Ruth Bettina Müller
Gewinn für die Demokratie
Kommunikation im Internet
Das Internet ist oft als Kind des Kalten Krieges bezeichnet
worden. Auch wenn es seine Entstehung politischem Kalkül
verdankt, war es nicht die Politik, die das dezentrale Medium
zuerst für sich beanspruchte, sondern Wissenschaft und
Wirtschaft. Obwohl mittlerweile in Deutschland alle politischen
Parteien online agieren, wird das Potenzial des Internets nach wie
vor kontrovers beurteilt.
"Demokratie und Internet" ist eine weitere Publikation zum
spannungsreichen Verhältnis von Internet und Politik; der
Autor, Arne Rogg, ist Politikwissenschaftler und stellvertretender
Sprecher der Ad-hoc-Gruppe "Internet und Politik" in der Deutschen
Vereinigung für Politische Wissenschaft.
Ausgehend von der zentralen Bedeutung der Medien in einer
Demokratie, untersucht Rogg die Auswirkungen der
Internetkommunikation exemplarisch anhand von vier Kernelementen
demokratischer Systeme. Den Bereichen Macht, Repräsentation,
Öffentlichkeit und Legitimation ist jeweils ein Kapitel
gewidmet; einführend werden nach einem Exkurs zum Begriff des
Virtuellen die Grundbedingungen computervermittelter Kommunikation
beschrieben.
Der Aspekt der Macht wird zunächst auf globaler Ebene
abgehandelt: Auf dem Prüfstein steht hier die demokratische
Legitimation internationaler Institutionen wie etwa der ICANN,
zuständig für grundlegende Standards des Internets. Der
Autor sieht einen Konflikt zwischen technischer Regulierung und
politischer Steuerung des Internets: "Denn hier werden
Organisationen, die selbst verachtend auf die Mechanismen der
Politik herabblicken, selber zu Akteuren der Politik." Auch im
nationalen Rahmen bestehe im Hinblick auf Zensur (etwa
gewaltverherrlichender Inhalte) und Kryptographie, das heißt
starke Verschlüsselung, noch erheblicher Regulierungsbedarf
seitens des Staates.
Im Bereich der Repräsentation wird der Einfluss des
Internets anhand der Online-Präsenzen und insbesondere der
verschiedenen Diskussionsforen des Deutschen Bundestags und der
Parteien erörtert. Rogg konstatiert deutlich
ausdifferenziertere Informationsangebote und
Kommunikationsmöglichkeiten, die jedoch durch entsprechende
Medienkompetenz untermauert werden müssten, um Partizipation
für den Einzelnen auch tatsächlich zu vereinfachen.
Weniger optimistisch werden die neuen Formen der im Netz
entstandenen Öffentlichkeit eingeschätzt: Der Zugang und
die Teilhabe am politischen Diskurs seien nicht allgemein
gewährleistet, (Stichwort digitale Spaltung), ebenso wenig die
Fähigkeit, Internetinhalte zu selektieren, zu evaluieren oder
zu gestalten. Im Schlusskapitel über Legitimität wird der
Einsatz computervermittelter Kommunikationstechniken bei Wahlen als
klarer Zugewinn an Flexibilität gewertet.
Insgesamt fällt die Bilanz eher negativ aus: So wird das
Internet mit der Stärkung partizipativer Elemente und
umfangreichen Informationsmöglichkeiten prinzipiell als Gewinn
für eine Demokratie beschrieben. Andererseits bewirke der
Verlust einer kollektiven Bezugsebene - als Beispiel wird die
Abendausgabe der Tagesschau genannt - eine fragmentierte
Öffentlichkeit. Zudem schaffe die Technisierung der
Kommunikation neue Machtbereiche jenseits demokratischer
Legitimierung und Kontrolle.
An diesem wie an anderen Punkten bleibt die Argumentation
allerdings recht unbestimmt, ein generelles Problem der Studie, das
vielleicht dem weit gefassten Untersuchungsansatz geschuldet ist.
Durch dessen grobe Maschen fallen auch wichtige Facetten wie etwa
parteipolitisch unabhängige Politikportale oder die
Auswirkungen der Online-Kommunikation auf politische Bildung und
soziale Bewegungen.
Dem Autor ist unbedingt zuzustimmmen, wenn er sagt:
"Computervermittelte Kommunikation selbst muss erst noch zu einer
etablierten Kulturtechnik werden." Man mag den Diskussionsstil in
vielen Foren beklagen - aber ist es nicht eine Bereicherung
für die politische Kultur, wenn Menschen beginnen, sich
öffentlich schriftlich zu artikulieren und damit aktiv an der
Meinungsbildung mitwirken?
Vieles an Roggs Kritik wird erheblich entschärft, wenn man
das Internet als das begreift, was es ist und auf absehbare Zeit
auch bleiben wird - ein Komplementärmedium, das bestehende
Gattungen nicht verdrängt, sondern ergänzt
Arne Rogg
Demokratie und Internet.
Leske & Budrich, Opladen 2003; 204 S., 19,90 Euro
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