Willi Ph. Knecht
Immer die Nummer 1 geblieben
Max Schmeling - die Versachlichung eines
Mythos
Wer nach dem berühmtesten und beliebtesten
deutschen Sportler aller Zeiten fragt, erhält allenthalben zur
Antwort: Max Schmeling. Der am 28. September 1905 im
uckermärkischen Klein Luckow geborene Berufsboxer bestritt
zwischen 1924 und 1948 70 Profikämpfe, von denen er 56 gewann
und zehn verlor. Er war deutscher und Europameister im Halbschwer-
und Schwergewicht und vom 12. Juni 1930 bis 21. Juni 1932, zwei
Jahre und neun Tage also, als bisher einziger Deutscher
Schwergewichts-Weltmeister.
Zwei seiner Kämpfe gehören zu den
glanzvollen Höhepunkten der internationalen Boxgeschichte:
Sein Sieg - durch technischen K.o. in der 15. Runde im
Weltmeisterschaftskampf gegen Young Stribling (USA) am 3. Juli 1931
in Cleveland und sein K.o.-Sieg am 19. August 1936 in New York in
der zwölften Runde über den Amerikaner Joe Louis, der
dann am 22. Juni 1938 in New York die Revanche durch K.o. in der
ersten Runde gewann.
So respektheischend sich die großartige
Ring-Karriere auch darstellt, unbefangen und allein mit dem
Maß leistungssportlicher Erfolge gemessen, erscheint
zweifelhaft, ob sie den Vorsprung vor den dreimaligen
Wimbledon-Siegen Boris Beckers, den sechsfachen
Formel-1-Weltmeisterschaften in Folge von Michael Schumacher oder
den Triumphen Franz Beckenbauers als Spieler und Trainer bei
Fußball-Welt- und -Europameisterschaften objektiv
verdient.
Doch in Volkes Mehrheitsmeinung rangiert Max
Schmeling schier uneinholbar vor allen anderen deutschen
Sportheroen - schon zu Lebzeiten glorifiziert und mit
legendärem Ruhm ausgestattet, so als hätte es in den
Jahrzehnten des Kampfes um Meister und Millionen und auch
außerhalb des seilumspannten Vierecks Niederschläge,
Fouls und eigenes Fehlverhalten nie gegeben.
Max Schmelings Leben ist in Wort, Bild und
Ton ungezählte Male ausgeleuchtet worden, meist im Sinne der
Heldenverehrung, seltener als kritische Zwischenrufe. Seine erste
Autobiografie "Mein Leben - Meine Kämpfe" verfasste er als
damals 25-Jähriger bereits 1930. Ebenfalls autobiografisch von
Ghostwritern formuliert, folgten 1956 "8-9-Aus !", 1967 "Ich boxte
mich durchs Leben" und zuletzt 1977 die "Erinnerungen" mit dem im
besten Reportagestil beschriebenen ersten Kampf gegen Joe
Louis.
Die lange Reihe biografischer Werke begann
1937 mit dem Buch "Max Schmeling - die Geschichte eines
Kämpfers" von Arno Hellmis, dem Reporter der
Rundfunkübertragungen beider Louis-Kämpfe. Nunmehr
präsentiert der Berliner Publizist Volker Kluge, Jahrgang
1944, eine Schmeling-Biografie. Kluge ist der gegenwärtig
wahrscheinlich beste Kenner der olympischen Geschichte Deutschlands
und Autor zahlreicher sporthistorischer Werke, so der bisher in
fünf Bänden vorliegenden unvergleichlichen Chronik
"Olympische Sommerspiele/Olympische Winterspiele".
Über vormalige Geschehnisse und
Eigenarten des Boxsports und speziell des Profiboxens wusste Kluge
vor der ersten Begegnung mit Schmeling am 8. April 1990
wahrscheinlich nicht mehr, als er als Leiter der Sportredaktion des
FDJ-Zentralorgans "Junge Welt" und Pressechef des Nationalen
Olympischen Komitees der DDR wissen musste. Umso lobenswerter seine
schriftstellerische Leistung.
