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Ines Gollnick
Der Alternative: Hermann Scheer
Parlamentarisches Profil
Regisseur könnte er sein, Schauspieler womöglich, ein
Kreativer in jedem Fall. Wer Hermann Scheer in einer Menschenmenge
ausmacht und das Spiel mit den Vermutungen wagt, könnte zu
diesen schnellen Einschätzungen gelangen. Dieses Saloppe im
Äußeren und Unkomplizierte im Umgang trägt mit dazu
bei. Hermann Scheer ist wahrscheinlich all das und noch mehr:
SPD-Abgeordneter seit 1980, aktuell Mitglied in den
Ausschüssen für Auswärtiges und für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit. Politisch ist er auch
außerhalb von Parlament und Partei stark engagiert, als
Präsident von Eurosolar, der Europäischen Vereinigung
für Erneuerbare Energien (EE) mit Sitz in Bonn und Leiter des
Weltrats für EE, zwei Nichtregierungsorganisationen. 1998
wurde ihm der erste Weltsolarpreis verliehen, 1999 der Alternative
Nobelpreis. Anfang Juni wird Scheer das Internationale
Parlamentarierforum über Erneuerbare Energien in Bonn leiten,
zu dem der Deutsche Bundestag einlädt. Ende Mai tagt bereits
das Zweite Weltforum Erneuerbare Energien, zu dem der Weltrat
für EE und Eurosolar einladen. Dort werden die
Nichtregierungsorganisationen auf dem Gebiet der EE aus allen
Kontinenten ihre Forderungen für eine weltweite Förderung
der Erneuerbaren Energien artikulieren und eine "World Renewable
Energy Agenda" beschließen. Daneben findet die Internationale
Regierungskonferenz Anfang Juni statt.
Wenn es diese weltweit bisher größte Zusammenkunft von
Akteuren geben wird, um weitere Schritte zur internationalen
Verbreitung EE zu beraten, müsste Scheer doch von einem
Höhepunkt auch in seinem Engagement sprechen, vor dem
Hintergrund, dass er sich schon lange vehement für die
100-prozentige solare Energiewende und Energiewirtschaft einsetzt.
Doch der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler gehört eben
nicht zu denjenigen, die jetzt alles Mögliche in diese Bonner
Weltsolartage hineinprojizieren. "Schlicht und einfach aus dem
Grund, weil dort keine Entscheidungen fallen", so Scheer. "Ich habe
zu viele Konferenzen zu Zukunftsfragen beobachtet und auch an
solchen teilnehmen müssen, die Handlungsersatz waren, Alibi
eben, statt Handlungsvorbereitung. Konferenzen, die Handlungsersatz
sind, halte ich sogar für schädlich. Sie streuen Leuten
Sand in die Augen, sie schaffen Erwartungen, die dann
zwangsläufig enttäuscht werden müssen. Sicher bin
ich nur, dass unser Weltforum Handlungsvorbereitung ist. Der
Weltrat hat keinerlei Motiv, Handlungsersatz zu produzieren."
"Wenn die Regierungskonferenz etwas bringen will, dann
müsste sie eigentlich aus dem Schaufenstercharakter heraus.
Das ist unendlich schwer. Es gibt nur eine Möglichkeit, es zu
verhindern, dass viele es als Schaufenster benutzen: Im Grunde
genommen muss in dieser Frage die deutsche Regierung eine
Führungsrolle übernehmen." Scheer präzisiert: "Eine
Führungsrolle heißt, festzuklopfen, das und das werden
wir international tun, neben dem, was national passiert ist." Er
wünscht sich bei der deutschen Regierung den Anspruch, andere
motivieren zu wollen, möglichst viele mitzunehmen, denn dann
ließe sich die Spreu vom Weizen trennen. Kurz gesagt,
Handlungsdruck erzeugen, Öffentlichkeiten in verschiedenen
Ländern die Möglichkeit einräumen, ihre Regierungen
beizeiten zu fragen, welche Taten den Worten gefolgt sind.
