Dieter H. Michel
Bittere Pillen aus Magdeburg
Sachsen-Anhalt: Rosskur für
Universitäten und Hochschulen
Studenten streiken auch in Magdeburg und Halle. Wie in
Frankfurt, Leipzig und Berlin laufen sie Sturm gegen
Kürzungspläne der Landesregierungen, gehen auf die
Straße, besetzen Vorlesungsräume und protestieren selbst
auf dem tief verschneiten Brocken. Zur Unterstützung der
Professoren und Studenten der vom Abbau besonders betroffenen
landwirtschaftlichen Fakultät der
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg tuckerten sogar 70
Traktoren des Landesbauernverbandes im Demonstrationszug durch die
Saalestadt Halle.
Sachsen-Anhalts Kultusminister Professor Jan-Hendrik Olbertz
(parteilos) befindet sich in der Kostenfalle. Weil das ganze Land
sparen muss, sollen auch die Hochschulen ab 2006 zehn Prozent ihrer
Mittel einsparen. Von knapp 30 Millionen Euro ist die Rede, eine
Hälfte davon sollen niedrigere Personalkosten durch einen
neuen Tarifvertrag erbringen, der die Arbeitszeit und die
Gehälter der Angestellten um fünf bis 7,5 Prozent absenkt
sowie Weihnachts- und Urlaubsgeld der Beamten reduziert.
Und der Rest? Ausgerechnet bei der Bildung zu sparen, hält
selbst Professor Olbertz für nicht unbedingt klug. Aber durch
Umstrukturierungen, Konzentration, Profilierung und
Schwerpunktbildung seien jene Fachbereiche zu stärken, in
denen Spitzenleistungen erbracht werden sollen. Doppelangebote
müssen vermieden, Kooperationsbeziehungen zwischen den
Hochschulen gepflegt werden. Um das zu erreichen, verweist der 1954
in Berlin geborene Professor Olbertz, der 1973 sein Abitur in
Rostock ablegte, darauf, dass es unter den derzeit 320
Studiengängen im Land auch eine Vielzahl kleiner und kleinster
Angebote gebe.
Etwa ein Viertel dieser Studiengänge werde weitgehend
gleichartig an mehreren Orten, also doppelt, zum Teil mehrfach
vorgehalten. Zum Beispiel könne man Ingenieurwissenschaften,
Elektrotechnik und Maschinenbau an mehreren Standorten studieren,
ein Studium in Architektur und Bauwesen werde von zwei Hochschulen
angeboten. "Wir können uns das nicht nur aus finanziellen
Gründen künftig nicht mehr leisten. Die Angebote machen
sich gegenseitig die Ressourcen streitig", argumentiert der
Minister, der ab1985 selbst Oberassistent an der
Martin-Luther-Universität war.
Konkrete Beispiele: Um die Bildungslandschaft zu straffen,
könnten Professor Olbertz zufolge die künst-lerische
Musikausbildung und die der Musiklehrer in Halle konzentriert
werden. Dies sollte in Kooperation mit der Hallenser Hochschule
für Kirchenmusik ge-schehen. Die Ingenieurwissenschaften
sollten in Magdeburg ihre Heimstatt finden. Für die in
Magdeburg 1953 als Hochschule für Schwermaschinenbau
gegründete und 1987 zur Technischen Universität "Otto von
Guericke" weiter entwickelte Lehranstalt nur folgerichtig.
Lehrerbildung könnte dagegen künftig an der
Mar-tin-Luther-Universität konzentriert werden, die in der
Tradition eines Zentrums der Aufklärung steht, das schon im
Jahre 1694 gestiftet und1817 mit Wittenberg vereinigt worden
war.
Statt Architektur und Bauwesen an mehreren Standorten sollten
Traditionen gepflegt werden. Die Architekturausbildung sollte in
Dessau an die Tradition des Bauhauses anknüpfen, das 1996 in
das Unesco-Weltkulturerbe aufgenommen wurde. Die Fachrichtung
Bauwesen sollte sich in Magdeburger Tradition sehen. All dies
würde erhebliche Reserven im Hochschulsystem aufdecken und
könnte helfen, die Landeskasse zu konsolidieren.
Wie nötig das ist, kann Professor Olbertz belegen: Allein
für Zinszahlungen einer Woche braucht das Land das komplette
Jahresbudget einer Fachhochschule (!). Im Ergebnis einer jahrelang
verfehlten Ausgabenpolitik müsse das Land jeden Tag 2,5
Millionen Euro allein an Zinsen ausgeben. Was Olbertz unter einer
besseren Strukturierung versteht, macht er am Beispiel der
Fachhochschule Magdeburg/Stendal deutlich: Sie müsse weiter
stark und attraktiv gemacht werden. "Doch Studiengänge wie
Medienmanagement und Journalistik gehören meiner Ansicht nicht
nach Stendal sondern in die Landeshauptstadt, wo
Nachrichtenagenturen und die Landespressekonferenz arbeiten, wo
Zeitungen herausgegeben werden und Rundfunk und Fernsehen ihre
Wirkungsstätten haben." Andererseits sollten um die
erfolgreich in Stendal aufgebaute Rehabilitationspsychologie auch
die Heilpädagogen ausgebildet werden, die jetzt noch aus
Magdeburg kommen.
Der Minister gegenüber "Das Parlament": "Von allen
Hochschulen habe ich akzeptable Pläne und Konzepte zur
künftigen Hochschulstruktur erhalten. Die Vorschläge dazu
wurden in wesentlichen Punkten aufgegriffen." Ihn habe diese
Resonanz ermutigt, das Ziel der Hochschulstrukturplanung "in
großen Schritten anzugehen". Lediglich von der Fachhochschule
Magdeburg-Stendal erwarte er noch ein Konzept.
Wichtig sei für ihn, nicht mit Berechnungen anzufangen.
"Wir wollten erst einmal die Struktur diskutieren. Jetzt kommt die
Feinarbeit an die Reihe. Dabei geht es dann auch um die
Einsparpotentiale. Im März wird es eine zweite Runde dieser
Gespräche geben." Für den Minister erfreulich: "Studenten
haben an den Anhörungen teilgenommen, haben sich in
schriftlichen Stellungnahmen zu unseren Überlegungen
ge-äußert und mit eigenen Vorschlägen Stellung
bezo-gen." Den Grundstein dazu hatte der Professor selbst in einem
offenen Brief an die Studenten gelegt, in dem er sie mit einiger
Dringlichkeit aufforderte, "sich Veränderungen
aufzuschließen, anstatt lediglich den Status quo zu
verteidigen".
Im April wird das Kabinett den überarbeiteten Plan der
Hochschulstruktur beraten. "Danach wird es ein neues Gesetz geben",
so der Minister. Bis zum Sommer soll die Planung beendet sein. Die
Studentenzahl solle mit rund 33.000 auch in Zukunft stabil bleiben.
Da es nach der demografischen Entwicklung in wenigen Jahren
bedeutend weniger studierwillige Jugendliche geben werde, seien die
Hochschulen gefordert, ihre Angebote attraktiv und interessant auch
für Studenten aus anderen Bundesländern und dem Ausland
zu machen. Dieter H. Michel
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