Als Kluge nach zehnjähriger Recherche
mit der eineinhalb Jahre dauernden Schreibarbeit begann, entstand
in Abweichung von anderen Publikationen nicht eine Boxgeschichte
mit schmückendem zeitgenössischen Rahmen, sondern eine
mit wissenschaftlicher Akribie betriebene chronologische
Beschreibung des Verhaltens und Handelns seines Protagonisten und
seines Umfelds. Das Ergebnis ist keine neue Heldensaga, sondern
trotz der unübersehbaren Wertschätzung Max Schmelings und
der angemessenen Würdigung seines faszinierenden Lebensweges
die Versachlichung eines unerklärbaren Mythos.
Die "gute" Niederlage
Das betrifft Max Schmelings Boxkarriere
ebenso wie seine Rolle in der Berliner Gesellschaft an der Seite
Anny Ondras und seine Beziehungen zu Größen des
NS-Regimes. Weitgehend verzichtet Kluge auf Kommentierungen und
Interpretationen; er bombardiert stattdessen seine Leser mit
Fakten, Fakten und nochmals Fakten, häufig bis in
allerkleinste Details. Als Belege und Komplettierungen der in die
Teile I "Der Boxer" und II "Die Legende" unterteilten 15 Kapitel,
alles in allem 450 Druckseiten, liefert er einen 85-seitigen
Anhang, bestehend aus 1.382 (!) "Anmerkungen", eine von 1905 bis
2002 datierte "Zeittafel" und ein Literaturverzeichnis mit 100
Namen.
Max Schmelings letzte Biografie
"Erinnerungen" vermied platte Schönfärbereien,
insbesondere auch Verstrickungen mit dem NS-Regime. Sein
Resümee des zweiten Louis-Kampfes: "Aus dem Abstand des Alters
denke ich mitunter, dass jene Niederlage tatsächlich ihr Gutes
gehabt hat. Ein Sieg über Joe Louis hätte mich vielleicht
wirklich zum ‚Parade-Arier' des Dritten Reiches
gemacht."
Gleichwohl sind alle Selbstbeschreibungen
Schmelings zwangsläufig subjektiv, während Kluges Werk in
objektiver Betrachtensweise verharrt, egal, ob der sportliche Auf-
und Abstieg, die Ära unter dem Hakenkreuz, die so
glückliche Ehe mit Anny Ondra fernab von Wäschekammern
und ähnlichen Skandalen, die kurze Militärzeit mit dem
Einsatz auf Kreta, der Verlust der Besitztümer in Ost- und
Mitteldeutschland, die schwere Nachkriegszeit oder das
wirtschaftliche und gesellschaftliche Comeback behandelt
werden.
"Von Künstlern umschwärmt, von
Politikern und Industriekapitänen umworben, war Schmeling
immer mehr als ein Boxer; sicherlich auch, weil es ihm am besten
gelang, den ewigen Widerspruch von Körper und Geist
aufzuheben". So nimmt Kluge in seiner "Warm-up"
überschriebenen Einleitung das Fazit seiner Untersuchung
vorweg. Wer den nunmehr fast 99-jährigen Max Schmeling auf dem
Weg zur Altersweisheit miterlebte, der spürt, dass noch Vieles
hinzukam: Charisma, Bescheidenheit, die Ausstrahlung von
Menschlichkeit und vor allem im Gesamtbild seiner
Persönlichkeit uneingeschränkte Glaubwürdigkeit -
vorzügliche Wesensarten, die gerade auch unter den Vorzeichen
ihrer literarischen Versachlichung den unerklärbaren Mythos
Max Schmeling begründen.
Volker Kluge
Max Schmeling. Eine Biografie in 15
Runden.
Aufbau Verlag, Berlin 2004; 535 S., 24,90
Euro
Willi Ph. Knecht lebt als Publizist in
Berlin; er war Leiter der Abteilung Aktuelles und Magazine bei RIAS
Berlin und Chefredakteur der "Olympischen
Sport-Bibliothek".
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