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Karl-Otto Sattler
Die Wissenschaft als Wachstumslieferant
Innovation, Elite: Forschung im Visier
ökonomischer Verwertbarkeit
Plötzlich werden Wissenschaftler hofiert:
Die Bundesrepublik soll wieder zu einem Land der Spitzenforschung
werden. Die Hoffnung: Wissenschaftliche Innovationen puschen die
Wachstumskräfte der Wirtschaft. Bleibt unter dem Druck
ökonomischer Verwertbarkeit der Forschung noch Raum für
kritische Selbstreflexion und "zweckfreies" Experimentieren und
Suchen? Ein weitreichender Wandel der Hochschullandschaft mit ihrer
Einheit von Forschung und Lehre zeichnet sich ab: Muss Humboldt
abdanken?
Nanotechnologie? Schon mal gehört?
Für die meisten Bürger dürfte dieser Begriff ein
seltsames Fremdwort sein. Unter einer Forschung, die sich mit
Strukturen und Prozessen in einzelnen Atomen befasst, kann man sich
auch kaum etwas Handfestes vorstellen. Unversehens aber kommt
dieser Wissenschaftszweig ganz groß heraus: Der
Nanotechnologie ist nichts weniger als die Aufgabe zugedacht,
Deutschland innovativ und vor allem auch wirtschaftlich in Schwung
zu bringen. Im Umfeld solcher Forschungszentren sollen Firmen und
"Start-Ups" entstehen, die wissenschaftliche Erkenntnisse in die
Praxis umsetzen. Kühne Visionäre erhoffen sich von der
Nanotechnologie Durchbrüche in Heilkunde und Medizintechnik
etwa zur Krebsbekämpfung, Batterien und Solarzellen sollen
miniaturisiert und leistungsfähiger gemacht werden, Material-
und Biowissenschaften sollen von Impulsen profitieren. Kanzler
Gerhard Schröder verweist auf die Nanoforschung, Journalisten
berichten aus Labors, der Bundestag lässt einen Bericht
erstellen. Auch andere Wissenschaften werden von der Politik
hofiert - wie die Mikro-, Bio-, Gen-, Informations- oder
Brennstoffzellentechnologie, erneuerbare Energien fehlen ebenfalls
nicht.
Die Forschung als Flaggschiff, das den
wirtschaftlich dahindümpelnden Dampferkonvoi Bundesrepublik
wieder auf Wachstumskurs setzt: Ganz plötzlich steht die
Wissenschaft als gesellschaftlicher Hoffnungsträger grell im
Scheinwerferlicht. Wenn Deutschland inzwischen mehr Hochtechnologie
importiert statt exportiert, dann ist wohl Eile geboten. So schnell
kann es manchmal gehen. Da werden als griffige PR-Vokabeln ein
I-Wort, die Innovation, und ein E-Wort, die Elite, ausgerufen, und
schon scheint die Bundesrepublik vor der nächsten Zäsur
zu stehen.
Nun mutmaßen so manche
Zeitungskommentatoren und Uni-Rektoren, diese Debatte werde sich
wohl bald wieder verflüchtigen - da diese Diskussion vorrangig
auf die Hoheit in Schlagzeilen und Umfragekurven ziele. Doch man
täusche sich nicht: Die neuen Signale weisen den Weg zu einem
tiefgreifenden Wandel des Hochschulwesens, der prinzipielle und
bisher keineswegs gründlich erörterte Fragen aufwirft:
Wie wird Forschung künftig an Universitäten verortet?
Welche Funktion ist der Wissenschaft in der Gesellschaft zugedacht?
Soll die ökonomische Verwertbarkeit bei der Forschung den Takt
vorgeben? Schlittert die Hochschullandschaft in ein
Zwei-Klassen-System - mit einer exklusiven Community von
Top-Wissenschaftlern oben und einer breiten Masse unten? Die
Studenten haben mit ihren spontanen Protesten gegen die
"Eliteuniversität" instinktiv die Tragweite der
Weichenstellungen begriffen: Elite hat nicht nur etwas mit
Leistung, sondern auch etwas mit Auslese zu tun.
Forschung und Lehre sind zwei verschiedene
Dinge, und doch bilden sie seit Humboldt eine Einheit. Dieses
Wissenschafts- und Bildungsmodell steht nun auf dem Spiel. Zwar
muss sich erst einmal erweisen, was genau aus der noch recht
unausgegorenen Idee der "Eliteuniversität" einmal wird: Sollen
es zwei, fünf, zehn oder 20 solche Unis werden, soll alles ein
"Netzwerk" von Spitzenfakultäten an diversen Hochschulen sein?
Welches sind die Kriterien für die Erhebung in einen solchen
Rang? Wer finanziert das alles, der Staat, die Wirtschaft (das von
Unternehmen gesponserte Prestigeprojekt einer privaten
Management-School in Berlin kommt nur mühsam vom
Fleck)?
