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Karl-Otto Sattler
Vom Firmenchef zum Praktikanten
10. Know-How-Transfer: Begegnung zwischen
Wirtschaft und Politik
Tauschen möchte Anette Fischer nicht. Die vielen Sitzungen,
die Sachargumente von dieser und jener Seite, die unterschiedlichen
Meinungen, gegenläufige Interessen, die abgewogen werden
müssen: Nein, es dauert der Jungunternehmerin aus Bielefeld
einfach zu lange, bis im Bundestag Beschlüsse zustandekommen.
Die Betreiberin einer Abfallentsorgungsfirma mit 20
Beschäftigten sagt: "Wir müssen Entscheidungen schon mal
von Jetzt auf Gleich treffen." Eines aber weiß sie inzwischen:
"Die Abgeordneten leisten harte Arbeit, die Bilder im Fernsehen mit
leeren Sitzen im Plenarsaal vermitteln ein falsches Bild."
"Abends", erzählt Anette Fischer, "ist man nach einem
Sitzungstag im Parlament ziemlich erschöpft, eine gute
Kondition ist schon erforderlich." Als "Praktikantin" des
Abgeordneten Michael Kauch hat die Ostwestfälin den
FDP-Politiker aus Dortmund den ganzen Tag über begleitet. Um
acht Uhr in der Frühe ging es in dessen Büro los, bis zum
Mittag diskutierten drei Arbeitskreise der Fraktion über
Umwelt und Energiefragen, nachmittags debattierte dann die Fraktion
der Liberalen. Abends war noch eine Lehrstunde in Sachen Lobbyismus
angesagt: Vertreter der Wasserstoffwirtschaft hatten FDP-Politiker
zu einem "Parlamentarischen Abend" eingeladen. Die
Geschäftsfrau erfuhr dabei nicht nur einiges über die
Bedeutung von Brennstoffzellen, sondern auch dies: "Bei solchen
Treffen lernt man sich kennen, und die Abgeordneten laden dann
schon mal einen solchen Experten zur Diskussion in einen Ausschuss
ein."
Mit anderen Augen
Auch Michael Meister wechselt nicht die Seiten, Banker ist der
hessische CDU-Parlamentarier nach einem zweitägigen
"Praktikum" bei der Volksbank in Wiesbaden nicht geworden.
Nützlich findet der Abgeordnete aus Bensheim an der
Bergstraße diese Visite gleichwohl: "Nach solchen Erlebnissen
im betrieblichen Alltag sieht man die Dinge doch mit anderen
Augen." Er nennt ein Beispiel: "Manchmal beschwert sich ein
Unternehmer, dass ihm die Bank plötzlich die Kreditlinie
runterfährt. Aber wenn man weiß, nach welchen Kriterien
Kredite vergeben werden, kann man das ganz anders
einschätzen."
Sich hinter den Kulissen umtun: Das ist der Sinn der Aktion, die
sich in bestem Neuhochdeutsch "Know-how-Transfer" nennt und den
persönlichen Kontakt zwischen Volksvertretern und
Nachwuchswirtschaftlern vermittelt. "Ein paar Tage vom
Arbeitsfrühstück bis zum Fraktionsabend eng beieinander
sein und einmal über die Schultern schauen." So beschreibt
Bert Christmann, Bundesvorsitzender der Wirtschaftsjunioren
Deutschlands (WJD) diese "Praktika". Seit zehn Jahren veranstalten
die WJD den "Know-how-Transfer", und dieses Jahr meldet Christmann
einen neuen Teilnahmerekord: 240 Abgeordnete aus allen Parteien
ließen sich von 240 Jungunternehmern drei Tage lang von
früh bis spät begleiten. Katrin Schütz aus
Karlsruhe, die als WJD-Vorstandsmitglied das aufwendige Programm
organisiert hat: "Es ist kein Problem, Parlamentarier für
diese Aktion zu gewinnen, die machen inzwischen gern mit." Im
Gegenzug sollen die Abgeordneten sich auch mal in den Betrieben
umschauen, das geschieht aber nicht so häufig.
