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Annette Rollmann
Der Student von morgen: ein Manager seiner
selbst, flexibel und zielstrebig
Das Hochschulstudium steht vor radikalen
Umbrüchen
Wer in den 70er- und 80er-Jahren an die
Universität ging, wollte nicht nur etwas lernen. Denn die
Hochschule war in den meisten Fällen auch ein Ort der
Selbstfindung. Manchmal waren die Diskussionen außerhalb des
Seminarraums wichtiger als die Debatten mit dem Professor. Oft
konnte man die eigene Weltanschauung gründlicher
durchdeklinieren als jede wie auch immer geartete Fragestellung im
eigenen Studienfach. Aber das war egal. Im Geist der Zeit spielte
das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung eine wichtige
Rolle.
Die Zeit des Studiums war ein
Lebensabschnitt, in dem die zukünftige Elite des Landes sich
auch weitab vom eigenen Fächerkanon ausprobieren durfte. Wer
nicht gerade zum politisch radikalen Verfassungsfeind mutierte,
verbaute sich durch diese intensive Selbsterforschung trotzdem
nicht die Zukunft: Am Ende stand der Abschluss und dann, mit
großer Wahrscheinlichkeit, der Eintritt ins Berufsleben. Wenn
alles gut ging arbeitete man sich "hoch", blieb vielleicht ein
Leben lang einem Unternehmen oder einer Behörde
treu.
Das sind Geschichten aus der Vergangenheit.
Die Zukunft sieht anders aus. Geistige und räumliche
Mobilität werden die wichtigsten Posten im Lebenslauf sein.
Der Präsident der Freien Universität Berlin, Dieter
Lenzen, sagt voraus, dass sich künftig jeder Akademiker im
Laufe seines Lebens in fünf Berufen probieren müsse -
wenn auch in artverwandten Tätigkeiten. Und das bis zum Alter
von immerhin 70 Jahren. Eine solche Prognose hätte den
Hochschülern vor 20 Jahren den Atem stocken lassen.
Die Studenten von Morgen werden anders als
frühere Generationen nicht mehr auf einen Arbeitsmarkt
treffen, der für sie im Vergleich zu ihrer Elterngeneration
einen Aufstieg verheißt. Oft ist das Gegenteil der Fall: Die
meisten Hochschüler müssen schon jetzt während des
Studiums jobben, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Wer einen
Universitätsabschluss macht, kann kaum damit rechnen, danach
schnell eine gut dotierte Festanstellung zu bekommen.
Oft verläuft der Berufsteinstieg
mühselig und zäh, ein Praktikum folgt auf das andere, es
gibt höchstens Zeitverträge, Assistenzen, Projektstellen.
"Der Student der Zukunft muss mehr ein Manager seiner selbst
werden", sagt Ulrich Teichler, Geschäftsführender
Direktor des Wissenschaftlichen Zentrums für Berufs- und
Hochschulforschung in Kassel. Er werde sich innerhalb des Studiums
darum bemühen müssen, seine eigene Qualifizierung
"zusammenzustellen". Der künftige Student könne sich
nicht nur in vorgegebenen Bahnen bewegen, sondern müsse nach
einer eigenen Profilierung suchen, so Teichler. Ähnliches
prognostiziert auch der Präsident der
Hochschulrektorenkonferenz, Peter Gaehtgens.
Größere Offenheit
Globalisierung ist in Zukunft nicht mehr ein
Terminus Technicus, der lediglich als Fachbegriff in
Wirtschaftsteilen von Zeitungen benutzt wird. Für die
Studenten findet die Globalisierung im Seminar statt. Dort werden
Kommilitonen aus aller Welt sitzen. Es wird selbstverständlich
erwartet werden, dass man mit ihnen kommunizieren kann, nicht nur
auf Deutsch, Englisch oder Französisch, sondern
nötigenfalls auch auf Chinesisch, Polnisch oder Russisch.
"Studierende müssen sich einen weltweiten Horizont aneignen
und mit anderen Kulturen sehr viel vertrauter umgehen als bislang",
sagt Gaehtgens. Außerdem müsse der Hochschüler von
Morgen verstehen, dass das, was er während seiner Ausbildung
lernt, nur eine erste Etappe ist. Gaehtgens: "Neben der mobilen
Beweglichkeit benötigen die Studierenden eine stärkere
geistige Beweglichkeit."
Philipp Ther hat in den USA studiert, ist
Osteuropaexperte und spricht fließend Polnisch. Der
Juniorprofessor an der Viadrina in Frankfurt/Oder erlebt die
Veränderungen schon jetzt in der Praxis: "Ich sehe bei meinen
Studenten ein viel größeres Verständnis für
andere Kulturen. Die haben ihren Urlaub nicht nur in England und
Italien verbracht, so wie meine Studentengeneration noch."
