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Constanze Hacke
Vom Versuch, richtig gerecht zu sein
Warum das deutsche Steuerrecht so kompliziert
ist
Ein einfaches Steuerrecht - wer wollte das nicht? Zumindest
könnte man das annehmen, wenn man den Reformdebatten-Eifer der
vergangenen Wochen um das Thema Steuervereinfachung betrachtet.
Allerdings: Eine richtige Steuerreform, eine, die alles einfacher
und gerechter macht, ist eine der schwierigsten Aufgaben der
Politik. Nicht erst seit den vergangenen Monaten wird in
Deutschland über die Komplexität des Systems, über
zu hohe Steuern und über Verteilungs-Ungerechtigkeiten
geklagt. Vor 50 Jahren war das nicht anders.
Warum aber gibt es dann noch kein einfaches Steuersystem in
Deutschland? Die Antwort ist so simpel wie in ihren Auswirkungen
komplex: Jeder Einzelfall soll steuerlich so individuell und
gerecht wie möglich behandelt werden. Ein Dickicht von
Paragrafen und Ausnahmetatbeständen macht das deutsche
Steuersystem für den Laien daher inzwischen nahezu
unverständlich. Das Ganze ist aus Sicht vieler Steuerzahler
lediglich ein Umschichten von der linken in die rechte Tasche.
Darin, dass das Steuerrecht erneuerungsbedürftig ist, sind
sich Politiker und Wähler einig.
Immerhin: Im Laufe der langen deutschen Geschichte hat sich doch
etwas getan, zumindest in punkto Gerechtigkeit. Das war
zunächst einmal nicht das, was deutsche Fürsten mit
Steuern im Sinn hatten. Die Ursprünge des deutschen
Steuersystems lassen sich bis in das frühe Mittelalter
zurückverfolgen: Finanznot führte zu den Anfängen
einer systematischen Besteuerung. Mit Verbrauchsabgaben deckten die
aufblühenden Städte ihren wachsenden Finanzbedarf, der
allein durch Stadtzölle nicht ausgeglichen werden konnte.
Alkoholische Getränke und andere Genussmittel waren die ersten
Erzeugnisse, die besteuert wurden. Einige dieser Steuern, etwa die
Bier- oder die Getränkesteuer, haben sich bis heute als
Einnahmequelle des Staates erhalten. Mit dem Aufblühen des
Handels in den Städten wurden auch die Vorläufer der
heutigen Gewerbesteuer eingeführt, die Marktgelder.
Ab dem 15. Jahrhundert traten die Landesfürsten auf den
Plan, die die Steuern als Finanzierungsquelle entdeckten und sich
nicht nur der Einnahmen des Bierpfennigs bemächtigten. Die
Grundsteuer erlangte eine beherrschende Stellung in den
Steuersystemen der Territorien. Auch die Anfänge der
Lohnsteuer sind im ausgehenden Mittelalter zu suchen. Denn
Verbrauchsabgaben allein, das erkannten die Landesoberen schnell,
brachten keine ausreichenden Einnahmen ein. Mit einer festgelegten
Kopfsteuer wurden nun auch die vermögenslosen Personen
erfasst, die nur ihre Arbeitskraft als Einnahme besaßen.
Bis heute hat sich an einem wichtigen Zweck der Steuern nichts
geändert: Sie sollen dem Staat Geld zur Erfüllung seiner
Aufgaben verschaffen. Da dies aber nicht mehr wie im Mittelalter
willkürlich geschehen sollte, versuchten Reformpolitiker
bereits im 19. Jahrhundert, eine gleichmäßige Besteuerung
zu erreichen. 1891 kam so die Einheits-Einkommensteuer mit
Erklärungspflicht und Progression ins deutsche Steuersystem.
Gleich, welche Bemühungen die Politiker jedoch anstrengten, um
das System gerechter zu gestalten, an einer Tatsache kamen sie
nicht vorbei: Steuern verändern als eine finanzielle Last die
wirtschaftliche Lage eines Steuerpflichtigen und setzen damit einen
Kreislauf in Gang, der wiederum andere Belastungen hervorruft und
somit neue Gerechtigkeitsbestrebungen verursacht.
