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Alexander Weinlein
Bigotte Protestanten im Treibsand
Pünktlich zu seinem 80. Geburtstag erschien
der neue Scholl-Latour
In seinem Alter, so bekundete Peter
Scholl-Latour anlässlich seines 80. Geburtstages am 9.
März dieses Jahres in mehreren Fernseh- und
Zeitungsinterviews, habe man die Wahl, sich der Sanftmut oder dem
Zorn hinzugeben. Er habe sich für den Alterszorn entschieden.
"Weltmacht im Treibsand" heißt das neuestes Buch des Jubilars
- und der Zorn des altgedienten Journalisten lässt sich
bereits auf den ersten Seiten deutlich ablesen.
Wir sind bei der in Deutschland praktizierten
Selbstzensur, der braven Anpassung an die ‚politicall
correctness' so weit gekommen, dass es sich nur noch ein
israelischer Militärhistoriker in einer hiesigen Gazette
leisten kann, in aller Nüchternheit festzustellen, dass
Amerika den Irak-Krieg bereits verloren hat."
"Weltmacht im Treibsand" knüpft direkt
an sein Buch "Kampf dem Bösen oder Krieg dem Islam? Amerika im
Rausch der Allmacht" (2002) an. Auch diesmal ist Scholl-Latour
seinem alten Grundsatz treu geblieben, "das persönliche
Erlebnis vor Ort", die "Tuchfühlung mit dem real Geschehenen"
zur Grundlage seiner Analyse zu machen; in der zweiten
Jahreshälfte 2003 bereiste er Afghanistan, Persien, Irak, den
Libanon und Syrien.
Zum Scheitern verurteilt
Wie nicht anders zu erwarten - Scholl-Latour
gilt seit Jahren als Bote schlechter Nachtrichten, und er
genießt dies sichtlich - fällt seine Beurteilung der
amerikanischen Politik alles andere als positiv aus. Die Amerikaner
seien im Irak so oder so zum Scheitern verurteilt. Lediglich zwei
Optionen sieht er für die Bush-Administration in Washington:
Entweder sie installiert in Bagdad ein proamerikanisches Regime,
das "unter Missachtung des Wählerwillens mit einem
Lippenbekenntnis zur Demokratie und Meinungsfreiheit die
Weltöffentlichkeit zu betrügen sucht". Oder sie erkennt
an, "dass die Schiiten im Irak den Schlüssel zur Zukunft
besitzen und der zentrale Faktor einer eventuellen Stabilisierung
sind." Die Folge wäre eine islamische Republik.
Bundestagspräsident Wolfgang Thierse
gratulierte Scholl-Latour zu seinem 80. Geburtstag mit folgenden
Worten: "Es werden aus diesem Anlass viele lobende Worte
geschrieben und gesagt, mancher wird sich möglicherweise auch
kritisch mit Ihnen befassen - Sie wissen das und lassen sich davon
auch nicht beirren - Ihre Aussagen und Meinungen finden nicht
überall Zustimmung." In der Tat ist Peter Scholl-Latour immer
wieder gescholten worden: seine Bücher seien anti-islamisch
war von Seiten verschiedener Orientalisten in der Vergangenheit zu
hören. Er selbst reagierte auf diese Angriffe lapidar mit dem
Verweis, dass seine Analysen und Beschreibungen der islamischen
Welt gerade unter Moslems - auch den politisch großen und
mächtigen - meist auf Zustimmung gestoßen seien. Und so
finden sich wie zum Beweis auch in seinem neuen Werk verschiedene
Fotos, die ihn zusammen mit diversen Politikern und Führern
aus der islamischen Welt im Gespräch zeigen: etwa mit dem
iranischen Revolutionsführer Ayatollah Khomeini im Jahr 1979,
mit Scheich Mohammed Hussein Fadlallah, der höchsten
geistlichen Autorität der Schiiten im Libanon, oder mit
Scheich Nabil Qaouq, dem Befehlshaber des Süd-Abschnitts der
schiitischen Hizbullah an der Grenze zu Israel. Da schwingt
sicherlich eine Portion Eitelkeit mit, aber dies sei einem
Geburtstagskind verziehen.
Für "Weltmacht im Treibsand" könnte
sich Scholl-Latour zwei weitere - überflüssige und
ungerechtfertigte - Vorwürfe einhandeln: anti-amerikanisch und
anti-christlich zu sein. "Der militante Aufbruch islamischer
Religiosität zwischen Senegal und Südphilippinen war 1983
(Anmerk. d. Redaktion: in diesem Jahr erschien sein Buch "Allah ist
mit den Standhaften") bereits deutlich erkennbar, auch wenn so
mancher deutscher Orientalist ihn hartnäckig leugnete. Viel
verblüffender hingegen ist das Erstarken der christlichen
Erweckungsbewegung, des bigotten protestantischen Fundamentalismus
in Nordamerika, und dessen politische Auswirkungen." Darin sieht
der Buchautor eine der Hauptantriebskräfte für den
amtierenden US-Präsidenten: "Selbst wenn er das Schwert
führt, glaubt Bush, einen göttlichen Auftrag zu
erfüllen."
Aber auch die deutsche Außenpolitik
findet wenig Gnade vor den kritischen Augen Scholl-Latours. Die
Weigerung der Deutschen, sich militärisch im Irak-Krieg zu
beteiligen, hält er zwar für durchaus vernünftig -
seiner Meinung nach zeigen die Europäer eh zu wenig
Selbstvertrauen gegenüber dem amerikanischen
Führungsanspruch. Um so harscher geht er dafür aber mit
dem deutschen Engagement in Afganistan ins Gericht, in dem er den
zum Scheitern verurteilten Versuch sieht, die derzeit schwierigen
deutsch-amerikanischen Beziehungen zu entspannen Die Bundeswehr in
Kabul sieht er auf verlorenem Posten, wenn sich die regionalen
Warlords entschließen sollten, der Herrschaft des afghanischen
Präsidenten Hamed Karzai über "Kabulistan" ein
gewaltsames Ende zu bereiten.
Besonders den deutschen Außenminister
und die Grünen lässt Scholl-Latour seinen Zorn deutlich
spüren: "Die Gefolgschaft Joschka Fischers kann sich doch
nicht ernsthaft an die Illusion klammern, im Namen des
‚humanitären' Bundeswehr-Einsatzes ein demokratisches
Patenkind Afghanistan hochzupäppeln. Doch wer nimmt heute
schon Anstoß daran, dass die Wehrdienstverweigerer von gestern
die jungen Soldaten von heute in ein potentielles
Himmelsfahrtskommando am Ende der Welt verabschieden."
Peter Scholl-Latour
Weltmacht im Treibsand.
Bush gegen die Ayatollahs.
Propyläen Verlag, Berlin 2004; 344 S.,
24,- Euro
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