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Igal Avidan
Aus der Haft entlassen, aber nicht frei
Der israelische Atomspion Mordechai
Vanunu
Was ist ein Handy? Wie funktioniert ein Laptop? Was fängt
man mit einer DVD an? Praktische Fragen wie diese sind es, die den
israelischen Atomspion Mordechai Vanunu nach 18 Jahren Haft
beschäftigen. Mag sein, dass er sich während der Haft
über neue Unterhaltungselektronik informieren konnte,
über Staatsgeheimnisse wohl kaum. Was der ehemalige
Atomtechniker über Israels Atomprogramm weiß, hat er
bereits der "Sunday Times" verraten, bevor ihn Mossad-Agenten nach
Israel entführten.
Zur Erinnerung: 1976 begann der junge Mann marokkanischer
Abstammung im Atomforschungszentrum Dimona in der Negev-Wüste
als Techniker zu arbeiten. Um die monotonen Nachtschichten zu
kompensieren, begann er 1980 das Studium der Geographie und
Philosophie an der benachbarten Beer-Sheba-Universität. Kant
und Aristoteteles, Nietzsche und Sartre beeinflussten das Denken
des ehemaligen Religionsschülers, der in seiner Jugend mit der
rassistischen Kach-Partei sympathisierte. Er wurde Aktivist einer
jüdisch-arabischen Studentengruppe, nahm an Demonstrationen
gegen den Libanonkrieg teil und meldete sich beim kommunistischen
Studentenbund an. Während seines Militärdienstes (als
Reservist) im Libanon-Krieg 1982 weigerte er sich, an
Kampfhandlungen teilzunehmen. Auf Studentenpartys äußerte
er sich gegen Israels Atomwaffenpolitik.
Seine Vorgesetzten in Dimona und der Inlandsgeheimdienst
(Shabak) erfuhren davon und begannen, ihn zu beschatten. Man
versuchte ihn, anscheinend ohne großen Erfolg, als Informanten
zu gewinnen. Aus diesem Grund sollte allein der Shabak über
Vanunus Beschäftigung in Dimona entscheiden. Das aber
ignorierte man in dort, Vanunu wurde befördert und im Oktober
1985 entlassen. Mit 60 Fotos, die er heimlich im Atomzentrum
aufgenommen hatte, fuhr er nach Australien, wo er zum Christentum
übertrat und versuchte, seine Geschichte über die
Atomwaffen an die Medien zu verkaufen. Schließlich gelang ihm
das Geschäft mit der "Sunday Times".
Kurz vor der Veröffentlichung der sensationellen Geschichte
am 6. Oktober 1986 erfuhr der Mossad davon. Mit seinem Foto in der
Tasche streiften Agenten durch London, bis die Agentin "Cindy" ihn
zufällig vor einem Schaufenster am Leicester Square entdeckte
und sich neben ihn stellte. Der schüchterne Mann wagte das
Gespräch, "Cindy" (bürgerlicher Name Cheryl Bentov)
stellte sich als amerikanische Jüdin vor, ließ sich zum
Kaffee einladen. Am 30. September berichtete der "Sunday Mirror",
dass Vanunu ein unzuverlässige Spinner sei, der Lügen
über das israelischen Atomprogramm verbreiten wolle. Vanunu
ließ sich auf Cindys Einladung ein - sie hatten bereits einige
romantische Begegnungen -, mit ihr nach Rom zu fliegen, wo "ihre
Schwester" eine Wohnung besitze. In Rom warteten auf ihn
Mossad-Agenten, die ihn per Schiff nach Israel verfrachteten. 1987
wurde er in einem geheimen Prozess der Spionage und des Verrats
für schuldig gefunden und zu 18 Jahren Haft verurteilt, davon
elf Jahre in Isolation. Er wurde zum Helden von Atomkraftgegnern,
Pazifisten und Feinden Israels.
