Brigitta Voigt
Die Truppe wird komplett neu ausgerichtet
Die vielfältigen neuen Aufgaben fordern
einen Strukturwandel der Bundeswehr
Transformation ist das Wort, mit dem
Bundesverteidigungsminister Peter Struck die Umwandlung der
Bundeswehr beschreibt. Transformation soll mehr sein als die
Weiterentwicklung des Bestehenden: Aufgaben und Fähigkeiten
der Streitkräfte werden neu definiert, die Bundeswehr
umstrukturiert. Warum? Das sicherheitspolitische Umfeld, nicht nur
Deutschlands, auch Europas, ja der ganzen Welt, hat sich
grundlegend verändert. Zwar sind mit dem Kalten Krieg auch die
alten Bedrohungen weggefallen. Doch anders als im Kalten Krieg
sieht sich die Welt mit nicht kalkulierbaren Risiken
konfrontiert.
Markanter Ausdruck dessen waren die
Balkan-kriege in den 90er-Jahren, der 11. September 2001, der
Afghanistan- und der Irak-Krieg, um die Wichtigsten zu
nennen.
Die Konsequenz, die der Verteidigungsminister
daraus gezogen hat, heißt: Verteidigung lässt sich nicht
mehr geographisch eingrenzen. Verteidigung, wie es in den
Verteidigungspolitischen Richtlinien vom 21. Mai 2003 heißt,
umfasst "mehr als die herkömmliche Verteidigung an den
Landesgrenzen gegen einen konventionellen Angriff. Sie
schließt die Verhütung von Konflikten und Krisen, die
gemeinsame Bewältigung von Krisen und die Krisennachsorge
ein." Die Streitkräfte müssen sich daher einer Vielfalt
an politischen, ökologischen, sozialen, militärischen,
diplomatischen und polizeilichen Handlungsoptionen stellen
können.
Seit Beginn der 90er-Jahre beteiligt sich die
Bundeswehr zunehmend an Auslandseinsätzen, sei es im Rahmen
der UNO, der NATO, der EU oder auch der OSZE. Ein Einsatz gegen den
Terrorismus wie in Afghanistan erfordert eine andere operative
Streitkräfteplanung als die Mithilfe am Wiederaufbau in
Bosnien. Dem muss sich die Bundeswehr, genauso wie die
NATO oder EU, stellen.
Im Rahmen der NATO hat Deutschland zugesagt,
als eigenen Anteil zur NATO Response Force (NRF) ständig etwa
5.000 Soldaten einsatzbereit zu halten. Das bindet, Vor- und
Nachbereitung sowie Bereitschaft einberechnet, etwa 15.000
Soldaten. Im Rahmen des European Headline Goal hat Deutschland sich
in der Europäischen Union bereit erklärt, ein erstes
Kontingent mit 18.000 Soldaten für Kriseneinsätze zur
Verfügung zu stellen. Evakuierungseinsätze will
Deutschland auch in nationaler Verantwortung realisieren
können, wofür auch 1.000 Soldaten benötigt werden.
Im Rahmen der UNO beteiligt sich Deutschland mit Transport-,
Sanitäts-, Feldjäger- und Pionierkräften, mit
Seefernaufklärern für Überwachungsaufgaben und mit
Minenabwehreinheiten. Insgesamt sind bis zu 1.000 Soldatinnen und
Soldaten bereit zu halten.
Diese nationalen und internationalen
Verpflichtungen lassen die Notwendigkeit einer Umstrukturierung der
Streitkräfte erkennen. Die Teilstreitkräfte Heer, Marine
und Luftwaffe werden nicht aufgelöst, sondern deren bisherige
Strukturen verändert. Gegliedert wird die Bundeswehr dazu
in:
1. Eingreifkräfte (etwa 35.000 Soldaten)
für vorrangig streitkräftegemeinsame, vernetzte
Operationen (friedenserzwingende Operationen) von hoher
Intensität und kürzerer Dauer. Zur Führung wird ein
gemeinsamer Stab gebildet, der die Einsatzvorbereitung und
konzeptionelle Weiterentwicklung verantwortet.
2. Stabilisierungskräfte (etwa 70.000
Soldaten) aus jeder Teilstreitkraft: Die Luftwaffe beispielsweise
bringt die Fähigkeit zur Aufklärung sowie zur
Überwachung von Luftverbotszonen ein, und die Marine
überwacht Seeräume und Seeverbindungslinien
(friedenssichernde Operationen).
