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Susanne Sitzler
"Absichten zu erklären ist total out"
Zorn ist der Beginn der Kunst: Das politische
Lied sucht Nachwuchs und findet ihn
2003 beklagte Liedermacher Konstantin Wecker
öffentlich, dass es keinen Nachwuchs gebe: Wo sind die
Protestsänger von heute? Wer setzt die Tradition der
Songschreiber fort? Beim Forum "Musik und Politik", veranstaltet
vom Verein Lied und soziale Bewegung und der Bundeszentrale
für politische Bildung, zeigte sich am vorvergangenen
Wochenende in Berlin, dass es durchaus junge,
politisch-ambitionierte Musiker gibt. Doch die Bedingungen des
Musik-Machens und der Musikindustrie lassen sich nicht mit der
Situation vor 30 Jahren, als Wecker zu singen begann, vergleichen.
Und eine homogene Jugend-Szene gibt es heute weniger denn je.
Musik ist eine universelle Sprache. Musik
kann Identifikation und Orientierung bieten. Die 68er-Generation
fand sich in Songs wie "Street fighting man" der Stones wieder, in
der Beat- und Rockmusik, die etwas völlig neues war. Als
Professor Diethart Kerbs 1964 das erste Festival "Chanson Folklore
International" auf der Burg Waldeck im Hunsrück
eröffnete, schuf er auch damit einen Raum für etwas
Neues, eine neue Musikkultur in Deutschland - die des
Liedermachers.
Kerbs war damals als Student in verschiedenen
Arbeitskreisen der Universität organisiert. Zusammen mit
anderen hatte er sich überlegt, dass hierzulande etwas fehle:
In den USA gab es das "Free Speech Movement", in Frankreich die
Chansons, in Deutschland nichts dergleichen, so die
Überlegungen. "Der Liedermacher, mit eigenen Liedern und
politischen Inhalten, war damals eine Leitfigur", sagte Kerbs im
Rahmen einer Ausstellungseröffnung. Auf dem Waldeck-Festival,
das bis 1969 jährlich stattfand, traten die Größen
wie Wolf Biermann und Franz Josef Degenhardt, Hannes Wader,
Reinhard Mey, Walter Moßmann und auch Konstantin Wecker auf -
Namen, mit denen Jugendliche heute wohl kaum noch etwas verbinden
können.
"Es war eine kurze Blütezeit des
politischen Lieds", erklärt der Kulturhistoriker. Doch das
Waldeck-Festival sei kein intellektueller Vorläufer der
68er-Bewegung gewesen - die Musik habe im Mittelpunkt gestanden.
Mit der Forderung der immer radikaler auftretenden Studenten, die
lieber diskutieren statt singen wollten ("Stellt die Gitarren in
die Ecke und diskutiert!"), und weil die Infrastruktur die
letztlich 6.000 Besucher nicht mehr verkraften konnte, entschlossen
Kerbs und seine Mitstreiter sich nach sechs Jahren, das Festival zu
beenden.
Aber wo finden die Liedermacher von damals
ihre Nachfolger? Wecker erklärte während einer
Diskussionsrunde zu diesem Thema, dass er in jüngster Zeit
Kontakt zu Nachwuchskünstlern habe, die für sich den
altmodischen Ausdruck "Liedermacher" wieder verwendeten. Doch der
Singer-Songwriter mit der Gitarre ist heute eher eine musikalische
Randerscheinung.
Politischer Content findet sich in vielen
anderen Musikrichtungen und -Stilen: Rock und Pop, Hip-Hop und Rap,
Punk, Jazz und Reggae - überall lassen sich Beispiele finden.
Das Projekt "Brothers Keepers", eine Band junger Migranten, landete
einen Hit mit Kampfansagen gegen Rechts und dem Text "unser
Rückschlag ist längst in Planung, wir fall'n dort ein, wo
ihr auffallt, gebieten eurer braunen Scheisse endlich Aufhalt". Die
Beginner und Blumfeld sind weitere Beispiele, für
erfolgreichen deutschen Pop mit politischen Texten.
Weniger bekannt und beim Festival und der
Diskussion dabei war Mellow Mark, Straßenmusiker, Hip-Hopper
und Mitglied bei Kulturattac. In seinem Song "Weltweit" heißt
es: "Weltweit US-Amerikanisches Fastfood / Weltweit amerikanisches
Gedankengut / Weltweit US-Amerikanische Sprachflut / Weltweit
US-Am-Arsch-Kult". Seine Wortwahl sei nicht sachlich ,sondern
emotional - das polarisiere und das sei gut, meint der
28-Jährige. Erst im Jahr 2001, mit den Ereignissen in Genua
und dem 11. September, habe er politische Songs geschrieben. In
erster Linie sehe er sich als Musiker, nicht als politischer
Liedermacher, sagte er. Trotzdem wurde sein Song von einem
Teilnehmer an anderer Stelle als platter Antiamerikanismus
kritisiert.
