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Bert Schulz
...aufgekehrt
Es gibt Menschen, die geben sich unheimliche Mühe
herauszufinden, wer sie sind. Sie forschen in Stammbüchern
nach ihren Ahnen, sie besuchen religiöse und esoterische
Seminare, sie gehen in sich, sie gehen aus sich heraus bis an ihre
Grenzen. Das ist schön, aber das ist auch anstrengend.
Wäre es nicht viel angenehmer, einfach in die Zeitung zu
schauen?
Schließlich wird jeden Tag auch ganz professionell
nachgefragt, wer wir - meist eine genau bestimmte Gruppe, Raucher,
Singles, Deutsche, Faulpelze - sind. Die Ergebnisse sind mehr als
überzeugend, schließlich schmücken sich die Umfragen
überwiegend mit dem Adjektiv repräsentativ und wirken so
zumindest wissenschaftlich angehaucht. Beispiel: Was wusste man am
vergangenen Mittwoch und Donnerstag über die Deutschen? Jeder
zweite in der Republik fühlt sich durch Terroranschläge
bedroht, zwei Drittel lieben den Ewig-Jung-Entertainer Thomas
Gottschalk. Das bekannteste Gebot ist das fünfte - "du sollst
nicht töten" -, das jeder zweite kennt, jeder fünfte
hält Krimis wie den "Tatort" für zu brutal. Jeder dritte
Deutsche wünscht sich just jetzt mehr Zeit für seine
Familie, die größten Vorbilder sind die erfolgreichen
Langweiler Steffi Graf und Michael Schumacher. Schließlich:
Für über die Hälfte aller Deutschen ist ein Kuss
Ausdruck von Zärtlichkeit. Das sind überraschende
Ergebnisse.
Wenn man dann noch weiß - wie drei Tage vorher bekannt
wurde -, dass deutsche Touristen in der Türkei besonders die
Gastfreundschaft schätzen, sie im allgemeinen Konsumrausch zu
Hause den Traditionsmarken der Hersteller am meisten vertrauen und
in der Hälfte aller jungen Familien die Kinder täglich
etwas Süßes zum Naschen kriegen, dann fragt man sich
doch: Warum sind so viele Menschen auf der Suche nach sich selbst,
wenn die Deutschen anscheinend so normal sind? Vielleicht, weil man
bei dieser wüsten Flut von Umfragen einfach den Überblick
verliert - oder sich schlicht nach deren Sinn fragt. Bert
Schulz
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