3. Unterstützungskräfte (etwa
137.000 Mann, inklusive 40.000 Soldaten der Ausbildung) für
die logistische Unterstützung der Eingreif- und
Stabilisierungskräfte und zur Gewährleistung des
Grundbetriebes im Inland. Die Ausbildung der Soldaten wird
streitkräftegemeinsam vereinheitlicht.
Durch diese Umstrukturierung der
Streitkräfte erhofft sich die Bundeswehrführung ein
uneingeschränkt bundeswehrgemeinsames Denken und Handeln. Im
Vordergrund sollen nicht die Fähigkeiten einzelner
Organisationsbereiche stehen, sondern die Fähigkeiten der
Bundeswehr als Ganzes. Das soll in einer Effizienzsteigerung
münden, da nicht wie bisher verschiedene Truppenkontingente
aus Heer, Marine und Luftwaffe einsatzbezogen aufgestellt werden
müssen, sondern bestehende
teilstreitkräfteübergreifende Truppenteile geschlossen
eingesetzt werden können.
Die herkömmliche Landesverteidigung
gegen einen konventionellen Angriff, so der Verteidigungsminister,
entspricht nicht mehr den aktuellen sicherheitspolitischen
Erfordernissen. Dennoch muss die Bundeswehr zum Wiederaufbau einer
Landesverteidigung gegen einen Angriff mit konventionellen
Streitkräften in der Lage sein. Denn, so heißt es in dem
von der Regierungskoalition am Donnerstag vorgelegten Antrag: "Der
Schutz Deutschlands und seiner Bürgerinnen und Bürger
bleibt eine wichtige Aufgabe staatlicher
Sicherheitsvorsorge."
Hier geht die CDU/CSU-Fraktion weiter. Sie
fordert einen "nationalen Heimatschutz" und den Einsatz der
Bundeswehr im Innern, über den Katastrophenschutz und die
Terrorismusabwehr hinausgehend: "Die Bundeswehr muss Aufgaben
jenseits der Kriminalitätsbe-kämpfung und polizeilichen
Gefahrenabwehr im Inland optimal wahrnehmen können." Was durch
den Antrag zur Änderung des Grundgesetzes, der dem Bundesrat
vorliegt, möglich gemacht werden soll.
Die Differenzierung der Streitkräfte
muss einhergehen mit einer technologischen Anpassung. Kräfte
für friedenserzwingende Einsätze unterscheiden sich in
ihren Leistungsmerkmalen erheblich von denen für
friedenserhaltende Einsätze. Friedenserzwingende
Einsatzkräfte müssen in der Lage sein, einen raschen
Erfolg gegen einen militärisch organisierten Gegner bei
geringen eigenen Verlusten zu erzielen. Sie schaffen die
Voraussetzungen für friedenserhaltende Operationen der
Stabilisierungskräfte, die sich gegen einen zumeist
militärisch gut organisierten, jedoch asymmetrisch
operierenden Gegner durchsetzen müssen. Sie sollen
Konfliktparteien trennen und Waffenstillstandsvereinbarungen
überwachen können, die Bevölkerung schützen,
staatliche Autorität und öffentliche Infrastruktur
wiederherstellen und müssen in der Lage sein, örtliche,
wenn auch begrenzte Angriffe abzuwehren. All dem muss die
Ausrüstung der Bundeswehr Rechnung tragen.
Diese Transformation erfordert die
Weiterentwick-lung von Waffensystemen in den
Teilstreitkräften. Das heißt, wegzukommen von dem
bisherigen Muster, dass auf Panzer A der modernere Panzer B folgt,
auf Fregatte A die größere Fregatte B und auf Jagdflieger
A der schnellere Jagdflieger B. Vielmehr muss innerhalb der
Teilstreitkräfte und im Verbund zwischen ihnen über die
Fähigkeiten nachgedacht werden, die innerhalb der neuen
Strukturen zu erfüllen sind. Danach ist die Ausrüstung
anzupassen.