Doch die Richtung ist klar: Die Mehrzahl der
Studenten wird künftig Kurzzeit-Studiengänge auf besserem
Fachhochschul-Niveau mit starker Berufsorientierung absolvieren -
und diesen Charakter werden auch die meisten Universitäten
bekommen. Die Forschung, jedenfalls die Spitzenforschung mit der
entsprechenden Ausbildung wird hingegen einer Minderheit
vorbehalten bleiben - eben an "Elite-Unis". Prinzipiell werden
diese weiterhin jedermann offen stehen, faktisch aber nicht:
Dafür werden schon die saftigen Studiengebühren sorgen,
auch wenn sie hie und da mit Stipendien gelindert werden sollten.
Und diejenigen, die Stipendien gewähren, legen natürlich
die Kriterien für deren Vergabe fest.
Die Kanalisierung der Studentenströme
ist das eine, die Frage nach dem künftigen Charakter von
Wissenschaft das andere. Dabei dreht es sich nicht nur um die
Organisation der diversen Forschungsstätten an Hochschulen
sowie an Max-Planck- oder Fraunhofer-Instituten. Es geht in einem
weitreichenden Sinne um die Zielsetzung von Wissenschaft: Kann,
soll, darf, muss Forschung noch zweckfrei stattfinden, orientiert
an nichts anderem als einfach am Erkenntnisinteresse? Der Kanzler
und mit ihm die Politik schlechthin haben eine präzise
Vorstellung: Die Wissenschaft soll "innovativ" sein, soll
Nützliches und ökonomisch Verwertbares hervorbringen -
auf dass Deutschland besser im Globalisierungswettbewerb bestehen
kann. Nun freuen sich alle über neue Produkte wie
schadstoffärmere Autos, leistungsfähigere Handys oder
wirkungsvollere medizinische Geräte bei der
Krankheitsbekämpfung - und noch besser ist es, wenn damit auch
Gelder verdient und Arbeitsplätze geschaffen werden. Da sind
zielgerichtet eingesetzte Fördermittel gut
angelegt.
Indes ist eine Gefahr nicht von der Hand zu
weisen: dass bei der Mittelzuweisung in wachsendem Maße jene
Forschungszweige bedacht und bevorzugt werden, die "anwendungsnah"
sind, die rasch Marktfähiges versprechen - und dass "wertlose"
Wissenschaft zusehends in den Hintergrund gedrängt wird.
Solche Befürchtungen wurzeln auch in der Einsicht, dass
Spitzenforschung in Zukunft mehr noch als bisher von der Wirtschaft
finanziert werden dürfte; auch teure
"Elite-Universitäten" setzen da ein deutliches
Zeichen.
Wenn die Aufwendungen für Forschung und
Entwicklung von jetzt 2,5 auf drei Prozent des
Bruttoinlandsprodukts erhöht werden sollen, so handelt es sich
dabei um die gewaltige Summe von über zehn Milliarden Euro. In
Zeiten, wo trotz des weiter steigenden gesellschaftlichen Reichtums
die öffentlichen Kassen immer leerer werden, kann der Staat
Ausgaben in diesem Ausmaß nur schwer stemmen. Den
Löwenanteil soll denn auch die Wirtschaft beisteuern.
Unternehmenslenker wollen aber nun mal einen Nutzen
sehen.
Wird da noch viel Raum bleiben für
"zweckfreie" Forschung, für Wissenschaft "an sich", für
experimentelles Suchen aus Neugier? Das Wesen von Wissenschaft ist
es nun mal, dass sie ihr Ergebnis eigentlich nie im voraus kennen
kann, allenfalls existiert eine gewisse Wahrscheinlichkeit. In
besonderem Maße gilt dies für die
Grundlagenforschung.
Wenig ist beim "Innovationsdiskurs" die Rede
von Geistes- und Sozialwissenschaften. Dabei ist die kritische
Reflexion über den wissenschaftlichen Fortschritt eigentlich
nötiger denn je. Noch nie traten Positives und Negatives so
offen zutage wie heute. Ein Beispiel ist die Stammzellforschung,
die medizinisch Verheißungsvolles verspricht, aber ihrerseits
in existentielle Bereiche der menschlichen Existenz eingreift. Die
atemberaubenden Erkenntnisse der Informatiker revolutionieren die
Kommunikations- und Informationsflüsse, doch diese neuen
Techniken machen in einem totalitär anmutenden Sinne den
Menschen auch gläsern und damit zum Objekt, das wie noch nie
in der Geschichte umfassend überwacht werden kann.
Die Forschung braucht Freiräume, um
über die Gesellschaft und über das eigene Tun kritisch
und unabhängig zu räsonieren. Das kostet Zeit und Geld.
Eine solche Wissenschaft schlägt sich nicht in Prozentpunkten
des Bruttosozialprodukts und Exportquoten nieder. Aber ein
demokratisches Gemeinwesen benötigt solche Impulse. Gefordert
sind auch Forscher, die in die Öffentlichkeit gehen und mit
Bürgern wie Politik über ihre Arbeit und deren Folgen
für die Gesellschaft diskutieren. Das ist ebenfalls ein
Stück Innovation.
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