Karl-Otto Sattler
In der Versuchsküche Europas
Baden-Württemberg: Große Visionen und
politisches Kleinklein
Kai Littmann sprüht von Ideen. Badische und
elsässische Journalisten machen ein gemeinsames Regionalradio.
Eine Europaschule unterrichtet junge Leute von der Vorschule bis
zum Abitur zweisprachig, "das ist ein sehr ehrgeiziges Ziel".
Deutsche und französische Ärzte betreiben einen
grenzübergreifenden Notdienst, jeder Patient kann sich am
Telephon in der Muttersprache melden. Restaurants offerieren ihre
Speisekarten auf Deutsch und Französisch. Besonders am Herzen
liegt dem Aktivisten die "e-democracy": Im Internet sollen
Bürger aus Straßburg und der Ortenau über die
Kommunal- und Regionalpolitik diskutieren können.
Der 42-jährige Badener lebt in Straßburg und
verkörpert persönlich ein kleines Stück Europa vor
Ort. Und neuerdings agiert Littmann als Vorsitzender des
"Bürgerforums Eurodistrikt". In dieser Bürgerinitiative
puschen Franzosen und Deutsche von unten eine neuartige
transnationale Gebietskörperschaft: Straßburg, nebenan in
Baden Kehl und der Ortenaukreis wollen EU-weit den ersten
"Eurodistrikt" bilden, der die grenzübergreifende Kooperation
mit politischen und Verwaltungsstrukturen verbindlicher machen und
so auf ein innovatives Niveau heben soll.
Littmann ist "hundertprozentig überzeugt, dass jetzt
tatsächlich etwas daraus wird". Früher habe es für
ein solches Modell keine Unterstützung "von höchster
politischer Ebene gegeben". Das sei nun anders. Seit den Feiern zum
40. Jahrestag des Elysée-Vertrags umwehen höhere Weihen
dieses Projekt: Im Januar 2003 lancierten Jacques Chirac und
Gerhard Schröder diese Idee für Straßburg und
Kehl.
Seither ist im Südwesten ein regelrechtes
Eurodistrikt-Fieber ausgebrochen. Unter der Ägide von
Straßburgs Rathauschefin Fabienne Keller, des dortigen
Stadt-Umland-Präsidenten Robert Grossmann, des Kehler
Oberbürgermeisters Günther Petry und des Ortenau-Landrats
Klaus Brodbeck werkeln Arbeitsgruppen an der Ausarbeitung einer
ersten Vereinbarung, die im Frühjahr unterzeichnet werden
soll. Petry spricht von einer "Versuchsküche Europas". Mit
Besuchen vor Ort unterstrichen die französische
Europaministerin Noelle Lenoir und der deutsche
Europa-Staatssekretär Hans Martin Bury den Pariser und
Berliner Willen, den Eurodistrikt auf die Gleise zu setzen.
Mittlerweile preschten auch Freiburg sowie im Elsass Colmar und
Mülhausen vor und reklamierten die Absicht, ebenfalls einen
Eurodistrikt aus der Taufe zu heben. Saarländische und
lothringische Kommunen brüten über einem ähnlichen
Konzept.
Freilich ist bislang völlig offen, wie ein "Eurodistrikt"
einmal aussehen wird. So etwas wie "Washington-DC" soll es
jedenfalls nicht werden. Zwar malt Noelle Lenoir für
"irgendwann" bereits die Vision eines "gemeinsamen Haushalts und
gemeinsamer Kommunalwahlen" aus. Doch an ein echtes
Verwaltungsgebilde denken die Praktiker vor Ort nicht. Diskutiert
wird vor allem die Variante eines grenzübergreifenden
Zweckverbands.
Wie aber soll eine solche Einrichtung organisiert sein?
Über welche Kompetenzen wird der Eurodistrikt verfügen,
treten die beteiligten Städte und Landkreise Hoheitsrechte an
diese Gebietskörperschaft ab? Wie steht es um die
Finanzausstattung? Eine Instanz mit "internationaler
Rechtspersönlichkeit" muss es sein, sollte es nicht bei einer
bloßen Palavergremium bleiben. Alles ist in der Schwebe.
Freiburgs OB Dieter Salomon macht aus der Not eine Tugend, sieht
eine Chance zur Gestaltung von etwas Neuem: "Das kann mit Inhalten
gefüllt werden."
Bereits jetzt in der Startphase keimt Streit auf, werden
Eifersüchteleien offenbar. Landrat Brodbeck und mehrere
Bürgermeister aus der Ortenau haben ein Papier vorgelegt, in
dem sie vor einem "Ungleichgewicht" zugunsten Straßburgs
warnen. Die Badener treibt die Sorge um, die Elsässer wollten
den schönen Titel "Eurodistrikt" vor allem nutzen, um
Straßburgs internationales Renommee als Europastadt
herauszuputzen - womit die deutschen Nachbarn zum Anhängsel
degradiert würden.
Vorsorglich wollen die badischen Partner Pflöcke einrammen:
Die neue Gebietskörperschaft müsse entweder nach
deutschem Recht gegründet werden oder ihren Sitz
rechtsrheinisch haben. Es soll sich nicht alles in Straßburg
abspielen. Die Elsässer, von denen Überlegungen in dieser
Richtung durchaus schon mal zu hören waren, waren über
solche Kritik vergrätzt.
Immerhin können sich die Verfechter der Euro-distrikte auf
vielfältige kommunale Initiativen stützen. Karlsruhe
verlängert in den nächsten Jahren seine Stadtbahn bis ins
Nordelsass. Schon zehn Mal haben die Gemeinderäte von Freiburg
und Mülhausen gemeinsam getagt und dabei auch Praktisches auf
den Weg gebracht: Bücherbusse fahren regelmäßig in
die Partnerstadt, an Schulen werden Umweltpreise verliehen,
Jazzfestivals werden zusammen organisiert, Kampagnen gegen
Fremdenfeindlichkeit wurden abgestimmt.
Auch die lokalen Parlamentarier aus Waldkirch und dem
elsässischen Schlettstadt treffen sich inzwischen zu
Sitzungen. Hartheim und das französische Fessenheim haben
einen Zweckverband gegründet, um eine neue Rheinbrücke zu
bauen. Karl-Otto Sattler
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