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Hans-Adolf Jacobsen
Ein Glücksfall für die Bundeswehr
Ein großer Parlamentarier und Wehrexperte:
Karl Wilhelm Berkhan
Umfangreiche Reformen sind in der Bundeswehr ein immer
wiederkehrendes Thema. Das hängt vor allem mit der gewandelten
Rolle des Militärs in unserer Zeit zusammen, die angesichts
der Globalisierung der Politik, spürbarer Reduzierungen der
Budgets und veränderter weltweiter Aufträge von
Streitkräften stets von neuem zu definieren ist.
Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten fortschrittliche
Reformkräfte in der Bundesrepublik, darunter Politiker und
Militärs, als Antwort auf unselige Exzesse des deutschen
Militarismus den grundlegenden Wandel zu einer neuen Armee
eingeleitet, die den Frieden im Rahmen des kollektiven
NATO-Bündnisses zu sichern hatte. Die dafür notwendige
geistig-politische Grundlage sollte das Konzept der Inneren
Führung garantieren. Es war lange umstritten, da viele
ehemalige Soldaten eine Verweichlichung der Truppe
befürchteten. Es bedurfte unendlich geduldiger, permanenter
Aufklärungs- und Bildungsarbeit, um die Kritiker von deren
Sinn und Wertegebundenheit zu überzeugen.
Hierzu haben nicht zuletzt Wehrexperten aller Parteien, darunter
Fritz Erler (SPD)und Richard Jaeger (CSU), beigetragen. Die meisten
Verteidigungsminister standen der Inneren Führung allerdings
mit einer gewissen inneren Distanz gegenüber, wahrscheinlich
deshalb, weil ihnen ein tieferes Verständnis für das
Reformwerk des Grafen von Baudissin und seiner Mitstreiter fehlte.
Das galt - möglicherweise(?) - auch für den
Alleskönner Helmut Schmidt, der sich mehr auf Fragen der
Strategie und des Bündnisses konzentrierte
Sein besonderes Verdienst dürfte indessen darin liegen,
dass er nach seiner Ernennung zum Inhaber der Befehls- und
Kommandogewalt einen seiner besten Freunde, Willi Berkhan (1915 -
1994), seinen "älteren Bruder", wie er es ausgedrückte,
zum Parlamentarischen Staatssekretär erwählt hat. Berkhan
galt als einer der kommenden herausragenden Wehrexperten in seiner
Partei, der sich, wo immer möglich, für den Aufbau von
Streitkräften in der Demokratie zum Schutz von Freiheit und
Recht eingesetzt hatte. Er war ein Glücksfall für die
Bundeswehr, denn Berkhan hat wie kaum ein zweiter im
Machtgefüge der Bundesregierung in den 70er-Jahren zur
Verwirklichung der Inneren Führung beigetragen. Auch
später als Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages (1975 -
1985) hat er in diesem Geiste in Wort und Tat zu wirken
verstanden.
In Hamburg verwurzelt
Nun hat sein damaliger persönlicher Referent, Winfried
Vogel, zuletzt Brigadegeneral, einen ersten überaus
beachtlichen Beitrag zu einer politischen Biographie über den
in Hamburg fest verwurzelten Berkhan verfasst. Dafür hat er
nicht nur relevante Literatur ausgewertet, sondern auch Archivalien
von Helmut Schmidt, des Bundestages, der Friedrich Ebert Stiftung
und des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes. Zudem hat er
mehrere Zeitzeugen befragt, unter ihnen den ehemalige
Generalinspekteur de Maizière. Das Urteil des Verfassers ist
im ganzen abgewogen und wird der Persönlichkeit des Politikers
und Menschen Berkhan gerecht. An manchen Stellen wären
freilich noch Ergänzungen wünschenswert gewesen,
desgleichen die ein oder andere kritische Anmerkung.
Konstruktiver Führungsstil
Berkhan wurde vom Arbeitermilieu in seiner Heimatstadt, den
Erfahrungen während der NS-Diktatur und seinen
sozialwissenschaftlich-pädagogischen Studien nach dem Kriege
geprägt. Schon frühzeitig ließ er seine
Verbundenheit mit seinen Mitmenschen erkennen, was auch in einem
konstruktiven Führungsstil zum Ausdruck kam. Bei fast allen
wichtigen Entscheidungen des Ministeriums hat er ein gewichtiges
Wort mitgeredet, vielfach beraten vom Beirat für Innere
Führung. Letzteren hat er oft geschickt für seine
Interessen einzusetzen verstanden, gelegentlich allerdings auch
für Aufgaben, die über die Kompetenzen dieses Gremiums
hinausgingen. Wenn es einmal zu einem Eklat kam, zum Beispiel im
Zusammenhang mit der zu linkslastigen Arbeitsweise des
Sozialwissenschaftlichen Instituts in München, die der Beirat
zu überprüfen hatte, gestand er offen seinen Fehler
ein.
Eine besondere Schwäche vieler Sicherheitspolitiker war in
diesen Jahren ihre Zurückhaltung auf dem Gebiet der
Öffentlichkeitsarbeit. Als es darum ging, in den
Bildungseinrichtungen der Bundesrepublik bei den Wehrpflichtigen
die Einsicht in die Verteidungswürdigkeit der Republik
vermitteln zu lassen, hielten sich die meisten mehr oder weniger
bedeckt. Auch bei Berkhan war das Fall. Er wusste um die
Schwierigkeiten, angesichts der Protest- und Friedensaktionen in
diesem Zusammenhang zu einvernehmlichen Lösungen mit den
verschiedenen Kultusbehörden der Länder zu kommen. Daher
hat er dieses Ziel wohl nur halbherzig verfolgt.
In der Bundeswehr hat das Problem der Tradition eine kontroverse
Rolle gespielt. Berkhan und seinesgleichen war klar, dass die
Wehrmacht hierfür nicht in Betracht kam. Vielmehr sollte
versucht werden, aus der Geschichte der Bundeswehr und der NATO
Beispiele herauszugreifen, die mit den Werten einer freiheitlichen
Demokratie im Einklang standen. Nach allem, was der
sozialdemokratische Parlamentarier für diesen Staat
beispielhaft geleistet hat, fragt sich, ob die Führung der
Bundeswehr nicht gut beraten wäre, eine der Kasernen nach ihm
zu benennen. Er hätte es verdient. Zudem wäre es ein
überzeugender Beitrag zur sinnvollen Traditionsbildung. Vogel
hat hierfür stichhaltige Argumente geliefert. Hans-Adolf
Jacobsen
Winfried Vogel
Karl Wilhelm Berkhan.
Ein Pionier deutscher Sicherheitspolitik nach 1945.
Mit einem Vorwort von Helmut Schmidt.
Edition Temmen, Bremen 2003; 267 S., 15,90 Euro
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