Schon vor Vanunus Entlassung, begannen Israels
Sicherheitsbehörden, allen voran der Sicherheitsbeauftragte
des Verteidigungsministeriums, Yechiel Chorev, eine gezielte
Medienkampagne gegen ihn. Im Februar berichtete "Jedioth
Acharonot", dass Vanunu jeden palästinensischen Terroranschlag
feiere und die israelische Fahne zu verbrennen versuche. Ein
psychologisches Gutachten, das den Medien zugespielt wurde,
schreibt ihm einen "krankhaften unkontrollierbaren Trieb und
wahnsinnige Ambitionen zu, seine Erkenntnisse über Israels
Atomwaffenarsenal publik zu machen". Da Vanunu sich als Guru der
Anti-Atomwaffen-Bewegung verstehe, befürchten Experten, er
stelle eine Bedrohung für die Sicherheit des Judenstaates
dar.
Aus diesem Grund wurde Vanunus Freiheit durch Auflagen stark
eingeschränkt: Keine Kontakte zu Ausländern, keine
Interviews, keinen Pass und kein Annähern an
Grenzübergänge und ausländische Vertretungen.
Selbstverständlich darf er Israel nicht verlassen. Die 2.500
Briefe und 70 Ordner, die er in seiner Zelle schrieb, wurden
beschlagnahmt. Jetzt fordert Vanunu deren Rückgabe, um vor dem
Obersten Gericht gegen die Einschränkungen seiner Freiheit zu
klagen.
Vanunus triumphaler Auftritt bei seiner Freilassung vor 250
Anhängern und Fernsehteams aus aller Welt war nur der Beginn
einer Blamage Israels und dessen Politik der Verschleierung des
Nuklearpotentials. Weitere werden sicherlich folgen, solange Vanunu
seine Bürgerrechte nicht wieder erlangt. Die Presse wird
seinen Auftritt vor Gericht verfolgen, wo er als Märtyrer den
Eindruck erwecken will, er habe weitere Geheimnisse zu verraten.
Hätte Israel ihn ziehen lassen, würde er bald in der
Anonymität verschwinden. Israel könnte seine Atompolitik
weiter unauffällig betreiben. Solange der Iran Israels
Vernichtung auf seine Fahnen schreibt, wird Israel Atommacht
bleiben dürfen und seine atomaren Einrichtungen
internationalen Kontrollen entziehen können. Diese Haltung
akzeptieren die USA und Großbritannien. Gleichzeitig arbeiten
Jerusalem und Washington zusammen, um zu verhindern, dass der Iran
Massenvernichtungswaffen erlangt.
Dennoch wächst die Kritik an Israels Politik der "bewussten
Vernebelung", dessen Ziel es ist, keinen Anreiz dafür zu
liefern, dass islamische Staaten nach Atomwaffen streben. So wird
im Juli der Generaldirektor der Internationalen
Atomenergieorganisation (IAEA), Mohammad El-Baradei, Israel zum
ersten Mal in aller Öffentlichkeit besuchen (seine zwei
früheren Besuche waren geheim). Baradei versucht seit Jahren,
die Atomwaffen aus dem Nahen Osten zu entfernen.
In Israel stellen Geheimdienstexperten wie Yossi Melman die
Frage, ob statt Vanunus nicht viel mehr ehemalige Sicherheitsbeamte
den Staat Israel gefährdeten, die ihn für die Atomare
Forschungsanlage in Dimona rekrutierten und beschäftigten,
wissend, dass er zum radikalen Aktivisten wurde? Wie konnte er
Israel mit den Fotos des Atomreaktors verlassen? Ist es Zufall,
dass der Sicherheitsbeauftragte Chorev, der Vanunu praktisch unter
Hausarrest stellt, früher Sicherheitsbeamter in Dimona war und
eventuell für dessen Aktivitäten mitverantwortlich ist?
Später war Chorev Mitglied einer Untersuchungskommission, die
keine Schuldigen für die Panne im Nuklearreaktor fand.
Ein Handy darf Mordechai Vanunu nicht besitzen und im Internet
darf er auch nicht surfen. Er will sich einer vordringlichen
Aufgabe widmen: eine Frau zu finden. Er ist vorsichtig. Die letzte
Frau, der er verfiel, entpuppte sich als Mossad-Agentin. Igal
Avidan
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