Barbara von der Lühe
Auf der Suche nach dem Ethos einer neuen
Weltordnung
Zum ewigen Frieden in einer zusammenwachsenden
Welt?
Die Gefährdung einer neuen friedlichen Weltordnung durch
die Aktualisierung des alten Paradigmas vom Krieg als Mittel der
Politik zeigte sich 2003 deutlicher denn je. Darauf nehmen viele
Autoren dieses Sammelbandes Bezug. Ihnen geht es um eine neue
Struktur der internationalen Beziehungen auf der Basis von
Kooperation, Kompromiss, Interessenausgleich und Integration.
Ende September 2002 trafen sich auf Schloss Hohentübingen
27 prominente Friedensforscher, Theologen, Philosophen,
Kulturwissenschaftler, Politologen und Soziologen. Auf Einladung
von Dieter Senghaas und Hans Küng, des Präsidenten der
Stiftung Weltethos, diskutierten sie über ethische Aspekte bei
der Gestaltung der Weltpolitik. In aktualisierter Fassung liegen
ihre Vorträge jetzt vor: In der Fortsetzung des Dialoges
zwischen den Wissenschaften und der Weltethos-Programmatik -
dokumentiert seit den 90er-Jahren in einer Schriftenreihe - legen
Küng und Senghaas hier den Schwerpunkt auf
Friedenspolitik.
Die Gliederung des Bandes folgt einer Dreiteilung der
Problematik in "Herausforderungen angesichts der Lage der Welt",
"Weltordnungspolitik" und "Auswege aus der Sozialpathologie von
Ethnokonflikten, Staatszerfall und Gewaltmärkten". Im
Mittelpunkt aller Beiträge steht die Frage, ob sich auf einem
ethischen Fundament ein neues Modell internationaler Beziehungen
finden lässt.
Der Gewinn für den Leser liegt im breiten,
interdisziplinären Ansatz, wobei die Autoren aufeinander
zugehen, was zu spannenden Interdependenzen führt. Bei
heftiger Kritik an den amerikanischen Kriegszielen und der
Kriegsführung im Irak plädiert Hans Küng für
einen Dialog der Religionen und die Einbeziehung der Realität
der Weltreligionen in den "Welt-Diskurs". Ethische Standards seien
in jedem Fall eine Basis der Verständigung zwischen den
Religionen: Keine neue Weltordnung ohne Welthos, lautet daher sein
Fazit.
Dieter Senghaas stellt dem von ihm seit langem kritisierten
"Zusammenprall der Kulturen Modell" von Samuel Huntington ein
Vier-Welten-Modell mit den OECD-Staaten als Gravitationszentrum der
Welt gegenüber. Ausgehend vom sehr diversen ökonomischen
und politisch-sozialen Entwicklungsstand der Länder entwickelt
der Bremer Politologe drei Leitperspektiven weltweit verbindlicher
Verhaltensweisen für friedliche Koexistenz im Sinne einer
"Global governance" und eines Welt-Bewusstseins: Nachhaltigkeit,
Zivilisierung des sozialen Konfliktes und Irenik, die Herstellung
mentaler Brückenschläge.
Analysen der Lage in verschiedenen Regionen der Welt
demonstrieren Beispiele zu dieser Thematik aus der Praxis, unter
anderem am Beispiel des "realistischen Paradigmas" und des
Ost-West-Konfikts (Ernst-Otto Czempiel), von Lateinamerika und
Asien (Manfred Mols). Besondere Aufmerksamkeit gilt dem
aufstrebenden China als eines zukünftigen Faktors der
Weltpolitik und Weltwirtschaft aber auch dem Krisen-herd Afrika mit
seinen Zerfallserscheinungen (Rainer Tetzlaff), die nicht zuletzt
Folgen einer Entwicklungspolitik sind, deren Für und Wider
Klaus M. Leisinger erörtert: Auswege aus dem Dilemma
könnten nur in den betroffenen Ländern selbst gefunden
und entschieden werden.
Weitere Themen sind die Diskursfähigkeit und kommunikative
Vernunft innerhalb der Weltgesellschaft (Helmut Fahrenbach),
Kriterien eines "gerechten Krieges" (für die Eindämmung
von Konflikten als Alternative zum Präventivkrieg
plädiert Alois Riklin) und welt-gerechte Ordnungsprinzipien
(Norbert Brieskorn).
Einzeln und zusammen genommen ergeben die Bei-träge einen
hervorragenden Überblick über den ge-genwärtigen
philosophischen Diskurs zur Friedenspolitik im Zeitalter der
Globalisierung, wobei die Autoren Schwarz-Weiss-Malerei entschieden
vermeiden und interessante neue Ansätze bieten, wie etwa
Volker Rittbergs Ausführungen über verschiedene Modelle
des Weltregierens auf der Basis regionaler Ordnungsstrukturen.
So bieten sich viele Denkanstöße nicht nur für
alle professionell in der Entwicklungsarbeit und -politik
Tätigen, sondern auch für den interessierten Laien, der
seinen Standort in der Diskussion um die Globalisierung noch
sucht.
Hans Küng, Dieter Senghaas (Hrsg.)
Friedenspolitik.
Ethische Grundlagen internationaler Beziehungen.
Piper Verlag, München 2003; 416 S., 19,90 Euro
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