Bernward Janzing
Unter Hochdruckeinfluss
Erneuerbare Energien bieten weltweit erhebliche
Potenziale
Jeder hat sie schon gehört und gelesen, die
faszinierenden Zahlen von der Sonne. Alljährlich liefert der
Himmelskörper der Erde eine Energiemenge, die den globalen
Energieverbrauch 7.000-fach decken könnte. Doch was soll uns
diese Zahl sagen? Sie ist reine Theorie, nicht wirklich nutzbar,
sagen Kritiker - und legen das Thema beiseite. Zugegeben: Die
realistischen Nutzungsmöglichkeiten sind erheblich geringer
als die theoretischen Potenziale - enorm sind sie gleichwohl.
Bleiben wir bei der Sonne. Bleiben wir in den
gemäßigten Klimaten, wo uns die Sonne sehr ordentlich,
aber eben nicht allzu übertrieben mit Energie versorgt.
Bleiben wir in Deutschland: Rund 1.000 Kilowattstunden
jährlich liefert die Sonne pro Quadratmeter - das ist immerhin
so viel Energie, wie in 100 Litern Öl steckt. Nun will man
natürlich nicht das ganze Land mit Solaranlagen
überziehen. Aber das ist auch gar nicht nötig. Denn
alleine auf geeigneten Dach- und Fassadenflächen bestehender
Gebäude in Deutschland lassen sich nach Erhebungen des
Bundesumweltministeriums (BMU) Module mit zusammen 115.000 Megawatt
installieren. Diese würden einen jährlichen Stromertrag
von 105 Milliarden Kilowattstunden erzielen und damit fast 20
Prozent des nationalen Strombedarfs decken.
Noch größer ist das Potenzial der
Solarthermie - also der solaren Wärmegewinnung -, weil hier
die Ausbeute der Anlagen größer ist. 290 Milliarden
Kilowattstunden jährlich ließen sich von den deutschen
Dächern gewinnen, womit der Wärmebedarf des Landes sich
zu fast einem Fünftel decken ließe. Doch die
Sonnenenergie läßt sich auch in anderer Form nutzen -
schließlich beziehen alle erneuerbaren Energien (mit Ausnahme
der Geothermie) ihre Energie letztendlich von der Sonne.
Am traditionsreichsten ist die Wasserkraft,
deren Angebot auf der Erde allerdings sehr unterschiedlich verteilt
ist. Fast die Hälfte des theoretischen Potenzials
entfällt auf Asien, jeweils etwa 15 Prozent auf Nord- und
Mittelamerika einerseits und Südamerika andererseits. Afrika
macht zehn Prozent aus, Europa etwa acht. In Asien sind China,
Indien, Russland und Indonesien die Länder mit dem
höchsten Aufkommen an Wasserkräften, in Südamerika
führt Brasilien, in Europa liegt Norwegen vorn. Von den
wirtschaftlich nutzbaren Wasserkräften sind in Europa heute 75
Prozent erschlossen. In Asien sind es erst 22 Prozent, in
Südamerika 20 und in Afrika sieben Prozent. Entsprechend ist
der Ausbau der Wasserkraft für den internationalen Klimaschutz
ein wichtiges Thema.
Auch in Europa gibt es noch Potenziale. Bis
2010 könnten in der EU bis zu 4.500 Megawatt zusätzlicher
Kleinwasserkraftwerke bis jeweils maximal zehn Megawatt installiert
werden, ermittelte der französische Wasserkraftverband.
Zusammen mit den bereits in der Union installierten 6.900 Megawatt
könnten binnen weniger Jahre Kleinwasserkraftwerke im
Äquivalent von zwölf Atomreaktorblöcken am Netz
sein.
Im Vergleich zur bereits installierten Menge
sind die Ausbaupotenziale in Deutschland allerdings
überschaubar. Durch Modernisierung und Erweiterung bestehender
Anlagen ließen sich noch Mehrerträge von jährlich
etwa 1,5 Milliarden Kilowattstunden gewinnen. Durch Neubauprojekte
könnten nochmals bis zu fünf Milliarden hinzukommen. Doch
mehr als gut 25 Milliarden Kilowattstunden in einem
durchschnittlichen Regenjahr sind in Deutschland nicht zu
holen.
Dagegen ist vom Wind mehr zu erwarten. Im
Jahr 2004 wird der Windstrom in Deutschland erstmals in der
Stromgeschichte die Wasserkraft überflügeln. Die
Wasserkraft wird damit ihre Führungsposition unter den
erneuerbaren Energien auf Dauer abgeben - zumal, weil die Windkraft
mit Offshore-Anlagen in den kommenden Jahren in eine neue
Größenordnung vordringt. Auf 55 Milliarden
Kilowattstunden jährlich lässt sich in Deutschland das
Windpotenzial an Land beziffern, entsprechend einer Ausbauleistung
von 25.000 Megawatt. Derzeit sind etwa 15.000 Megawatt Windkraft in
Deutschland am Netz. 30.000 Megawatt sollen bis zum Ende des
nächsten Jahrzehnts zusätzlich in den deutschen
Meeresgebieten errichtet werden. Aufgrund der stärkeren und
konstanteren Winde werden die Offshore-Anlagen im Jahr sogar 110
Milliarden Kilowattstunden ins Netz einspeisen können - 20
Prozent des heutigen Strombedarfs. Zusammen mit den Anlagen an Land
wird der Wind so 30 Prozent der Stromnachfrage befriedigen
können.
