Egon C. Heinrich
Die beiden kleinen Brüder des
Europaparlaments
Mehr Macht für den Wirtschafts- und
Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen
Sie hören es nicht gerne, als die "kleinen Brüder" des
Europäischen Parlaments bezeichnet zu werden. Indessen ist
dies nicht ganz falsch, funktionieren der Europäische
Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) und der Ausschuss der
Regionen (AdR) wie Parlamente. Beides sind eigenständige, in
den Europäischen Verträgen bestätigte Organe der
Union. Die Stellungnahmen, die sie auf Anfrage oder auf eigene
Initiative an den Rat, das EP und an die Kommission geben, werden
von Fachgruppen beim EWSA und von Fachkommissionen beim AdR
ausgearbeitet und anschließend auf einer der mehrmals pro Jahr
stattfindenden Plenartagungen verabschiedet. Bei beiden Organen
dominiert das Konsensprinzip, kontroverse Abstimmungen sollen
vermieden werden. Dadurch soll das Gewicht der Stellungnahmen
erhöht werden, anderseits fehlt es dann des öfteren an
einer profilierten Aussage.
Beide Organe sind an der gesetzgeberischen Ausarbeitung der
Rechtsakte der EU zum Teil maßgeblich beteiligt. Die
rechtsverbindlichen Entscheidungen werden dann allerdings von
Kommission, Rat und EP getroffen. Indessen ist es den kleinen
Brüdern seit dem Vertrag von Maastricht gelungen, ihre
rechtliche und politische Position und damit ihren Einfluss doch
wesentlich zu verstärken, und zwar bei jeder Vertragsrevision
(Amsterdam und Nizza). Auch bei den Beratungen im Europäischen
Verfassungskonvent konnten sie ihren Rechtsstatus weiter
verbessern. Dies gilt vor allem für die Kompetenzabgrenzung
der verschiedenen Entscheidungsebenen, die Klarstellungen zum
Subsidiaritätsprinzip, die Einbeziehung des AdR in das so
genannte Frühwarnsystem und die Einräumung eines
Klagerechts beim EuGH.
Wirtschaftsausschuss besteht seit 1957
Der EWSA wurde schon durch die Römischen Verträge 1957
geschaffen nach Vorbildern in Frankreich und Belgien. In
Deutschland und den meisten anderen EU-Ländern gibt es solche
Gremien nicht. Aber EWSA und AdR müssen konsultiert werden,
sie können also vor wichtigen Entscheidungen ihren
Sachverstand und ihre Anliegen einbringen. Im EWSA sind drei
zahlenmäßig gleich starke Gruppen vertreten: die
Arbeitgeber (Gruppe I), die Arbeitnehmer (Gruppe II) und die
Verschiedenen Interessen (Gruppe III); letztere umfasst die
Landwirte, die freien Berufe, die Verbraucher- und
Umweltschutzverbände, Familien-, Behinderten- und
Freiwilligenorganisationen, Forschung und Lehre sowie NGOs.
Im Vertrag von Nizza wurde dem EWSA die Rolle eine
Vertretungsorgans der wirtschaftlichen, sozialen Bereiche der
organisierten Zivilgesellschaft gegenüber den drei großen
EU-Institutionen zuerkannt. Diese neue Aufgabe hat der Ausschuss
während der Beratungen des Europäischen Konvents
mustergültig wahrgenommen. Er war die Plattform, auf der sich
die Zivilgesellschaft gegenüber den Mitgliedern des Konvents
artikulieren konnte. Inzwischen wurde eine ständige
Verbindungsgruppe zwischen dem Ausschuss und den
Nichtregierungsorganisationen (NGOs) eingerichtet. Schliesslich
verstärkt der Ausschuss immer mehr seine Beziehungen zu
Ländern außerhalb der EU, insoweit es um die Schaffung
einer Bürgergesellschaft geht. Dies gilt vor allem für
Mittel- und Osteuropa, die Türkei, den Mittelmeerraum, die
AKP-Länder und Mercosur in Lateinamerika.
Die Mitglieder von EWSA und AdR werden auf Vorschlag der
Regierungen vom Rat der EU für eine Amtszeit von vier Jahren
ernannt; eine Erneuerung ist zulässig. Beide Organe hatten
bisher 222 Mitglieder. Am 1. Mai sind mit der Erweiterung jeweils
95 Mitglieder hinzugekommen, sodass beide jetzt 317 Mitglieder
zählen. Präsident des EWSA ist noch bis Ende September
2004 der Franzose Roger Briesch von der Gruppe der Arbeitnehmer.
Die Präsidentschaft wechselt alle zwei Jahre zwischen den
Gruppen.
Seit der AdR vor zehn Jahren seine Arbeit aufgenommen hat, teilt
er sich mit dem EWSA aus Kostengründen gemeinsame Dienste, vor
allem den Übersetzerdienst für die 20 Amtssprachen. Im
Juni diese Jahres werden beide in das ursprünglich erste
Bürogebäude des EP an der Rue Belliard in Brüssel
einziehen. Dieses Gebäude, gleich neben dem EP, wurde
völlig umgebaut und modernisiert.
Die Beziehungen beider Gremien zum großen Bruder EP sind,
was die inhaltlich-politische Zusammenarbeit angeht, recht gut. Zu
Spannungen kommt es allerdings regelmässig, weil sich das
Europäische Parlament weigert, den kleinen Brüdern seinen
großen Plenarsaal für deren Plenar- sitzungen in
Brüssel zur Verfügung zu stellen. Die Gründe
für dieses Verhalten sind nicht ganz klar. Nachdem beide
Organe nun deutlich gewachsen sind, ist ein größerer Saal
zwingend erforderlich geworden.
Der AdR ist die Stimme und die Interessenvertretung der
Gebietskörperschaften in der EU. Es muss zu Vorlagen
konsultiert werden, die die Befugnisse der Regionen und Kommunen
unmittelbar berühren. Dabei wurde 1991 in Maastricht von der
Einsicht ausgegangen, dass Regionen und Kommunen die meisten der
EU-Gesetze umsetzen oder überwachen müssen und dass sie
den Kontakt zu den Bürgern haben. AdR und WSA können auf
eigene Initiative Stellungnahmen zu anderen wichtigen Themen
abgeben.
Zu den prioritären Themen des AdR gehören die
Dezentralisierung, regionale und lokale Demokratie sowie vor allem
die Regional-, Struktur- und Kohäsionspolitik der EU. Seine
Vorschläge für die Periode ab 2007 wurden von der
EU-Kommission weitgehend in deren Dokument für die
Strukturpolitik nach 2006 übernommen. Der AdR hat sich hierzu
bereits für eine Erhöhung der Finanzmittel der EU auf
über ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts ab 2007
ausgesprochen.
Einen wesentlichen Unterschied zwischen AdR und EWSA gibt es
allerdings: Alle Mitglieder des AdR müssen ein auf Wahlen
beruhendes politisches Mandat in einer regionalen oder lokalen
Gebietskörperschaft inne haben oder einer gewählten
Versammlung gegenüber politisch verantwortlich sein. Im AdR
gibt es vier Fraktionen. Der Präsident wechselt wie im EP in
der Mitte der Wahlperiode von einer zur anderen Fraktion. Seit
Februar dieses Jahres ist der baden-württembergische
Landtagspräsident Peter Straub (EVP/CDU) Präsident des
AdR.
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