Auslandssemester sind heute normal. Doch sei es auf der anderen
Seite auch wichtig, für die Hochschüler Anreize zu
schaffen. Wie in der Diskussion dieses Winters immer öfter von
politischer Seite gefordert, plädiert auch der Juniorprofessor
für die Einführung von Studiengebühren. Über
die Höhe streiten sich die Fachleute. Manche nennen 100 Euro
im Semester, andere wollen es bei 500 Euro bewenden lassen. Ther
kann sich durchaus 1.000 Euro Studiengebühren im Semester
vorstellen, "wenn sie sozial gestaffelt sind". Seine
Begründung: "Denn nur dann verstehen die Studenten, dass die
Lehre auch etwas wert ist. Dass Bildung Geld kostet." Wobei der
Gedanke der Elitenbildung kein Tabu mehr ist: "Die besten 15
Prozent eines Jahrgangs sollen nichts zahlen müssen. Das
schafft einen Anreiz."
Uni als Dienstleister
Viele Hochschüler nebst ihren
organisierten Interessenvertretungen engagieren sich indes nach wie
vor gegen Studiengebühren. Sie befürchten, dass sich dann
zahlreiche junge Leute das Studium nicht mehr leisten können.
Aber Philipp Ther erwartet Veränderungen nicht allein von den
Studenten. Auch die Hochschulen müssten sich neuen Bedingungen
anpassen. "Die Uni muss stärker als Dienstleister wahrgenommen
werden", glaubt der Wissenschaftler, der auch für Rankings von
Professoren eintritt - denen nach seiner Ansicht durchaus
Sanktionsmöglichkeiten folgen müssten, wenn ein
Hochschullehrer nicht die nötige Punktzahl erreiche. Auf diese
Weise solle sich innerhalb der Universitäten im Interesse von
Lehre und Forschung der Wettbewerb erhöhen.
Auch Peter Gaehtgens sieht in der
Veränderung der Hochschulen und der Studenten einen
beidseitigen Prozess. Das Verhältnis der angehenden Akademiker
zu ihrer Universität müsse sich grundsätzlich
erneuern und umgekehrt: Die Beziehung der Hochschüler zur
Institution müsse enger werden, auch emotionaler. "Dann werden
die Studierenden die Universität stärker gestalten, und
zwar über ihren Abschluss hinaus", hofft der Präsident
der Rektorenkonferenz. Als Beispiel verweist er auf die Hochschulen
in den USA, an denen Studenten und Absolventen meist eine enge
emotionale Bindung zur "eigenen" Universität hätten und
pflegten. Gaehtgens hält es deshalb auch für sinnvoll,
wieder mehr zeremonielle Feiern zu inszenieren, die den Wert und
die Wertschätzung der Ausbildung emotional verdeutlichen und
erfahrbar machen sollen.
In gewisser Weise hat dieses stärkere
emotionale Verhältnis mit dem Streik in diesem Winter schon
begonnen. Es zeigt sich ein neues Selbstverständnis der
Studierenden, das über das Ende des Streiks hinausweist. "Der
Protest richtet sich von vornherein nach außen und nicht in
die Universität hinein", sagt Marcus Llanque, Politologe an
der Berliner Humboldt-Universität: "Das ist völlig neu."
Die Studenten bedienen sich ungewöhnlicher und witziger
Formen, um die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zu erlangen:
Sie übernachten bei Ikea, sitzen auf dem Boden und flicken mit
Nadel und Faden "löchrige Sparstrümpfe", um
"Haushaltslöcher zu stopfen".
Während des Streiks bleiben - wie
beispielsweise an der Berliner Humboldt-Uni - die Bibliotheken
geöffnet. Wenn Seminare abgehalten werden, dann wird
gleichzeitig sichergestellt, dass Hochschüler, die aufgrund
des Streiks nicht an Veranstaltungen teilnehmen, trotzdem einen
Schein bekommen können. Sie sollen kein Semester verlieren
müssen. Anders als früher ist der Protest nicht
ideologisch motiviert. Die Studenten versuchen vor allem, ihre
Interessen zu vertreten. "Die demonstrieren wie die Polizei", sagt
Llanque und meint das nicht abwertend.
Elite in der Rostlaube
Den Hochschülern geht es vor allem um
ihre Zukunft als Bildungselite. "Was für ein
Selbstverständnis drückt sich darin aus, wenn man in sein
Institut geht, das nur noch eine Rostlaube ist, und in einem
Gebäude arbeiten soll, das so abgeblättert und kaputt
ist, dass alles von den Wänden bröckelt? Sind wir
eigentlich noch die zukünftige Elite? Und wie geht man mit
Eliten um?", fragte eine Berliner Studentin bei einer Diskussion.
Das System Universität, so scheint es, ist bedroht. Dozenten
und Professoren stellen sich an die Seite ihrer Hochschüler.
Das ist neu.
