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Josef-Thomas Göller
Präsident Bush hofft auf Hilfe von NATO und
EU bei der Demokratisierung im Irak
Vor dem G-8-Gipfeltreffen in den USA
Sea Island heißt die kleine Insel vor der
Küste des amerikanischen Südstaates Georgia, wo sich die
Staatschefs der acht größten Industrienationen (G-8) vom
8. bis 10. Juni 2004 zum 30. Mal versammeln werden, um über
das Schicksal der Welt zu beraten. Sea Island - das ist tiefste
Provinz im Nirgendwo der USA, deshalb leicht von der Außenwelt
abzuriegeln. Die seit 1998 aus aller Welt zu diesen Gipfeltreffen
anreisenden Globalisierungsgegener werden diesmal buchstäblich
auf Distanz gehalten. Denn ihre zunehmend gewaltsamen
Großdemonstrationen forderten am Rande des Gipfels in Genua im
Jahr 2001 ein Todesopfer.
Sea Island - das ist vor allem atemberaubende
Naturschönheit vor der Küste Georgias, da, wo von den
weitausladenden, schattenspendenden Eichenalleen malerisch
"Spanisches Moos" herabhängt. Als trügen die uralten
Bäume graue Bärte. Die einst dort ansässigen
Indianer überlieferten den ersten Siedlern folgende
Erklärung für die "Baumhaare": Ein spanischer
Conquistador, den es vor 500 Jahren an die Küste verschlagen
hatte, habe sich in eine Häuptlingstochter verliebt. Der Vater
untersagte die Liebesbeziehung, und weil der Spanier ungehorsam
blieb, band er ihn in die Wipfel einer Eiche. Dort sollte er so
lange ausharren, bis er der Liebe abschwor. Der Spanier starb
lieber, als seine Treue zu brechen. Sein Bart begann zu wachsen und
überwucherte alle Bäume. Solange "Spanisches Moos" in den
Bäumen wachse, werde seine Liebe ungebrochen sein, endet die
Sage.
Die jährlichen Gipfeltreffen der "Gruppe
der Acht" - USA, Deutschland, Japan, Frankreich,
Großbritannien, Italien, Kanada und Russland - begannen 1975
in Frankreich mit damals sechs Teilnehmern. Kanada trat ein Jahr
später bei. Newcomer ist Russland, das seit 1998 an den
Beratungen teilnimmt. Der Vorsitz wechselt innerhalb der G-8 jedes
Jahr. Deutschland war zuletzt 1999 Gastgeber in
Köln.
Außerdem sitzt die Europäische
Union gleich zwei Mal mit am Tisch: in der Person des
Präsidenten der EU-Komission sowie des Vorsitzenden des
Europäischen Rates, den derzeit Irland einnimmt. Außerdem
finden regelmäßig auf Arbeitsebene so genannte
"Scherpa-Treffen" statt; die Länderrepräsentanten werden
nach tibetischen Lastenträgern Scherpas genannt.
Ziel der G-8-Gesprächsrunden ist es,
sich über wesentliche länderübergreifende
makro-ökonomische, außenwirtschaftliche, politische und
zunehmend auch sicherheitspolitische Entwicklungen zu beraten und
gemeinsame Vorgehensweisen, insbesondere auch gegenüber den
Entwicklungsländern auszuhandeln. In den vergangenen Jahren
schälte sich die Tendenz heraus, alle grenzübergreifenden
Probleme und neue internationale Herausforderungen zu beraten:
Umweltschutz und Energie, internationale Kriminalität,
Terrorismus, Waffenhandel und Menschenrechte.
Im Ergebnis halten sich die Teilnehmerstaaten
- durch keine formale Charta oder Abschlussverträge gebunden -
nicht immer, aber doch weitgehend an die getroffenen
Vereinbarungen. Diese wirken sich auch auf die Fortschreibung des
Internationalen Rechts aus sowie auf internationale
Institutionen.