Die von der Kreis- über die Landes- bis zur Bundesebene bei
den Industrie- und Handelskammern angesiedelten WJD, mit 11.000
Mitgliedern der größte deutsche Verband junger
Unternehmer, verbinden mit dem "Know-how-Transfer" die Hoffnung auf
eine besseres gegenseitiges Verständnis. Leute aus der
Wirtschaft und Leute aus der Politik wüssten zuwenig über
die konkrete Arbeit der Gegenseite. Der Alltag des Anderen bleibe
meist "schemenhaft und abstrakt", heißt es in einer
Stellungnahme zum diesjährigen Treffen in Berlin. Im besten
Fall flössen die gewonnenen Erkenntnisse über
unternehmerische Realitäten sehr bewusst in politische
Entscheidungsprozesse ein. Und "umgekehrt sind die Unternehmer nach
ihrem Besuch geduldiger mit der Politik - und entwickeln ein
Verständnis dafür, wie ihre politischen Vorstellungen
Eingang in den parlamentarischen Betrieb finden können".
Michael Meister macht schon seit mehreren Jahren beim
"Know-how-Transfer" mit. Anette Fischer ist jetzt das zweite Mal
dabei. Katrin Schütz, verantwortlich für ein
Sportgeschäft, absolviert bereits ihr drittes "Praktikum" und
hat sich dieses Mal an die Fersen der Stuttgarter SPD-Abgeordneten
Ute Kumpf geheftet. "Die Entscheidungsmechanismen", sagt
Schütz, "sind in Politik und Wirtschaft schon sehr
unterschiedlich."
Auch wenn der enorme Diskussionsaufwand Anette Fischers Sache
nicht ist, so bekundet sie doch Respekt vor der Tätigkeit der
Abgeordneten. Ob in Arbeitskreisen der Fraktion oder in
Parlamentsausschüssen: "Da wird natürlich politisch
gestritten, aber etwa über Umweltbelastungen und
Energiekonzepte auch weithin fachlich argumentiert", berichtet die
Bielefelderin. Was sie auch gelernt hat: Die Volksvertreter
können sich nicht als Experten auf wenige Politikfelder
konzentrieren, man muss schon bei einem größeren
Themenspektrum mithalten können.
Zum "Know-how-Transfer" gehört nicht nur das hektische
Tingeln von Sitzung zu Sitzung, sondern auch ein Begleitprogramm.
So fand der SPD-Fraktionsvorsitzende Franz Müntefering eine
Stunde Zeit für die Junioren, kontrovers debattiert wurde
dabei auch über die Ausbildungsplatzabgabe. Und an einem Abend
diskutierten Michael Meister von der CDU und Jochaim Poß von
der SPD mit den Besuchern aus allen Teilen der Republik.
Bei dieser Runde steht eine Unternehmerin auf und lässt mal
richtig Dampf ab: Zwar könne man in den Ausschüssen auch
kompetente Leute beobachten, andererseits aber säßen da
Abgeordnete, die würden nur polemisieren, und da müsse
man sich doch fragen, was die im Bundestag eigentlich machen. Ein
Kollege ergänzt: "Bei den zahlreichen Sitzungen wird so viel
geredet, und letztlich geschieht so wenig." Da sind die Kritiker
bei Joachim Poß aus Gelsenkirchen an den Richtigen geraten,
der altgediente SPD-Parlamentarier gibt kräftig Contra: Die
allermeisten Abgeordneten bewältigten ein riesiges Pensum,
"der Arbeitsaufwand ist enorm".
Dieses Aufeinandertreffen wird auch eine Lehrstunde über
die Mühsal der Politik als Kompromissgeschäft. Die
Wirtschaftsjunioren pochen mit Nachdruck auf niedrigere Steuern
für Unternehmen, und das möglichst rasch. Doch selbst
Michael Meister spricht vom Konzept der CDU als einer "Vision",
deren Umsetzung schon ein paar Jahre dauern werde. Und der
SPD-Politiker Poß dekliniert im Detail die Fallstricke des
allseits beschworenen Subventionsabbaus durch: "Eine
Steuervereinfachung ist nicht so schnell zu machen, wie sich das
mancher vorstellt, die Lebenssachverhalte sind nun mal
kompliziert."
Vertiefen die "Know-how-Transfers" über den Tag hinaus die
Beziehungen zwischen Politik und Wirtschaft? Katrin Schütz:
"Das ist öfters dann der Fall, wenn der Unternehmer und der
Abgeordnete aus der gleichen Region stammen." Die Visite im
Bundestag kann den Zugang erleichtern, "man kennt dann die Wege, um
mal ein Anliegen vorzubringen". Karl-Otto Sattler
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