Aber wer ist überhaupt als politischer
Liedermacher zu bezeichnen und was ist eigentlich ein politisches
Lied? Wecker erklärte, als politischen Sänger könne
man schon jeden bezeichnen, der sich der Musikindustrie verweigere.
Auch ein Liebeslied könne politisch sein, wenn es die Liebe
neu betrachte und mit den gängigen Vorurteilen
aufräume.
Hans-Eckardt Wenzel, dem 2002 und 2003 der
Preis der Deutschen Schallplattenkritik verliehen wurde,
erläuterte am Rande der Veranstaltung: "Das Gegenteil von
politischem Lied wäre ja ein unpolitisches Lied und so etwas
gibt es nicht." Selbst ein Volkslied könne in einem bestimmten
Kontext politisch sein, es komme eben auf den Gebrauchszusammenhang
an.
Schon seit Jahrzehnten setzen sich die aus
dem Punk kommenden "Goldenen Zitronen" mit der Frage nach
politischen Inhalten und musikalischer Form auseinander. Ihnen sei
es immer wichtig gewesen, so Ted Gaier bei einer weiteren
Diskussion des Festivals, eigene Formen zu finden, nicht kopier-
und benutzbar zu sein - weder von der Musikindustrie noch von der
rechten Szene. In Auseinandersetzung mit der Nachwendezeit und den
Ereignissen in Hoyerswerda habe man sich wieder eindeutiger
positionieren wollen. Entstanden sind Songs wie "80 Millionen
Hooligans/die Bürger von Hoyerswerda" oder auch "Das bisschen
Totschlag".
Die Möglichkeit, mit dieser politischen
Haltung kommerziell erfolgreich zu sein, ist für die "Goldenen
Zitronen" begrenzt: Die Band steht wie viele andere Künstler
vor dem Widerspruch, sich Gehör zu verschaffen, ohne sich von
der Musikindustrie den Weg weisen zu lassen. Mellow Mark, der
Hip-Hopper, sieht da ähnliche Schwierigkeiten wie die
"Zitronen" und versucht durch Mundpropaganda und
Straßenkonzerte bekannter zu werden. Die "Zitronen" arbeiten
vorwiegend mit Freunden aus dem musikalischen Umfeld und haben sich
nie einer großen Plattenfirma anvertraut.
Bezüge zu den deutschen Liedermachern
sehen die "Goldenen Zitronen" für sich nicht: Degenhardt sei
da eine Ausnahme, "total wichtig", "ein Genre für sich" -
Wecker und Biermann hingegen seien "katastrophal", so Gaier. "Das
männliche Selbstmitleid, der Weltschmerz und dieser Quatsch
interessiert mich nicht", sagte der Hamburger Musiker über
Wecker. Biermann hingegen sei jemand, der immer Recht habe, schon
vom Lebenslauf her, das finde er genauso schlimm. "Absichten zu
erklären ist heute total out. Das ist auch das Problem bei
politischen Botschaften - man will nicht belehrt
werden".
Liedermacher der alten Garde
Hier würden ihm die Liedermacher der
alten Garde vielleicht zustimmen. "Ich habe nie geglaubt, dass man
mit Liedern die Welt verändern könne", sagte Wecker. Zorn
sei der Beginn seiner Kunst, berichtete Wenzel. Musik könne
Probleme auf die Spitze treiben, Erkenntnisprozesse in Gang setzen
- mehr nicht. Die Liedermacher selbst kamen zu dem Schluss, dass
man sich in Zukunft mehr vernetzen müsse und sich gegenseitig
ein Forum schaffen sollte, um "die Bewegung in Gang zu halten", wie
Wecker es ausdrückte. Der Musikjournalist Michael Kleff
plädierte dafür, die Vernetzung über die Genres
hinaus auszuweiten und auch Weltmusik und Folkmusik mit
einzubeziehen. Er beklagte, dass die öffentlich-rechtlichen
Rundfunkanstalten ganze Programme und auch die "Liederbestenliste",
eine Liste der besten deutschen Lieder, eingestellt haben.
Bundestagspräsident Wolfgang Thierse, ebenfalls zu Gast bei
der Diskussion, nahm sich dieser Kritik an: Im Rundfunkrat gebe es
zu viele Leisetreter, sagte er. Dabei lohne es sich, für den
öffentlichen Auftrag und die Vielfalt des kulturellen
Programms zu streiten. Ob die "Goldenen Zitronen" sich Gedanken
über die Zukunft ihrer Fangemeinde machen müssen, sei
dahingestellt - ihr Konzert ist im Gegensatz zu dem der
Liedermacher hauptsächlich von jungen Leuten besucht worden.
Auch wenn man den Text nicht verstand - die Musik und die
Videoprojektionen sprachen für sich.
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