Präsident George W. Bush, kein Freund
von internationalen Organisationen, hat für dieses
Gipfeltreffen im eigenen Land hochfliegende Pläne und
verspricht sich sogar einen Stimmungsschub für seinen
Wahlkampf, der durch die amerikanische Invasion des Irak, die eine
andere Wende genommen hat, als von ihm ursprünglich erwartet,
angeschlagen ist.
Diese trügerische Hoffnung hatte schon
einmal ein amerikanischer Präsident. Gerald Ford, ebenfalls
Republikaner wie Bush, war im Wahljahr 1976 Gastgeber des
G-8-Gipfels - und verlor die Präsidentenwahl.
George W. Bush sieht dieses "Menetekel"
durchaus in den tiefen Umfragewerten für seine Politik
niedergeschrieben. Deshalb will er den großen Wurf. Schon bei
der Planung zu diesem Gipfel hat der amerikanische Präsident
seine Agenda festgeschrieben: eine großangelegte
Nahost-Initiative, die von Marokko bis Pakistan reichen soll. Seit
dem Terror-Anschlag am 11. September 2001 hat sich Bush nicht nur
vorgenommen, den nahöstlichen Terrorismus militärisch zu
bekämpfen, sondern auch die arabischen Gesellschaften, die
ohne Ausnahme von autokratischen Regimen beherrscht werden,
nachhaltig zu verändern. Das Endziel heißt: Demokratie
und wirtschaftlicher Wohlstand in möglichst allen moslemischen
Staaten in absehbarer Zeit. Der Grundgedanke für diese
Initiative lautet, dass von funktionierenden Demokratien und gut
ernährten Menschen keine Angriffskriege ausgehen. Es bleibt
die Frage, wie diese Transformation erreicht werden kann. Die
"Irak-Initiative" des Präsidenten jedenfalls ist kein Vorbild
für seine hochgesteckten Pläne. Außerdem irritiert,
dass er auch das Militärbündnis NATO in diese Initiative
einbinden will. Was anderes kann dies heißen, als NATO-Truppen
in den Irak zu entsenden? Oder, wie Thomas Friedman von der "New
York Times" vor geraumer Zeit vorschlug, den Irak in die Nato
aufzunehmen, dann werde aus der amerikanischen Invasion keine
Besatzung, sondern Beistand für einen Bündnispartner.
Solche "Ideen" bedürfen der Klärung. Dafür sind
solche Gipfeltreffen da.
Bushs Vorstellung von einer Nahost-Initiative
mit dem Ziel, dort politische und wirtschaftliche Reformen zu
erreichen, ist nicht neu. Die Europäische Union hat im
Grundsatz mit dem gleichen Ziel 1995 ihren Barcelona-Prozess in die
Wege geleitet. Da der Nahe Osten und seine Randstaaten seit
Jahrzehnten in politischer und wirtschaftlicher Instabilität
verharren und keines der arabischen Regime die Verarmung seiner
Bevölkerung bei den Wurzeln packt, sondern demagogisch
ablenkend auf den Westen als Sündenbock verweist, setzten die
Europäer nach Einleitung des Oslo-Abkommens zwischen Israelis
und Palästinensern auf wirtschaftliche Entwicklungshilfe, um
gleichzeitig politische Reformen in der gesamten Region in Gang zu
bringen. Obwohl dieses Reform-Programm offiziell noch gültig
ist, war und bleibt die EU in der Umsetzung zerstritten und hat im
Endeffekt nichts erreicht.
Dennoch bleibt positiv festzuhalten: Die
Bush-Initiative für die Transformation des Nahen Ostens
fällt damit natürlich auf vorbereiteten Boden bei den
Teilnehmern. Typisch Europa indes, hat der englische
Ministerpräsident Tony Blair bereits eine eigene
Afrika-Initiative angekündigt und schert damit noch vor dem
G-8-Gipfel aus. Umso mehr sollten Frankreich und Deutschland , wo
es um fundamentale, gleichgelagerte Interessen mit den USA geht,
Präsident Bush Konsens signalisieren und eine möglichst
konkrete Zusammenarbeit anbieten.
