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Bert Schulz
Auf in die Verflechtungsfalle
Damals...vor 35 Jahren am 12. Mai: Die
Grundgesetzänderungen für die Finanzverfassungsreform
treten in Kraft
Im westlichsten Baden-Württemberg wurde die Nachricht mit
geradezu erstaunlicher Euphorie aufgenommen. "Seit gestern gibt es
keine reichen und armen Bundesländer mehr", schrieb der
Kommentator der in Karlsruhe erscheinenden "Badischen Neuesten
Nachrichten". "Fortan gibt es nur noch ausgleichspflichtige und
ausgleichsberechtigte Länder." Gemeint war die Zustimmung des
Bundestages zu einem Gesetz, das so ungetüm war wie sein Name:
die Finanzverfassungsreform, die vom badischen Kommentator etwas
schwülstig als "schmackhafte Koalitionsfrucht" tituliert
wurde. Am 12. Mai 1969 traten die zahlreichen dafür
notwendigen Grundgesetzänderungen in Kraft. Damit war der
Grundstein gelegt für den "kooperativen Föderalismus" und
letztlich für die heute vielfach kritisierte
Kompetenzverwirbelung zwischen Bund und Ländern. Beide Ebenen
waren nun gezwungen, sich in vielen im Grundgesetz festgelegten
Bereichen auf Projekte und deren Finanzierung zu einigen; es wurden
Gemeinschaftsaufgaben definiert, darunter der Aufbau der
Hochschulen sowie die Verbesserung der Agrar- und der regionalen
Wirtschaftsstruktur.
Die damalige Euphorie des Zeitungskommentators erscheint noch
etwas unverständlicher, wenn man sich die gegenwärtigen
finanziellen Rivalitäten unter den Bundesländern in
Erinnerung ruft. Denn ein wesentliches Ziel der Finanzreform 1969
war die Milderung des Unterschieds zwischen betuchten und weniger
betuchten Ländern. Das Gesetz räumte nun den
ausgleichsberechtigen Ländern einen Rechtsanspruch ein auf
Zahlung, bis sie mindestens 95 Prozent des durchschnittlichen
Länder-Steueraufkommens pro Kopf erreicht haben. Und das
"reiche" Baden-Württemberg - ebenso wie Hamburg, Hessen,
Nordrhein-Westfalen und sogar Bremen - durften nun kräftig
Zuschüsse leisten. Nicht hingegen Bayern, das 1970 noch
deutlich zu den "armen" Landstrichen gehörte.
Es dauerte lange, bis sich die Länder an den Geschmack
dieser besonderen "Koalitionsfrucht" gewöhnen konnten. Die
erste Initiative zu der umfassenden Neuordnung der Aufgaben und der
Finanzbeziehungen zwischen Bund, Ländern und Kommunen war 1961
vom damaligen Finanzminister Franz Etzel (CDU) ausgegangen. Sein
Nachfolger setzte 1964 eine Sachverständigenkommission ein,
die 1966 ein Gutachten vorlegte. In Gesetze gegossen wurden einige
der Vorschläge zwischen Herbst 1967 und 9. Mai 1969, als der
Bundesrat im zweiten Anlauf zustimmte.
Wahrscheinlich war aufgrund der zahlreichen notwendigen
Grundgesetzänderungen nur eine Große Koalition
überhaupt in der Lage, ein solches Projekt zu stemmen. Die
FDP, die damals die ganze Oppositionsarbeit im Bundestag machte,
stimmte jedenfalls immer wacker dagegen. So kritisierte ihr
Abgeordneter Wolfgang Mischnick während der entscheidenden
Bundestagssitzung am 23. April 1969, dass die Regierung eine
"Scheinlösung als den großen Schritt nach vorn" zu
präsentieren versuche. Bei der Finanzausstattung der
Länder werde ein "Wirrwar" von "nicht übersehbarem
Ausmaß" angerichtet.
Die Union beklagte, dass für einen "vernünftigen
Ausgleich" der Länder-Finanzausstattung keine andere
Lösung gefunden worden sei als die Zerlegung der Steuern. Da
auch die Länder den Grundgesetzänderungen mit
Zwei-Drittel-Mehrheit zustimmen müssten, so der
CDU-Abgeordnete Otto Schmidt, gäbe es derzeit aber keine
bessere Lösung. Finanzminister Franz Josef Strauß nannte
die Reform "einen wesentlichen Schritt vorwärts"; der
stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD, Alex Möller,
sprach von einer "großen, konstruktiven und modernen
Finanzverfassungsreform".
Modern war sie sicher in dem Sinne, dass sie die vielen, fortan
an Entscheidungen beteiligten Akteure an einen Tisch zwang. Gelobt
wurde damals unter anderem die vermeintlich gerechtere
Steueraufteilung. Sehr schnell wurde jedoch die mangelnde Effizienz
beklagt. Zu langsam und zu konsensorientiert würden die
Ergebnisse ausfallen, die das neue, als "Politikverflechtung"
negative beschriebene System schließlich liefere. Zu
spüren bekommen die Bürger dies jedesmal, wenn in
Bundestag und Bundesrat unterschiedliche Parteien die Mehrheit
stellen, wie derzeit auch. Lehnt die Länderkammer ein Gesetz
des Bundestages ab, ist rasch die Rede von einer
kritikwürdigen "Blockadepolitik", deren Möglichkeit man
durch eine Reform des Föderalismus dringend verhindern
sollte.
Bert Schulz
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