Scheer lebt Praxis vor oder bringt sie nahe, war beispielsweise
im April im britischen Unterhaus, um über die Einführung
eines Erneuerbare-Energie-Gesetzes (EEG) zu diskutieren und zu
vermitteln, wie es entstand. Er zeigte, dass hier praktischer
Parlamentarismus, so wie er ihn versteht, ausschlaggebend war. Es
seien Parlamentsinitiativen gewesen, die zu den
Gesetzentwürfen geführt hätten, 1990, 2000 und auch
beim jetzigen EEG. Nach heftigen Auseinandersetzungen habe es einen
Entwurf des Bundesumwelt- ministeriums gegeben, der dann durch die
Parlamentarier erweitert wurde. Danach habe man es nahtlos durch
beide Regierungsfraktionen bekommen. Scheer schildert das, um
hervorzuheben, welches parlamentarische Potenzial tatsächlich
besteht. Das EEG sei das erfolgreichste politische Konzept zur
Einführung der EE, das es weltweit gebe. Das würden
nackte Zahlen vor allem der vergangenen fünf Jahre zeigen. Im
Kern sei das Gesetz ein Parlamentserfolg, auch wenn immer Einzelne
treibende Kräfte dafür seien.
Scheers Selbstverständnis, sein Blick auf politisches
Handeln, auf die Demokratie, auch auf Macht ist ein etwas anderer
als bei den meisten. Vor allem steht er für eine unangepasste
politische Mitwirkung. Er hat sich unter anderem intensiv mit
Typologien diverser Antriebe von Politikern beschäftigt - der
Machtspieler, der Narziss, der Passionierte, der
Interessenvertreter, der Gesellschaftsarbeiter - und dadurch
verdeutlicht, wie es zu bestimmten politischen Prozessen kommt. Da
drängt sich die Frage auf, wo er sich selber einordnet: "Wenn
Sie schon eine Selbsteinschätzung wollen, würde ich mich
als passionierten Gesellschaftsarbeiter betrachten, allerdings als
einen, der, wenn es um Inhalte geht, auch Lust am Machtspiel hat.
Ich bin mehr interessiert an Positionskämpfen, mehr an
inhaltlichen Konflikten, als an äußeren
Machteigenschaften. Viele, die eine äußere Macht haben -
was häufig mit Macht verwechselt wird - haben bei näherem
Hinsehen nie etwas konstruktiv gestaltet, haben im Inhaltlichen
keine Macht gehabt oder ausgeübt", so Scheer im Gespräch
mit "Das Parlament".
Er habe sich in seiner Praxis immer um parlamentarische
Initiativen bemüht, sein Parlamentsmandat nie verstanden als
Stufe auf der Karriereleiter hin zu einem Regierungsamt. Wie sich
Regierungsfraktionen in ihrer Gestaltungsrolle
zurücknähmen und sich von der Regierung, die sie
stützen, überfahren ließen, sieht der Publizist, der
gerade 60 wurde, mit kritischem Blick: "Wer kann einem Parlament
verbieten, seine parlamentarische Rolle auszuüben?" Das
Zurückdrängen in der Gestaltungsrolle komme aber nicht
von selbst. Es sei sofort durch die Parlamentarier selbst
korrigierbar. Das dafür notwendige Selbstbewusstsein
müsse früh ansetzen. Wer früh eingreifen
möchte, brauche allerdings konzeptionelle Überlegungen,
die stimmig sind. Diese Überlegungen wiederum bräuchten
konzeptionelle Kraft, weil sie gegebenenfalls einem anderen Konzept
standhalten müssten. "Es steckt schon sehr viel Arbeit
dahinter. Es gehört die eigene Kompetenz dazu, die in der
Regel Ergebnis von viel Arbeit ist", hebt der Politiker hervor.
Neulinge im Parlament wenden sich gern an Scheer, weil sie
wissen, dass er, wie er es nennt, "kein integriertes Element" in
den eingespielten Strukturen ist, sondern, dass er sich im Grunde
genommen freischaffend daneben bewegt. Er sagt ihnen: "Ihr
müsst überlegen, jeder für sich, ob ihr euch wohl
fühlt, wenn ihr euch selber ständig zurücknehmt,
dann aus Opportunitätsgründen nur die Hälfte von dem
artikuliert, was ihr denkt und in der Folge offenkundig falschen
Sachen, die euch widerstreben, nicht widersprecht, um auf diesem
Weg im üblichen Spiel integriert zu sein. Ich kann mir nicht
vorstellen, dass man sich dabei wohlfühlt." Es sei ein Irrtum,
zu glauben, man müsse es tun, um überhaupt etwas bewegen
zu können. Scheer empfiehlt allen, es zu lassen, um Freiheit
zu gewinnen, innere Unabhängigkeit, Glaubwürdigkeit und
die Möglichkeit zur Selbstidentifikation.
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