. Deshalb verdienen die Kreisläufe des die
Temperatur bestimmenden Kohlendioxids zwischen Atmosphäre,
Ozean und der Vegetation der Landoberfläche große
Aufmerksamkeit.
Das Bundesministerium für Bildung und
Forschung hat die Klima- und Atmosphärenforschung in
Deutschland im Jahre 2003 mit rund 200 Millionen Euro
gefördert. Für Themenfelder wie Globaler Wandel,
Geotechnologien oder Meeres- und Polarforschung, die der
Klimafwissenschaft zumindest benachbart sind, haben die
Einrichtungen der Helmholtz-Gemeinschaft noch einmal weitere 140
Millionen Euro erhalten; aber diese Summe schließt dann auch
große technische Hilfswerkzeuge wie Satelliten, Schiffe und
Rechner ein. Weil die Bundesrepublik auf diesen Feldern auch
international Furore macht, avisiert das Ministerium für
diesen Bereich "einen finanziellen Aufwuchs" in den nächsten
Jahren.
Eine solch vielversprechende Aussage wird
für die Einzel-Projektförderung im DEKLIM-Programm nicht
gemacht. Und deshalb bangen die davon abhängigen
Wissenschaftler, mit welchen Geldern sie nach 2005 noch rechnen
können. Vier der viereinhalb Forscherstellen im
Meteorologischen Institut von Schönwiese finanzieren sich aus
derartigen Drittmitteln. Die deutsche Klimaforschung hat sich mit
Hilfe starker staatlicher Unterstützung ein internationales
Renommee erarbeitet, das dem der US-Amerikaner und Briten nicht
nachsteht. Dass die Bundesrepublik zu den politischen Pionieren des
Klimaschutzes in der Welt gehört, hat auch darin seine
Ursache.
Der extrem heiße Sommer 2003 hat die
bodennahen Ozonwerte in Deutschland wieder auf Belastungsspitzen
ansteigen lassen, wie sie in dieser Häufigkeit und Dauer seit
Jahren nicht mehr gemessen wurden. Das Klima hat also auch insofern
etwas mit der Gesundheit der Menschen zu tun. An sieben Tagen im
August wurde sogar der Schwellenwert von 240 Mikrogramm pro
Kubikmeter der neuen EU-Richtlinie überschritten, was nach dem
alten deutschen Ozon-Gesetz Fahrverbote ausgelöst hätte.
Diese Entwicklung ist umso beunruhigender, als die Emissionen der
das Ozon bildenden Vorläuferstoffe - das sind Stickoxide und
flüchtige organische Substanzen - gegenüber 1990 um etwa
die Hälfte gesunken sind.
Das Umweltbundesamt stellt fest, dass die von
der EU vorgegebenen langfristigen Ziele für die Ozonbelastung
von Menschen und Vegetation nicht binnen weniger Jahre zu erreichen
seien. Erst mit den für das Jahr 2010 geltenden nationalen
Emissionshöchstmengen dürfe man hoffen, die
Bodenversauerung zu halbieren sowie die Ozonbelastung der
Gesundheit um zwei und die der Vegetation um ein Drittel
zurückzuführen. Professor Wolfgang Seiler, Direktor des
Fraunhofer-Instituts für atmosphärische Umweltforschung
in Garmisch-Partenkirchen, ist da-
gegen zuversichtlich, dass in wenigen Jahren
zumindest eine fühlbare Besserung eintreten wird.
Die beschlossenen Maßnahmen zur
Vermeidung von Stickoxiden im Kraftverkehr, insbesondere bei den
Lastwagen, würden "das Streichholz am Pulverfass auspusten".
Es blieben dann noch die Ausgasungen der Vegetation und die
Verwehungen aus dem Ausland, denen entweder gar nicht oder nur
schwer beizukommen sei.
Ein heißes, trockenes Klima ist auch dem
deutschen Wald nicht bekömmlich. Insofern kann es niemanden
verwundern, dass der Supersommer 2003 dem Gesundheitszustand des
Waldes abträglich war. Wiederholen sich diese
außergewöhnlich große Hitze und Trockenheit in
dichter Folge, dann muss man für den deutschen Wald erneut
Schlimmes befürchten.
Die Wiederkehr von Brandgefahr insbesondere
in den brandenburgischen Forsten ist dabei nur eine Sorge unter
anderen. Der deutsche Wald steht nämlich auf einer Altlast
düngender und versauernder Niederschläge, die sich im
Boden angesammelt haben. Die Grenzen der Belastbarkeit von
empfindlichen Ökosystemen mit solchen Niederschlägen - im
internationalen Sprachgebrauch als "Critical Loads" bezeichnet -
werden in der Bundesrepublik "flächendeckend, massiv und im
wesentlichen unverändert überschritten". Die
luftversauernden schwefligen Emissionen sind zwar auf ein Sechstel
und weniger zurückgegangen, doch die nicht im gleichen
Maße gesunkenen sauren Einträge sind vielerorts
gleichwohl für Boden und Wald zuviel, wie Professor Johannes
Eichhorn von der hessischen Forsteinrichtung
konstatiert.
Noch viel weniger können die Wälder
die Stickstoffeinträge verkraften, deren Niveau weiterhin hoch
ist. 40 Fachwissenschaftler waren sich im Herbst 2003 bei einer
Zusammenkunft im Umweltbundesamt einig, dass nunmehr alle bekannten
Techniken zur Minderung der Ammoniak-Emissionen aus der
landwirtschaftlichen Tierhaltung einzusetzen sind, aus denen allein
die Hälfte des Stickstoffeintrags stammt.
Der Zustand der Kronen deutscher
Waldbäume wird nach wie vor Jahr für Jahr systematisch
ermittelt, und auch die niedergehenden Schadstoffe und ihre
Hinterlassenschaften werden an 89 Messstellen in der Republik
analysiert. Das Programm der einstmals üppig dotierten
Waldschadensforschung aber hat das Bundesministerium für
Forschung 1998 eingestellt. Die Forstlichen Versuchsanstalten der
Länder und des Bundes sowie Forstkundler an den
Universitäten haben mit ihren begrenzten Mitteln das
Schadensbild weiter im Auge.
Ihr Interesse wie auch die Fördermittel
sind aber nun eher darauf gerichtet, den Wald mit Mitteln
gesünder zu machen, die der Natur angepasst sind - damit die
Bäume den Einwirkungen des Klimas und schädlicher Stoffe
besser standhalten können. Es ist nicht entschieden, ob das
gelingt. Denn der deutsche Wald stand 2003 im Ganzen gesehen immer
noch erheblich schlechter da als zu Beginn der systematischen
Schadenserfassung 1984. Dietrich Jörn Weder arbeitet als
freier Umweltjournalist in Frankfurt am Main.
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