Beispiel Umsatzsteuer: Sie verteuert Waren um 16 Prozent des
eigentlichen Kaufpreises. Kauft ein Handwerker Materialien ein,
gibt er diese Steuerausgaben über einen erhöhten
Wiederverkaufspreis oder einen höheren Stundenlohn an seinen
Kunden weiter. Diesem wird wiederum aus Gerechtigkeitsgründen
möglich gemacht, die Ausgaben von seiner Steuerlast
abzuziehen. Der Staat hat so geringere Steuereinnahmen und muss an
anderer Stelle versuchen, diese zu ersetzen. Also erhöht der
Gesetzgeber den Mehrwertsteuersatz. Und so geht das Spiel wieder
von vorne los.
Neben den Bestrebungen nach Einzelfallgerechtigkeit steigt auch
die Neigung der Politik, über Steuern zu steuern, sprich einen
angenommenen Lenkungseffekt bewusst einzusetzen. Dies funktioniert
- davon gehen Politiker in der Regel aus - sowohl über
höhere Steuern als auch über Steuervergünstigungen.
Beispiel Ökologie: Die Mineralölsteuer ist eine der
wichtigsten Steuereinnahmen in Deutschland. Um umweltpolitische
Ziele zu erreichen, wird die Mineralölsteuer seit 2001
für Benzin und Dieselkraftstoff kontinuierlich angehoben. Im
Gegenzug werden für die Verwendung von Flüssig- oder
Erdgas ermäßigte Steuersätze festgelegt. Beispiel
Wohnungspolitik: Mit der Subvention in Form der Eigenheimzulage
wird der selbstgenutzte Wohnraum gefördert, Wohnungsbau und
Fremdvermietung werden steuerlich begünstigt. Die Reihe der im
ursprünglichen Sinne durchaus sinnvollen Lenkungsversuche
ließe sich beliebig fortsetzen.
Das Institut für Weltwirtschaft Kiel beziffert die Summe
aller Subventionen und Vergünstigungen für das Jahr 2001
auf ein Volumen von 156 Milliarden Euro. Allein 40 Milliarden Euro
machen die Steuervergünstigungen aus. Die Kieler
Wirtschaftsexperten verweisen in ihrer Untersuchung auf einen
entscheidenden Punkt: Die Steuerzahler müssen diese
Milliardenbeträge letztlich selbst aufbringen. Subventionen
seien, jedenfalls auf mittlere Sicht, mit einer erhöhten
Steuerbelastung verbunden. Das Institut macht folgende Rechnung
auf: Würden die Subventionen innerhalb eines Zeitraums von
fünf Jahren ganz gestrichen, so könnten die
Einkommensteuersätze letztlich um fast zwei Drittel verringert
werden.
Hier versuchen nun viele Konzepte für eine Vereinfachung
unseres Steuersystems anzusetzen: Abbau von Subventionen und
Vergünstigungen und ein dreistufiges Steuertarif-Modell, so
lauten einige Vorschläge. Aber der Bumerang des Bemühens
um Einzelfallgerechtigkeit in einem komplizierten Steuersystem
kehrt genau hier zurück. Denn jeder Politiker, der es wagt,
Vergünstigungen auf den Prüfstand zu stellen, muss sich
des Vorwurfs erwehren, die Betroffenen benachteiligen zu wollen.
Beispiel Entfernungspauschale: Welcher Politiker möchte sich
schon den Vorwurf gefallen lassen, er bestrafe flexible
Arbeitnehmer, die weite Wege zum Betrieb in Kauf nehmen
müssen?
Eine Reform, die an einigen Subventionsschrauben dreht, andere
Vergünstigungen aber unangetastet lässt, hilft der
künftigen Steuergerechtigkeit wohl nur wenig. Immerhin:
Finanzwissenschaftler wie Paul Kirchhof sehen eine zunehmende
Sachlichkeit und Erneuerungsbereitschaft in der steuerpolitischen
Debatte. Kirchhof ist der Überzeugung, dass mit einem
konsequenten Subventionsabbau dem Steuerpflichtigen Freiheit zur
ökonomischen Vernunft zurückgegeben wird. Das Institut
für Weltwirtschaft Kiel glaubt, dass auch die
Eigenverantwortlichkeit der Länder und Gemeinden in der
Steuerpolitik durch eine derartige Grundsatzreform gestärkt
würde. Ein einfaches Steuerrecht wäre also letztlich wohl
auch ein wirtschaftlich vernünftiges Steuerrecht.
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