Der Generalinspekteur der Bundeswehr, General
Wolfgang Schneiderhan, versuchte den Umstand wie folgt zu
beschreiben: "Heer und Marine der Bundeswehr verbindet tiefer
Respekt. Wird das reichen, wenn man die in der Marine vorhandenen
Führungsmöglichkeiten und
Aufklärungsfähigkeiten im Verbund besser nutzen will und
muss, um für die Marine zum Beispiel die hervorragende
Waffenwirkung der Heeresartillerie auszunutzen? Warum bei U-Booten
auf dem Filmniveau von 'Das Boot' stehen bleiben? Werden wir die
Aufklärungsfähigkeit dieses Systems für alle nutzbar
machen können?"
Verteidigungsminister Peter Struck will an
der Wehrpflicht festhalten. Auch die CDU/CSU bekennt sich dazu. Die
FDP allerdings ist der Meinung, dass die Wehrpflicht "einen so
tiefen Eingriff in die individuelle Freiheit der jungen Bürger
dar(stelle), dass sie von einem demokratischen Rechtsstaat nur dann
abgefordert werden kann und darf, wenn es die äußere
Sicherheit des Staates wirklich gebietet." Während die
Liberalen nur die Aussetzung der Wehrpflicht fordern, wollen die
Grünen sie ganz abschaffen.
Im Weizsäcker-Bericht aus dem Jahre 2000
heißt es: "Die Kommission empfiehlt, die Wehrpflicht zu
erhalten. (...) Ihre Empfehlung zur Wehrform beruht auf
Prüfungen der staatsbürgerlichen, verfassungsrechtlichen
und sicherheitspolitischen Voraussetzungen. Angesichts andauernder
äußerer Ungewissheiten sollte die Struktur der
Streitkräfte flexibel ausgelegt sein und über
Aufwuchspotential und Regenerationsfähigkeit
verfügen."
Eine traditionelle Landes- und
Bündnisverteidigung ist auf die Mobilisierungsfähigkeit
gestützt. Aber eine territoriale Invasion Deutschlands und
selbst eines Bündnismitgliedes von außen ist eher
unwahrscheinlich geworden. Fragt sich also, ob die Wehrpflicht
trotz Strukturveränderung beibehalten werden sollte. Zumal man
für Auslandseinsätze Wehrpflichtige nur auf
Freiwilligenbasis einsetzen kann. Daher bemühen Kritiker der
Wehrpflicht das Argument, dass eine Berufsarmee, die sich nicht mit
der Ausbildung von Grundwehrdienstleistenden befassen müsse,
besser für die neuen Aufgaben der Bundeswehr geeignet
wäre. Allerdings beteiligen sich freiwillige
Wehrdienstleistende an Auslandseinsätzen; circa 22,9 Prozent
im Kosovo und 7,1 Prozent in Afghanistan.
Ein Hauptargument für die Wehrpflicht
ist, dass die Bundweswehr gut 49 Prozent des Nachwuchses der
Unteroffiziere und Offiziere aus den Wehrdienstleistenden
rekrutiert, die sich während des Dienstes länger
verpflichten oder dazu entscheiden. Die andere Hälfte bezieht
die Bundeswehr aus der regulären Anwerbung. Die Abschaffung
der Wehrpflicht hätte vermutlich also eine Verkleinerung der
Bundeswehr zur Folge. Dem Argument, dass man mit einer Berufsarmee
Bewerber anziehen könnte, die im zivilen Arbeitsmarkt keine
Chance haben, wirkt die Bundeswehr durch strenge Auswahl und
Weiterqualifizierung entgegen.
Eine Frage, die von Gegnern der Wehrpflicht
immer wieder gestellt wird, ist, ob die Wehrpflicht der Bundeswehr
zusätzlich Kosten verursacht. Direkt stehen die im Vergleich
zu den Berufssoldaten geringeren Personalkosten der
Wehrdienstleistenden den Aufwendungen für die Ausbildung der
Wehrdienstleistungen gegenüber. Derzeit sind das etwa 30.000
und Soldaten, die nicht für Einsätze zur Verfügung
stehen. Allerdings müsste die Bundeswehr, wenn sie ihren
Nachwuchs nicht mehr durch die Wehrpflichtigen aufgebessert, mit
höheren Sold und mit Prämien Anreize für die
Anwerbung schaffen.
