|
|
Ines Gollnick
Die Neugierige: Angelica Schwall-Düren
Parlamentarisches Profil
Altenberge ist tiefe Provinz kurz vor der
deutsch-niederländischen Grenze. Ein Ort zum Durchatmen, auch
für eine stark eingespannte Parlamentarierin wie Angelica
Schwall-Düren. Das ländliche Münsterland ist seit
1994 ihr Wahlkreis. Im schmucken, selbst renovierten Haus des
SPD-Ortsvereins, wo sie zeitweise ein Büro angemietet hat,
hält sie ihre Sprechstunden oder organisiert ihre
Wahlkreisarbeit, wenn sie nicht in Berlin ist, wie jüngst auf
dem Sonderparteitag der SPD.
Was erhofft sich Angelica Schwall-Düren, die seit November
2003 dem Parteivorstand angehört, vom neuen
Parteivorsitzenden? "Franz Müntefering spricht die Sprache der
ganz normalen Menschen, er hat ein gutes Gespür dafür,
was die Menschen umtreibt. Gleichzeitig ist er niemand, der sein
Fähnchen nach dem Winde hängt, sondern an seiner eigenen
Person deutlich macht, welchen Lernprozess er selber durchmachen
musste und welchen Lernprozess er auch von den SPD-Mitgliedern und
Wählern erwartet."
Die Diskussion um Abspaltungsbestrebungen innerhalb der SPD
nimmt Schwall-Düren mit gewisser Sorge zur Kenntnis, ohne die
dahinterstehenden Personen persönlich zu kennen. "Wir haben
das schon in den 20er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts erlebt,
als es eine schwierige Phase gab, als die SPD regierte und sich ein
Teil abgespalten hat, weil die Praxis von den Grundpositionen
abzuweichen schien." Und was ihre Sorgen zusätzlich nährt
ist die sehr große Enttäuschung unter den Mitgliedern und
Wählern. Doch hier unterscheidet Schwall-Düren sehr stark
zwischen der jungen und der älteren Generation. Bei den
Jüngeren stellt sie viel mehr Verständnis für
Reformen fest. Ihrer Auffassung nach will eine gewisse Gruppe unter
den Älteren ihr Protestpotenzial bündeln, um dann
entsprechend Einfluss zu bekommen. "Ich glaube, das würde uns
wirklich zurückwerfen, wenn wir einem solchen Druck nachgeben
würden", hebt sie hervor. Als stellvertretende Vorsitzende der
SPD-Bundestagsfraktion ist sie für die Europapolitik
zuständig. Bereits vor dieser Zeit hat sie sich als
Parlamentarierin unter anderem um die deutsch-französischen
und deutsch-polnischen Beziehungen gekümmert. Dies Engagement
hat viel mit ihrer persönlichen Biografie zu tun.
Schwall-Düren ist in Baden-Württemberg aufgewachsen,
machte im Grenzraum schon als junger Mensch Erfahrungen mit der
deutsch-französischen Verständigung. 1971 war sie bei
einer der ersten organisierten Studentenreisen nach Polen mit an
Bord. Daraus ist über Jahrzehnte eine Freundschaft gewachsen.
So verwundert es natürlich nicht, dass Schwall-Düren der
deutsch-polnischen und deutsch-französischen
Parlamentariergruppe des Bundestages angehört, sich so
über vieles aus erster Hand informiert. Im März 2000
wurde sie zur Vorsitzenden des Bundesverbandes Deutsch-Polnischer
Gesellschaften gewählt.
Vor dem Hintergrund des neuen EU-Europas, das in vier Wochen
Wirklichkeit wird, stellt sich auch an die Europapolitikerin
Schwall-Düren die Frage nach dem Zustand des
deutsch-polnischen Verhältnisses. In den vergangenen 15 Jahren
sei ein ungeheurer Fortschritt erzielt worden, sagt sie. Formen der
Zusammenarbeit und Verständigung seien möglich geworden,
die vorher so nicht denkbar waren. "Das ist ein gutes Fundament
dafür, auch Zeiten zu überstehen, die etwas schwieriger
sind. Und das deutsch-polnische Verhältnis ist im Augenblick
in einer etwas schwierigen Phase", stellt sie fest. Im Jahr 2003
habe sich einiges kumuliert: unterschiedliche Positionen in der
Irak-Intervention, die Diskussion um das Zentrum gegen
Vertreibungen, die Ankündigung von
Vertriebenenfunktionären, nach der EU-Erweiterung
Wiedergutmachungs- und Entschädigungsansprüche
gegenüber Polen zu formulieren. Diese ganzen Themen
hätten die alten Ängste in Polen wieder wach werden
lassen. Interessierte nationalistische Kreise in Polen würden
diese Ängste zudem schüren. "Man müsste dafür
sorgen, dass diese Regierung, wenn es überhaupt noch eine
Chance gibt, so viel positiven Rückenwind durch
europäische Politik bekommt, dass wenigstens der
Euroskeptizismus in Polen nicht zunimmt", wünscht sie sich
für die Zukunft.
Und warum gibt es so wenig Vorfreude, offenbar auch in
Deutschland, auf die erweiterte EU? Schwall-Düren macht die
schlechte Stimmung in Deutschland mitverantwortlich.
Grundsätzlich gebe es zu wenig Zuversicht in die Zukunft.
Polen und Deutsche seien sich da durchaus ähnlich, weil
zuallererst das Schwierige und das Problematische formuliert
würde, findet sie. Und für die Jüngeren sei Europa
schon so eine Selbstverständlichkeit, dass sie sich gar nicht
mehr klarmachten, welcher Fortschritt hinter dieser Entwicklung
stehe.
Europäische Landwirtschaftspolitik, allgemeine
Europafragen, Arbeitslosengeld II, Betreuungsrecht: Das war die
thematische Palette der Abgeordneten in den vergangenen Tagen,
berichtet sie. "Ich habe kein Problem, ständig meine Orte oder
auch Themen zu wechseln. Ich leide nicht unter meiner Aufgabe,
sondern finde das, was ich tue, unglaublich spannend",
unterstreicht sie in charmanter Art. Schwall-Düren ist ein
wacher Mensch. Das verraten ihre Augen. Sie kann gut zuhören,
sagt sie über sich selbst und sei in der Lage etwas
überzubringen. Wer mit ihr spricht, kann sich das gut
vorstellen. Durchhaltevermögen, Frustrationstoleranz,
Flexibilität und vor allem Neugierde und Lust, sich immer
wieder auf etwas Neues einzulassen, zählt die 55-Jährige
zu ihren Eigenschaften. Die Lehrerin, die Geschichte, Politische
Wissenschaften und Französisch studierte, in Wirtschafts- und
Sozialgeschichte promovierte und sich zur Familientherapeutin und
Supervisorin ausbilden ließ, habe immer versucht, Dinge zum
Besseren zu wenden. "Ich kann Dinge, die ich nicht in Ordnung
finde, nicht einfach stehen lassen. Ich habe viele Jahre in der
Kommunalpolitik gearbeitet, weil ich den Anspruch an mich habe,
das, was in meinen Kräften steht, zu tun, damit diese
Gesellschaft zusammengehalten wird und damit Frieden und
Gerechtigkeit ihren Platz haben."
Zurück zur
Übersicht
|