|
|
Bert Schulz
...aufgekehrt
Wenn überzeugte Raucher mit angstvollen Augen von
"amerikanischen Verhältnissen" sprechen, dann meinen sie meist
ihre leidenden Gesinnungsgenossen in New York. Bekanntlich
müssen dort jene, die den blauen Dunst einem frischen Atem
vorziehen, sich aus ihren Büros und Kneipen verziehen und an
zugigen Häuserecken unter freiem Himmel ihrem Laster
frönen. Oft bilden sich so kleine, im Winter kollektiv
schlotternde Rauchertrauben, die von Passanten belustigt - manchmal
freilich auch mitleidig - belächelt werden.
Nun, New York ist weit weg, und trotz aller Zug um Zug
umgesetzten Preiserhöhungen für die liebevoll
Sargnägel genannten Fluppen schien es viele Zigarettenpausen
lang unwahrscheinlich, dass der Hauch solch drakonischer
Genussverbote über den Atlantik nach Europa herüber wehen
würde. Jetzt machen ausgerechnet die als urgemütliche
Dauer-Kneipen-Insassen verschrieenen Iren dieser toleranten Kultur
den Garaus, sprich "Geh-Raus". Ab dem 29. März gilt in Irland:
In fast allen öffentlichen geschlossenen Räumen ist der
Konsum von Rauchmitteln verboten. Betroffen sind also auch
Arbeitsplätze wie Kneipen und Restaurants (denn dort wird
schließlich nicht nur geschmaust, sondern auch Geld verdient,
also gearbeitet).
Ausnahmsweise glücklich schätzen dürfen sich
lediglich Tabakfans der ansonsten eher traurigen Sorte: Altenheime,
Gefängnisse und psychiatrische Kliniken bleiben von der
drakonischen Maßnahme für's erste verschont. Gleiches
gilt für Hotelzimmer - ein schwacher Trost für die
irischen Süchtigen: Kaum jemand dort dürfte es sich
angesichts der überdurchschnittlich hohen Zigarettenpreise
leisten können, zu jeder Kippe gleich ein Zimmer mit zu
buchen.
Fest steht: Mit dem harschen irischen Verbot ist ein Gespenst in
Europa angekommen, das bald auch Raucher in anderen Ländern
erschrecken wird. Schon hat Norwegen angekündigt, im Juni
ähnlich strenge Rauchvorschriften einzuführen. Und
EU-Gesundheitskommissar David Byrne, selbst Ire, ist (wenig
überraschend) von dem Beschluss seiner Landsleute begeistert.
Müssen sich die deutschen Tabakliebhaber also bald warm
anziehen und ihre täglich konsumierten 400 Millionen Kippen
schlotternd an zugigen Straßenecken verrauchen?
Dieses je nach Sichtweise erschütternde oder erbauliche
Szenario scheint unausweichlich. Schließlich ist allen
Erfahrungen nach unwahrscheinlich, dass Raucher auf absehbare Zeit
aussterben werden. Bisher haben weder Aufklärungskampagnen
noch rüde Steuererhöhungen für die legale Droge wie
jene am 1. März sonderlich große Wirkung bewiesen: Der
Zorn über letztere - gern von Zeitungen geschürt, denen
der Bundeskanzler keine Interviews mehr gibt - ist meist schon nach
wenigen Tagen verraucht, die Erinnerung daran, dass die Schachtel
auch mal billiger war, offensichtlich ebenso. Dass in Deutschland
bald "amerikanische Verhältnisse" herrschen, ist gar nicht so
unwahrscheinlich; in vielen anderen Fragen sind sie ja schon lange
Realität.
Zurück zur
Übersicht
|