Nach Bekanntwerden der Bush-Initiative haben
sich insbesondere die Regionalmächte Ägypten und Saudi
Arabien heftig gegen westliche Einmischung in ihre inneren
Angelegenheiten verwahrt. Während vom ultra-konservativen
saudischen Königshaus jedwede Reform grundsätzlich
abgelehnt wird, behauptet der ägyptische Präsident auf
Lebenszeit, Hosni Mubarak, zumindest, er führe selbst
politische Reformen durch. Immerhin gab es innerhalb der Arabischen
Liga seither Bestrebungen, unter den Mitgliedern eigene politische
und wirtschaftliche Reformen einzuleiten. Diese sind aber nicht zu
erwarten, da die 22 arabischen Liga-Staaten völlig zerstritten
sind. Bleibt also der G-8-Gipfel auf Sea Island. Ob er Erfolg
verspricht, wird davon abhängen, welchen Konsens die
Teilnehmer herstellen können. Entscheidend wäre, dass
sich die Hauptmächte Europas, Frankreich und Deutschland, mit
den USA auf eine Vorgehensweise gegenüber den Nahost-Staaten
einigen, die diskret ist und einen langfristigen Regime- und
Gesellschaftswandel bei Anhebung des wirtschaftlichen Wohlstandes
erreicht. Dafür bedarf es westlicher Investitionen. Ohne
Lösung des Streits zwischen Palästinensern und Israelis
sind Reformversuche in arabischen Staaten zum Scheitern
verurteilt.
Deshalb muss auf dem G-8-Gipfel auch eine
Strategie besprochen werden, die den Friedensprozess zwischen
Israelis und Palästinensern wieder in Gang setzt. Die
Europäer müssen sich dabei ganz einbringen, denn es ist
offenkundig, dass die Bush-Regierung die Notwendigkeit einer
Nahost-Friedensregelung nicht prioritär behandelt.
Außerdem gelten die USA unter den Hauptmächten der
arabischen Welt seit der Irak-Invasion zumindest als angeschlagen.
Allerdings reden arabische Regierungen in der Öffentlichkeit
anders, als sie im diplomatischen Hintergrund handeln.
Zudem sind auch die arabischen Staaten, allen
voran Ägypten und Saudi Arabien, zur Lösung des Problems
aufzufordern. Es kann nicht angehen, dass das
Palästina-Problem ausschließlich vom Westen gelöst
werden soll, während arabische Mächte aus der Distanz
kritisieren. Hier ist vor allem diskrete Diplomatie gefordert.
Grundsätzlich unterhalten alle G-8-Staaten zu beiden Seiten
gute Beziehungen. Die Frage ist, wer die Führung in solchen
Gesprächen übernimmt, am besten nicht die USA!
Schließlich sind auch die Russen, die
mit am Tisch sitzen, in die Pflicht zu nehmen. Abgelenkt durch die
amerikanischen Militäraktionen in Afghanistan und im Irak,
nimmt die westliche Öffentlichkeit kaum mehr Notiz vom
Tschetschenien-Krieg. Wohl aber die arabische Welt. In
Tschetschenien kämpfen auf Seiten der Aufständischen
Moslems aus aller Welt. Solange Putin dort auf brutale Härte
setzt, solange der Westen dies scheinbar kritiklos duldet, werden
moslemische Fanatiker Gründe finden, alle Reformanstrengungen
zu torpedieren. Auch wenn die Europäer keine Neigung dazu
haben, Präsident Bush zur Wiederwahl zu verhelfen, im
Interesse des Weltfriedens und der gemeinsamen
Sicherheitsbedürfnisse ist diesem G-8-Gipfel ein
durchschlagender Erfolg zu wünschen.
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