|
|
Hans-Martin Schönherr-Mann
Der Stern aus Königsberg
Zum 200. Todestag des Philosophen Immanuel
Kant
"Heute Mittag um 11 Uhr starb hier an
völliger Entkräftung im 80sten Jahre seines Alters
Immanuel Kant. Seine Verdienste um die Revision der spekulativen
Philosophie kennt und ehrt die Welt." So der Nekrolog der in
Königsberg erscheinenden "Königlich Preussischen Staats-,
Kriegs- und Friedens-Zeitung" im Februar 1804. Kann man über
den einen Tag zuvor verstorbenen Kant überhaupt noch eine
Biographie schreiben, noch dazu über jemand, der sein ganzes
Leben als Lehrer in Königsberg zubrachte?
Heinz Lemmermann lässt es gleich sein.
Er konzentriert sich auf die Pointen des Kantschen Alltags, die es
allen anderslautenden Vorurteilen zum Trotz nicht nur vereinzelt,
sondern zuhauf gegeben hat. Dass Kant ein geistvoller Unterhalter
war, der wenig über Philosophie redete, ist weitgehend
bekannt. Dass sein Alltag voller Gemeinplätze und Marotten
eher gewöhnlich ausfällt, trotz vielfältiger
geregelter Tagesabläufe, damit versteht Lemmermann mit
ironisch satirischem Unterton doch zu überraschen. So soll
Kant weder den Frauenzimmern noch der Ehe besonders zugetan gewesen
sein. Trotzdem dachte er zweimal in seinem Leben an eine
Eheschließung. Er dachte, berechnete Kosten und Nutzen,
zögerte zu lange. Da war die eine abgereist, die andere hatte
einen anderen.
Als einziger kann sich Steffen Dietzsch in
seiner Kant-Biographie auf neues Material stützen. Er schreibt
Kants Leben in eine Kulturgeschichte der Stadt Königsberg ein.
Die Krönungsstadt Königsberg beherbergte kaum
preußischen Hofadel. Ein Verwaltungsstab von etwa 20 Beamten
verwaltete um 1720 die Provinz Ostpreußen. Königsberg war
eine bedeutende Hafenstadt mit sehr guten Handelsbeziehungen, vor
allem nach Lissabon.
Doch vom Luthertum tief geprägt, zieht
in die Kö-nigsberger Universität erst um 1750 eine
freiere geistige Atmosphäre ein. Dietzsch greift auf bisher
unzugängliches Material aus dem erst 1991 im polnischen
Allenstein wiederentdeckten Königsberger
Universitätsarchiv zurück und vermag damit auch einen
neuen Blick auf das Universitätsleben Kants zu
werfen.
Jüdische Studenten
Dietzsch behandelt auch als einziger der
neuen Biographen Kants Verhältnis zum Judentum, in dem sich
dessen mühsame Emanzipation im 18. Jahrhundert spiegelt.
Langsam zum Studium zugelassen, doch noch bis ins 19. Jahrhundert
von der Lehre ausgeschlossen, bilden Juden einen erheblichen Teil
von Kants Studenten, die auch wesentlich zur Verbreitung seiner
Lehre beitragen. Gerade bei den deutschen Auf-klärern
stößt Kant auf große Vorbehalte und er ver-dankt
seine erste weitergehende Rezeption in Berlin vornehmlich
jüdischen Kreisen. So bietet Dietzsch eine Fülle von
neuen Details, behandelt Kants Lehre dabei eher am Rande, stellt
sie trotzdem in interessante sozialhistorische
Bezüge.
Manfred Geier lässt in seiner Biographie
Kants Lehre auch aus seinem Leben hervorgehen. Daher kon-zentriert
er sich nicht nur auf den Kant der Kritik der reinen Vernunft, also
auf den Kant zwischen deren Erscheinen 1781 und seinem Tod 1804, -
in der Zeit, in der alle jene Werke des Philosophen entstehen, die
seinen Weltruhm begründen. Dieser kritischen Phase widmet
Geier etwa die Hälfte des Buches, das auch als gute
Einführung in das Werk Kants taugt.
Immanuel Kant, Sohn eines Riemermeisters,
empfindet schon als Jugendlicher seine pietistische Schulausbildung
als "Jugendsklaverei". Sein Studium ohne klares Berufsziel
finanziert er nebenbei durch geschicktes Billard-Spiel. Nach dem
Tode des Vaters 1746 verlässt er die Universität ohne
Abschluss. Sechs Jahre lang verdient er sein Geld als Hauslehrer
auf dem Land. 1754 kehrt er nach Königsberg zurück und
schließt sein Studium durch Arbeiten zur Naturge-schichte und
zur Metaphysik ab.
