Karl-Otto Sattler
Dicke Luft über der Grenze
Ärger in der Saar-Lor-Lux-Region über
das Atomkraftwerk Cattenom
Manchmal ist es mit der Harmonie schnell vorbei. Die nuklearen
Abflüsse in die Mosel stellten "kein Problem für die
öffentliche Gesundheit dar", verkündet kurz und
bündig die Tagungsleiterin Josette Taddei. Sie könne sich
hier nicht anders verhalten als in lothringischen Gremien. Und so
legt denn auch bei der Sitzung des Interregionalen
Parlamentarierrats (IPR) in Metz die französische Delegation
ihr Veto ein und bringt so eine Resolution zu Fall, die sich gegen
die von der Electricité de France (EdF) geplanten
zusätzlichen radioaktiven Ableitungen aus dem grenznahen
Atomkraftwerk Cattenom in die Mosel wendet.
Die IPR-Abgeordneten aus dem Saarland, aus Rheinland-Pfalz und
aus Luxemburg wollten einen solchen Beschluss durchsetzen, weil
ihnen die zusätzliche Umweltbelastung in der
deutsch-französisch-luxemburgischen Region ein Dorn im Auge
ist. Mit dem Nein der Lothringer ist dieser Konflikt aber
keineswegs ausgestanden. Die beiden saarländischen
Landtagsabgeordneten Helma Kuhn-Theis (CDU) und Cornelia
Hoffmann-Bethscheider (SPD) wollen sich jedenfalls weiter gegen die
erhöhte Radioaktivitätsabgabe engagieren. Überdies
will Kuhn-Theis den transnationalen Streit auch im EU-Ausschuss der
Regionen in Brüssel zur Sprache bringen, wo sie zu den
deutschen Abgesandten gehört.
Im IPR sitzen Abgeordnete aus den Saarbrücker und Mainzer
Landtagen, aus dem lothringischen Regionalrat, aus der
luxemburgischen Volksvertretung und aus dem Parlament der
belgischen Region Wallonien. Üblicherweise wird bei den
Treffen dieses Gremiums einträchtig der europäische
Gedanken im "Saar-Lor-Lux"-Landstrich beschworen. Man debattiert
über den kulturellen Austausch, den Ausbau der
Verkehrsverbindungen, über die Intensivierung des
Fremdsprachenlernens oder die Stärkung der
Wirtschaftsförderung. Nun aber hat ein handfester politischer
Krach den IPR eingeholt - und verhilft dieser politischen Instanz,
die eher im Schatten der öffentlichen Wahrnehmung tagt, prompt
zu Schlagzeilen in den Medien.
Erhöhter atomarer Abfall
Stein des Anstoßes ist die Absicht der EdF, in den vier
Reaktoren von Cattenom den sogenannten Abbrand der Brennelemente zu
verbessern. Hinter diesem Konzept verbirgt sich ein Verfahren, bei
dem der nukleare Brennstoff deutlich höher ausgenutzt wird.
Die Folge: Es entsteht mehr atomarer Abfall, den die
Betreibergesellschaft in die Mosel führen will - und der Fluss
transportiert diese Substanzen natürlich über die Grenze
in die Nachbarländer.
Besonders hohe Wellen schlägt der Plan der EdF, den
Grenzwert für die erlaubte Abgabe von Tritium, des
radioaktiven Wasserstoff-Isotops, gleich um 25 Prozent anzuheben.
Außerdem ist mit der neuen Abbrand-Technik auch der vermehrte
Ausstoß von Chemikalien wie Borsäure, Kupfer, Zink oder
Natrium sowie des krebserregenden Hydrazin verbunden.
Seit ihrer Inbetriebnahme 1986 sorgen die vier
französischen 1300-Megawatt-Reaktoren wegen zahlreicher
Störfälle vor allem in den deutschen und luxemburgischen
Anrainerregionen für Ärger. Nach den
Terroranschlägen in den USA vom 11. September 2001 wurde
bekannt, dass das Kernkraftwerk nur unzureichend gegen
Flugzeugabstürze geschützt ist. Und nun ruft die
erhöhte Radioaktivitätsabgabe in die Mosel die
Regierungen und Parlamente in Saarbrücken, Mainz und Luxemburg
auf dem Plan.
Die Abgeordnete Kuhn-Theis mahnt, "die Sorgen der
Bevölkerung ernstzunehmen". Der saarländische
Umweltminister Stefan Mörsdorf, seine
rheinland-pfälzische Kollegin Margit Conrad und Charles
Goerens als Ressortchef im Großherzogtum sprechen ihr Vorgehen
gegenüber der französischen Seite ab. In einem Gutachten
kommt das luxemburgische Umweltministerium zu dem Schluss, dass in
Cattenom die Grenzwerte für die Ableitung nuklearer Substanzen
deutlich über den Margen liegen, die für Atommeiler in
anderen Ländern gelten.
In einer für den saarländischen Bund für Umwelt
und Naturschutz sowie für die französische
Umweltorganisation "Mouvement Ecologique" erarbeiteten Studie
stellt das Öko-Institut Darmstadt fest, bei diversen atomaren
Stoffen sei der Ausstoß in die Mosel um ein Vielfaches
über vergleichbaren Werten in Deutschland angesiedelt.
Übereinstimmend monieren deutsche und luxemburgische
Kritiker, dass durchaus eine Verminderung der Abgabe nuklearer
Substanzen und chemischer Abfälle möglich sei. Das
Öko-Institut: "Die Zurückhaltung radioaktiver Stoffe
entspricht nicht dem Stand der Technik." Die Saar-Abgeordnete
Hoffmann-Bethscheider verlangt, zum Schutz der Mosel "auf die
Einleitung des hochgiftigen Hydrazins vollständig zu
verzichten". Der rheinland-pfälzische Naturschutzbund erinnert
daran, "dass die Mosel bei Überschwemmungen häufig
Wohngebiete überflutet".
Indes zeigt sich die EdF, die den Rückhalt der
französischen Politik genießt, von dem Aufbegehren der
Nachbarn gegen die erhöhte Radioaktivitätsabgabe in
Cattenom unbeeindruckt. Auch eine spektakuläre Protestaktion
französischer, deutscher und luxemburgischer
Greenpeace-Aktivisten, die sich auf der Mosel mit Schlauchbooten an
das Mammutkraftwerk heranpirschten, hatte bislang keine
Wirkung.
Ins Visier der Polizei genommen sahen sich dabei übrigens
Journalisten. Ein Mitarbeiter des französischen
Inlandsgeheimdienstes "Renseignements Généraux" (RG) gab
sich gegenüber luxemburgischen Medienleuten als Mitarbeiter
des lothringischen TV-Senders "France 3" aus und photographierte
die Journalisten aus dem Großherzogtum. Von "France
3"-Kollegen zur Rede gestellt, machte sich der RG-Mann fluchend
vondannen. Die Chefredaktion des Metzer Senders protestierte beim
französischen Innenminister Nicolas Sarkozy gegen dieses
Vorgehen des Geheimdienstes. Daraufhin entschuldigte sich die
lothringische Regionalregierung für diesen "bedauerlichen
Vorfall".
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