Das Parlament mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen
-
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen
-
Homepage des Bundestages | Startseite | Volltextsuche | Ausgabenarchiv | Abonnement | Impressum | Links
-

Volltextsuche
Das Parlament
Nr. 03-04 / 19.01.2004

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

Zur Druckversion
Karl-Otto Sattler

Dicke Luft über der Grenze

Ärger in der Saar-Lor-Lux-Region über das Atomkraftwerk Cattenom

Manchmal ist es mit der Harmonie schnell vorbei. Die nuklearen Abflüsse in die Mosel stellten "kein Problem für die öffentliche Gesundheit dar", verkündet kurz und bündig die Tagungsleiterin Josette Taddei. Sie könne sich hier nicht anders verhalten als in lothringischen Gremien. Und so legt denn auch bei der Sitzung des Interregionalen Parlamentarierrats (IPR) in Metz die französische Delegation ihr Veto ein und bringt so eine Resolution zu Fall, die sich gegen die von der Electricité de France (EdF) geplanten zusätzlichen radioaktiven Ableitungen aus dem grenznahen Atomkraftwerk Cattenom in die Mosel wendet.

Die IPR-Abgeordneten aus dem Saarland, aus Rheinland-Pfalz und aus Luxemburg wollten einen solchen Beschluss durchsetzen, weil ihnen die zusätzliche Umweltbelastung in der deutsch-französisch-luxemburgischen Region ein Dorn im Auge ist. Mit dem Nein der Lothringer ist dieser Konflikt aber keineswegs ausgestanden. Die beiden saarländischen Landtagsabgeordneten Helma Kuhn-Theis (CDU) und Cornelia Hoffmann-Bethscheider (SPD) wollen sich jedenfalls weiter gegen die erhöhte Radioaktivitätsabgabe engagieren. Überdies will Kuhn-Theis den transnationalen Streit auch im EU-Ausschuss der Regionen in Brüssel zur Sprache bringen, wo sie zu den deutschen Abgesandten gehört.

Im IPR sitzen Abgeordnete aus den Saarbrücker und Mainzer Landtagen, aus dem lothringischen Regionalrat, aus der luxemburgischen Volksvertretung und aus dem Parlament der belgischen Region Wallonien. Üblicherweise wird bei den Treffen dieses Gremiums einträchtig der europäische Gedanken im "Saar-Lor-Lux"-Landstrich beschworen. Man debattiert über den kulturellen Austausch, den Ausbau der Verkehrsverbindungen, über die Intensivierung des Fremdsprachenlernens oder die Stärkung der Wirtschaftsförderung. Nun aber hat ein handfester politischer Krach den IPR eingeholt - und verhilft dieser politischen Instanz, die eher im Schatten der öffentlichen Wahrnehmung tagt, prompt zu Schlagzeilen in den Medien.

Erhöhter atomarer Abfall

Stein des Anstoßes ist die Absicht der EdF, in den vier Reaktoren von Cattenom den sogenannten Abbrand der Brennelemente zu verbessern. Hinter diesem Konzept verbirgt sich ein Verfahren, bei dem der nukleare Brennstoff deutlich höher ausgenutzt wird. Die Folge: Es entsteht mehr atomarer Abfall, den die Betreibergesellschaft in die Mosel führen will - und der Fluss transportiert diese Substanzen natürlich über die Grenze in die Nachbarländer.

Besonders hohe Wellen schlägt der Plan der EdF, den Grenzwert für die erlaubte Abgabe von Tritium, des radioaktiven Wasserstoff-Isotops, gleich um 25 Prozent anzuheben. Außerdem ist mit der neuen Abbrand-Technik auch der vermehrte Ausstoß von Chemikalien wie Borsäure, Kupfer, Zink oder Natrium sowie des krebserregenden Hydrazin verbunden.

Seit ihrer Inbetriebnahme 1986 sorgen die vier französischen 1300-Megawatt-Reaktoren wegen zahlreicher Störfälle vor allem in den deutschen und luxemburgischen Anrainerregionen für Ärger. Nach den Terroranschlägen in den USA vom 11. September 2001 wurde bekannt, dass das Kernkraftwerk nur unzureichend gegen Flugzeugabstürze geschützt ist. Und nun ruft die erhöhte Radioaktivitätsabgabe in die Mosel die Regierungen und Parlamente in Saarbrücken, Mainz und Luxemburg auf dem Plan.

Die Abgeordnete Kuhn-Theis mahnt, "die Sorgen der Bevölkerung ernstzunehmen". Der saarländische Umweltminister Stefan Mörsdorf, seine rheinland-pfälzische Kollegin Margit Conrad und Charles Goerens als Ressortchef im Großherzogtum sprechen ihr Vorgehen gegenüber der französischen Seite ab. In einem Gutachten kommt das luxemburgische Umweltministerium zu dem Schluss, dass in Cattenom die Grenzwerte für die Ableitung nuklearer Substanzen deutlich über den Margen liegen, die für Atommeiler in anderen Ländern gelten.

In einer für den saarländischen Bund für Umwelt und Naturschutz sowie für die französische Umweltorganisation "Mouvement Ecologique" erarbeiteten Studie stellt das Öko-Institut Darmstadt fest, bei diversen atomaren Stoffen sei der Ausstoß in die Mosel um ein Vielfaches über vergleichbaren Werten in Deutschland angesiedelt.

Übereinstimmend monieren deutsche und luxemburgische Kritiker, dass durchaus eine Verminderung der Abgabe nuklearer Substanzen und chemischer Abfälle möglich sei. Das Öko-Institut: "Die Zurückhaltung radioaktiver Stoffe entspricht nicht dem Stand der Technik." Die Saar-Abgeordnete Hoffmann-Bethscheider verlangt, zum Schutz der Mosel "auf die Einleitung des hochgiftigen Hydrazins vollständig zu verzichten". Der rheinland-pfälzische Naturschutzbund erinnert daran, "dass die Mosel bei Überschwemmungen häufig Wohngebiete überflutet".

Indes zeigt sich die EdF, die den Rückhalt der französischen Politik genießt, von dem Aufbegehren der Nachbarn gegen die erhöhte Radioaktivitätsabgabe in Cattenom unbeeindruckt. Auch eine spektakuläre Protestaktion französischer, deutscher und luxemburgischer Greenpeace-Aktivisten, die sich auf der Mosel mit Schlauchbooten an das Mammutkraftwerk heranpirschten, hatte bislang keine Wirkung.

Ins Visier der Polizei genommen sahen sich dabei übrigens Journalisten. Ein Mitarbeiter des französischen Inlandsgeheimdienstes "Renseignements Généraux" (RG) gab sich gegenüber luxemburgischen Medienleuten als Mitarbeiter des lothringischen TV-Senders "France 3" aus und photographierte die Journalisten aus dem Großherzogtum. Von "France 3"-Kollegen zur Rede gestellt, machte sich der RG-Mann fluchend vondannen. Die Chefredaktion des Metzer Senders protestierte beim französischen Innenminister Nicolas Sarkozy gegen dieses Vorgehen des Geheimdienstes. Daraufhin entschuldigte sich die lothringische Regionalregierung für diesen "bedauerlichen Vorfall".

Zur Inhaltsübersicht Zurück zur Übersicht