Die Wehrpflicht verbindet Armee und
Gesellschaft. Sie war eine Reaktion auf die Erfahrung der ersten
Hälfte des 20. Jahrhunderts, als das von der Gesellschaft
losgelöste Berufsmilitär zu einer Bedrohung für die
Demokratie wurde. In unserer heutigen Gesellschaft mag dies
vermutlich nur noch eine sehr geringere Bedeutung haben, sollte
aber in der Diskussion über die Wehrpflicht aber nicht
völlig vergessen werden.
Das Bundesverfassungsgericht hatte im Jahr
2002 bestätigt, dass die Wehrpflicht mit dem Grundgesetz
vereinbar ist. Bei einem geringer werdenden Anteil der
Wehrpflichtigen kann aber die Wehrgerechtigkeit nur schwer
aufrechterhalten werden. Dem ist entgegenzuhalten, dass sich aus
dem Wehrdienst nicht nur Nachteile ergeben. Rekruten können
beispielsweise zusätzliche berufliche Qualifikation im
Grundwehrdienst erwerben, die anderen Jugendlichen
entgehen.
Unlösbar mit der Wehrpflicht ist der
Zivildienst verbunden. Die Zivildienstleistenden - im Jahr 2003
sind bislang nur noch 110.000 geplant - bilden eine Armee von
billigen Arbeitskräften im sozialen Bereich sowie bei der
medizinischen Versorgung. Gegner der Wehr-pflicht haben kaum
Rezepte anzubieten, wie der Wegfall der Zivildienstleistenden
aufgefangen werden kann.
Ein Ersetzen durch reguläre
Arbeitskräfte dürfte viele soziale Einrichtungen
überfordern. Die Einführung einer allgemeinen zivilen
Dienstpflicht für alle jungen Menschen, wie vom
stellvertretenden CDU-Fraktionsvorsitzenden Friedrich Merz ins
Gespräch gebracht, wird vermutlich keinen Konsens in der
Gesellschaft finden. Die Abschaffung der Wehrpflicht aber
könnte zu einer erheblichen Kostenanhebung im
Gesundheitssystem führen.
Experten sind sich einig, dass die
Wehrpflicht auf Dauer nicht haltbar sein wird. Sollte, wie
Verteidigungsminister Struck angekündigt hat, Ende des Jahres
die Entscheidung gegen die Wehrpflicht ausfallen, ergeben sich
daraus Folgen für die Struktur der Bundeswehr. Die derzeitige
Strukturreform ist so ausgelegt, dass eine andere Wehrverfassung
nicht eine völlig neue Reform der Bundeswehr
verlangt.
Aber während in den
mitteleuropäischen Staaten - vor kurzem hat sich gerade Ungarn
für die Abschaffung der Wehrpflicht entschieden - immer mehr
Berufsarmeen entstehen, existieren in den skandinavischen
Ländern Wehrpflichtsysteme, von denen die Bundeswehr positive
Ansätze übernehmen könnte.
Der Grundwehrdienst von neun Monaten wird den
geänderten Aufgaben der Bundeswehr angepasst. Bis zum Jahr
2010 soll die Bundeswehr einen militärischen Umfang von
250.000 Soldaten erreichen.
Auch im zivilen Bereich will das
Verteidigungsministerium die bisherigen Stellen reduzieren. Es soll
einen Abbau von 10.000 Haushaltsstellen im zivilen Bereich geben.
Aber, wie aus dem Haus zu hören ist, sollen die Stellen nicht
einfach gekappt werden, sondern nach einer Aufgabenanalyse sollen
die Struktur im zivilen Bereich verändert und danach der
Stellenbedarf errechnet werden. Die Stellenkürzungen bei den
Zivilbeschäftigten, versichert das Verteidigungsministerium,
werden die tarifrechtlichen Vereinbarungen nicht außer Acht
lassen. Die Kostenreduzierungen im Personalbereich sollen
künftigen Investitionen zugute kommen.
Die Veränderungen in der Struktur der
Bundeswehr sowie die Personalreduzierungen wirken sich
natürlich auf die Standortplanung aus. Derzeit verfügt
die Bundeswehr über 621 Standorte. Im Jahre 2001 ist bereits
entschieden worden, diese auf 505 zu reduzieren. Angekündigt
hat Verteidigungsminister Struck nunmehr, bis zum Jahresende 2004
weitere 100 Standort zu schließen. Welche dies sein werden,
entscheiden militärische und betriebswirtschaftliche
Kriterien.
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