Manfred Funke
Das Requiem in Rot-Weiß-Rot
Österreichs hoffnungsloser Kampf gegen
Hitler
Ereignis und Vermächtnis des Attentats vom 20. Juli 1944
werden in diesem Jahr das öffentliche Erinnern bestimmen.
Damit bleibt weiter das Gedenken eines Verbrechens
überschattet, das zehn Jahre zuvor (25. Juli 1934) Europa
erschütterte: Der Staatsstreich der Nazis in Österreich
und der Mord an Bundeskanzler Engelbert Dollfuß. Der Putsch
scheiterte, der "Anschluss" vertagte sich um vier Jahre.
In dieser Frist suchte sich Österreich als autoritärer
sozialpatriotischer Ständestaat weiter zu behaupten, durch
Bekämpfung der Rechts- und Linksextremisten ebenso wie durch
Selbstdarstellung als Bollwerk christlich-deutscher Kultur wider
den Berliner Export von Raum-Ideologie und völkischem
Neuheidentum. Wien verstand sich als Schutzmacht jüdischer
Bürger.
Dollfuß' Nachfolger Kurt von Schuschnigg erprobte dabei
eine Doppelstrategie. Erstens suchte er nach entschiedener
Unterbindung der aus Berlin mitgesteuerten NS-Aktivitäten,
zweitens wollte er internationale Unterstützung für
Österreichs Unabhängigkeit einwerben. Besonders Mussolini
war gegen Deutsche am Brenner und protegierte deshalb zunächst
Wien.
Doch Hitlers moralische Isolierung in Europa war nach
Wiederherstellung der deutschen Wehrhoheit im März 1936 nur
von kurzer Dauer. Hitlers Gegner wurden unter dem Druck jeweiliger
nationaler Interessensicherung uneins. Im Juni 1935 schloss London
mit Berlin den sensationellen Flottenvertrag. Dann eröffnete
Mussolini am 2. Oktober 1935 den größten Kolonialkrieg
der Geschichte mit dem Angriff auf das Völkerbundmitglied
Abessinien. Der Sieg in Ostafrika machte ab 1936 Italien zum
Konkurrenten Frankreichs und Englands im Mittelmeer. Was wiederum
Rom die Rückversicherung beim Nachbarn im Norden nahe legte.
Hitlers Preis dafür war Österreichs
Souveränität.
Mit einer ebenso verständigungsbereiten wie elastischen
Politik gegenüber Berlin spekulierte Schuschnigg auf
Zeitgewinn. Doch am 2. Februar 1938 erzwang Hitler die
Kapitulation. "Ich werde die ganze österreichische Frage
lösen, und zwar so oder so", donnerte er den Bundeskanzler an.
Andernfalls wäre Schuschnigg für das Blutvergießen
verantwortlich. "Verhandelt wird nicht" (Hitler). Schuschnigg
fügte sich in das Unvermeidliche.
Verzweifelter Abwehrkampf
Hatte die Geschichtsschreibung bislang Österreich in die
Perspektiven von Opfer und Kollaboration gestellt, so werden diese
jetzt um die dritte Dimension des fünfjährigen
politischen Abwehrkampfes gegen das übermächtige Reich
erweitert. Den tragischen Weg Österreichs bis zum Anschluss
hat jetzt Gottfried-Karl Kindermann, Seigneur deutscher Politologie
und Begründer des Neorealismus, ebenso faktensicher wie
einfühlsam nachgezeichnet.
Der Autor, Jahrgang 1926, war bereits als Gymnasiast ein
scharfer Beobachter der Wiener Politik. Den Impuls
persönlicher Erfahrung konditionierte er zu einer großen
Studie. Dafür wurden historische Dokumente (122 von ihnen sind
im Anhang des Buches auszugsweise wiedergegeben) ebenso verarbeitet
wie Kindermanns Befragungen von Schuschnigg über Kreisky bis
hin zur österreichischen Kultur-Prominenz.
Kindermann hat das Werk den Patrioten gewidmet, "die für
Österreich und den Frieden Europas gekämpft und gelitten
haben". Ein Buch, das durch seine wissenschaftliche Disziplin und
persönliche Lauterkeit bewegt
Gottfried-Karl Kindermann
Österreich gegen Hitler.
Europas erste Abwehrfront 1933 - 1938.
Verlag Langen-Müller, München 2003; 480 S., 29,-
Euro
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