Veto vom Alten Fritz
Zwar lehrt er daraufhin an der
Universität, doch seine Bewerbung bei Friedrich II. um ein
Extraordinariat wird 1756 abschlägig beschieden. Erst 1770
erhält er einen Ruf auf einen Lehrstuhl, aber für Logik
und Metaphysik, nicht für Ethik, was er hoffte. Zehn Jahre
lang erfüllt hier Kant eine eher lästige Pflicht,
weitge-hend ohne zu publizieren. Der Druck auf ihn wächst
indes, und so macht er sich unwillig daran, die Kritik der reinen
Vernunft - sein Hauptwerk - zu schreiben.
Noch bis in die 70er-Jahre hinein folgt Kant
Newtons Auffassung, der die Natur wissenschaftlich mit
mathematischer Berechnung erkennen will, wie sie an sich ist ohne
irgendeine subjektive Brechung oder subjektive Grenze des
Vernunftvermögens. Diese Zeit schildert Manfred Geier
äußerst spannend. Dagegen basiert für die Kritik der
reinen Vernunft die naturwissenschaftliche Erkenntnis auf der dem
Menschen eingeborenen Vernunft. Diese strukturiert die Erfahrung
derart, dass der Mensch die Naturgesetze zu erfassen vermag.
Insofern bleibt für Kant auch naturwissenschaftliche
Erkenntnis subjektiv bedingt. Das ist Kants Einsicht, die seine
kritische Phase ab 1781 prägt und die seinen philosophischen
Weltruhm begründet.
Erst danach kann er sich wieder ethischen und
politischen Fragen zuwenden. Wenn man sich auf Geschichte und
Tradition nicht mehr verlassen kann, weil man aufklärerisch
die Moral von Vorurteilen und haltlosen metaphysischen
Begründungen befreien will, dann - das ist Kants große
ethische Einsicht - bleibt nur die Suche nach einer rein
vernünftigen Begründung der Moral. Kants berühmtes
Moralgesetz, der kategorische Imperativ, verlangt von einer
moralischen Maxime, dass sie verallgemeinerbar sein müsse,
dass sie also ohne Einschränkung, ohne Nutzen und ohne
Hintergedanken gilt: Ich folge der Maxime "Du sollst nicht
töten!" nicht, weil ich bisher bloß keine Gelegenheit
dazu hatte, oder weil ich ein guter Mensch sein will, sondern
schlicht und einfach, weil man nicht tötet. Geier schildert
einen menschlichen und lebendigen Kant, der seine Lehre gegen
zahllose Widerstände beharrlich fortsetzt.
Die umfänglichste der drei Biographien,
der Band von Manfred Kühn, schildert ausführlich das
Leben Kants, beispielsweise den eleganten jungen Magister, der sich
zwischen 1755 und 1764 an den französischen Aufklärern
orientiert und auch die französischen Manieren übernimmt,
an denen er noch bis ins hohe Alter festhält. Knapp die
Hälfte des Buches widmet Kühn der akribischen Darstellung
von Kants Werkentwicklung seit 1780 und geht dabei auf die meisten
Werke aus dieser Zeit ein.
Allerdings beschränkt sich Kühn
keineswegs auf die philosophischen Gehalte, sondern entwickelt
diese aus den geistigen und politischen Geschehnissen der Zeit
heraus. Kant, der der französischen Revolution mit großer
Sympathie begegnet, sieht sich beispielsweise in diesen Jahren doch
selbst vor allem durch eine antirationalistische, von der Sekte der
Rosenkreuzer beeinflusste Religionspolitik Friedrich Wilhelms II.
bedroht. Dessen Auffassung, dass Religiosität die Sittlichkeit
fördert, antwortet Kant 1793 mit seiner Schrift "Die Religion
innerhalb der Grenzen der reinen Vernunft".
Ihre Vorrede beginnt mit dem Satz: "Die
Moral, so fern sie auf dem Begriffe des Menschen als eines freien,
eben darum aber auch sich selbst durch seine Vernunft an unbedingte
Gesetze bindenden Wesens gegründet ist, bedarf weder der Idee
eines anderen Wesens über ihm, um seine Pflicht zu erkennen,
noch einer andern Triebfeder als des Gesetzes selbst, um sie zu
beobachten."
Steffen Dietzsch
Immanuel Kant. Eine Biographie.
Reclam Leipzig, 2003; 368, S., 24,90
Euro
Manfred Geier
Kants Welt. Eine Biographie.
Rowohlt Verlag, Reinbek 2003; 350 S., 24,90
Euro
Manfred Kühn
Kant - Eine Biographie.
Aus dem Englischen von Martin
Pfeiffer.
C.H. Beck Verlag, München 2003; 639 S.,
29,90 Euro
Heinz Lemmermann
Punkt 5 Uhr früh beginnt das
Leben.
Der oft skurrile Alltag des Immanuel
Kant
(1724 - 1804), leicht satirisch
kommentiert.
Donat Verlag, Bremen 2003; 112 S., 10,-
Euro
Zurück zur Übersicht
|