Den Scheinerwerb trotz Streiks zu
gewährleisten, zeigt einen neuen Willen zur Effizienz des
Studiums. Alle wissen: Sie müssen später irgendwie auf
dem schweren Arbeitsmarkt bestehen. Mit Praktika und Jobs versuchen
viele, nicht nur das nötige Geld zu verdienen, sondern
darüberhinaus in Nischen zu gelangen. "Lernen wird
künftig zwangsläufig stärker am Tätigkeitsfeld
orientiert sein", sagt Gerd Walter, Dozent für Stadt- und
Regionalentwicklung an der Technischen Universität Berlin:
"Die Studenten denken stärker als früher
lösungsorientiert."
Entsprechend finden sich immer mehr
Hochschüler, die ihre eigene Zukunft konkret und professionell
planen. Oft reicht ihnen der Gang zur traditionellen
Studienberatung nicht mehr aus. Sie lassen sich von
Finanzdienstleistern professionell beraten und wechseln dann nicht
selten zu Privatuniversitäten, die oft eine bessere Betreuung
und effizientere Ausbildung anbieten - aber eben auch Geld
kosten.
Wenn sich Studenten an Privatunis
einschreiben wollten, gehöre es auch dazu, sich zu fragen, ob
man es sich leisten könne, mit 80.000 Euro Schulden den
Berufseinstig zu wagen, sagt ein Berater des Finanzdienstleisters
MLP, der namentlich nicht genannt werden möchte. In seinen
Beratungen säßen immer wieder junge Leute, die
beispielsweise an die Europäische Wirtschaftshochschule Berlin
gehen möchten. Das Besondere dieser Bildungseinrichtung: Sie
hat weitere Standorte in Madrid, Oxford und Paris.
Das Studium selbst findet Jahr für Jahr
an einem anderen Sitz statt. Den Absolventen winkt am Ende ein
Dreifachdiplom: das französische "Diplome der Grande
École", den britischen "Master of Science" sowie den deutschen
Titel "Diplom-Kaufmann/-Kauffrau". "Immer häufiger erlebe ich
in den Beratungen sogenannte Vertreter der ?Generation der Erben'.
Aber anders als manche glauben, ruhen sich die nicht darauf aus.
Die wollen schnell durchs Studium kommen und schauen, dass sie gut
aufgestellt sind", sagt der MLPer.
Mehr Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit
sollen auch die Umstrukturierung des staatlichen Hochschulwesens
prägen. Das deutsche System gilt als überaltert, die
Studienzeiten sind vielfach zu lang. Um der Internationalisierung
der Universitäten gerecht zu werden, führen immer mehr
Hochschulen in der Bundesrepublik den Bachelor und den
Masterstudiengang ein. Von 2010 an sollen die alten deutschen
Studienabschlüsse auslaufen.
Auch eine Habilitation wird es dann nach
derzeitiger Beschlusslage der Kultusministerkonferenz nicht mehr
geben. Das wird wiederum den Doktor aufwerten, der an den
Universitäten gleichbedeutend mit dem Juniorprofessor ist. In
Anlehnung an das angelsächsische Modell sind die
Studiengänge Master und Bachelor verschulter als das
herkömmliche hiesige System. Die Betreuung durch die Dozenten
ist intensiver, und nach etwa sechs Semestern kann man beim
Bachelor einen Abschluss erreichen. Der Master baut auf diesen
Abschluss auf.
Dieter Lenzen prognostiziert als Folge der
demografischen Entwicklung ohnehin einen höheren Bedarf an
Akademikern. Die müssen aber nicht immer alle exzellent
ausgebildete Wissenschaftler sein. Für die Anforderungen am
Arbeitsmarkt reicht in vielen Fällen der Bachelor aus.
Momentan machen lediglich etwa 20 Prozent der Deutschen eines
Jahrgangs ein Hochschulexamen. Im Durchschnitt der
Europäischen Union sind es rund 30 Prozent. In Zukunft
müssen es nach Ansicht des Präsidenten der FU Berlin 50
Prozent eines Jahrgangs sein, um die Akademikerquote in der
Bundesrepublik deutlich zu heben. "Die Anforderungen an Berufe
werden immer anspruchsvoller", sagt Lenzen und nennt die
Schornsteinfeger als Beispiel: "Früher war das ein einfacher
Handwerksberuf. Heute sind vielfach Ingenieure am Werk, die
komplizierte Abgasprobleme bewältigen müssen."
Wie wird der Student der Zukunft sein? Er
wird mit 17 Jahren Abitur machen, mit 20 Jahren den
Universitätsabschluss in der Tasche haben, geistig und
räumlich mobil sein, mehrere Sprachen beherrschen und sich ein
individuelles Profil zusammenbasteln. Alles, was er nicht an der
Uni erworben hat, meint Dieter Lenzen, wird er "on the job" lernen.
"Noch vor wenigen Jahren waren mehrere Wechsel im Lebenslauf
suspekt, heute drückt sich darin Kompetenz aus", so der
Uni-Präsident über die neue Sicht der Unternehmen. Die
Hochschule werde nur noch eine Station unter vielen
Ausbildungsstätten sein. Lenzen: "Über den Erfolg im
Leben entscheidet das Leben und nicht die
Universität."
Annette Rollmann arbeitet als freie
Journalistin in Berlin.
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