Als wetterunabhängiges Element im
regenerativen Energiemix kommt die Biomasse hinzu. Sie besticht
zudem durch die große Vielfalt der Rohstoffe, und das breite
Spektrum der Anwendungsgebiete - von der Stromerzeugung über
Wärme bis zum Treibstoff. Entsprechend groß sind die
Potenziale in den unterschiedlichsten Teilen der Erde. Die
traditionellste Form der Nutzung von Biomasse ist die Verbrennung
von Holz. Während in vielen Ländern der Erde bis heute
Stückholz genutzt wird, beginnt in den Industrieländern
eine Renaissance des Brennstoffs auf Basis automatisierter
Feuerungen. In Form von daumengroßen Holzhackschnitzeln oder
Pellets in Pillengröße wird der Brennstoff heute in
großen Heizwerken ebenso eingesetzt wie in kleinen
Wohnzimmerheizungen.
Zu den bekannteren Formen der Bioenergie
zählen Pflanzenöle, speziell Rapsöl. Dieses wird als
naturbelassenes Öl oder als chemisch veränderter
Biodiesel bevorzugt für Fahrzeugmotoren verwendet. In
Deutschland gibt es zudem Forschungsprojekte, die
"Designerkraftstoffe" verfolgen, also Treibstoffe, die durch
Vergasung aus Holz gewonnen und dann verflüssigt werden. Auf
60 Milliarden Kilowattstunden, entsprechend etwa sechs Milliarden
Liter Treibstoff, beläuft sich das Biosprit-Potenzial in
Deutschland.
Des Weiteren ist die Vergärung von
Biomasse und die damit verbundene Erzeugung von Biogas ein
großes Thema. Gerade Gülle und Fäkalien aus der
Tierhaltung bieten sich hierfür an. Die Exkremente werden in
einem Tank unter Ausschluss von Sauerstoff ("anaerob") vergoren.
Dieser bakterielle Prozess erzeugt ein Gas, das zu rund 60 Prozent
brennbares Methan enthält. So können Kleinkraftwerke
betrieben und Strom und Wärme gewonnen werden. Setzt man auch
Bioabfälle aus der Lebensmittelverarbeitung oder nachwachsende
Rohstoffe (zum Beispiel Grasschnitt) zu, so kann der Ertrag
deutlich gesteigert werden.
Dennoch wird Biomasse international noch
wenig genutzt. Nach Schätzungen der Internationalen
Energieagentur (IEA) lag der Anteil der Biomasse am weltweiten
Primärenergieverbrauch zuletzt bei elf Prozent - mit
allerdings leicht steigender Tendenz. In der EU decken
Bioenergieträger gerade etwa 3,5 Prozent des
Gesamtenergieverbrauchs. Aus wirtschaftlicher Sicht könnte der
Anteil deutlich höher liegen. Denn die Kosten einer
Kilowattstunde Strom aus Biomasse liegen nach Angaben der IEA etwa
in gleicher Höhe, wie bei Erzeugung mittels Kleinwasserkraft.
Und Wärme aus Biomasse ist auch im Wettbewerb mit den fossilen
Energien längst wettbewerbsfähig.
Schwierig abzuschätzen ist aufgrund der
Vielfalt unterdessen das weltweit nutzbare Biomasse-Potenzial. Die
IEA zitiert verschiedene Studien, deren Spektrum von neun bis
über 360 Billionen Kilowattstunden jährlich reicht. Nimmt
man nun einen mittleren Wert als realistisch an, könnte -
theoretisch - der derzeitige Weltenergieverbrauch von gut 110
Billionen Kilowattstunden komplett durch (nachhaltig gewonnene)
Biomasse gedeckt werden. Auf Deutschland bezogen geht das BMU von
einem jährlichen Potenzial von 60 Milliarden Kilowattstunden
und bei der Wärmegewinnung von 200 Milliarden Kilowattstunden
aus. Das entspricht einem Anteil von etwa zehn Prozent beim Strom
und 15 Prozent bei der Wärme.
Zunehmend kommt auch die Erdwärme in die
Diskussion. Nachdem in Mecklenburg-Vorpommern im November 2003 das
erste Geothermie-Kraftwerk Deutschlands ans Netz ging, gewinnt das
Thema an Bedeutung. Vor allem im nördlichen Oberrheingraben im
Gebiet Karlsruhe - Landau - Speyer sind einige Projekte geplant.
Nach Schätzungen des BMU lassen sich in Deutschland
jährlich 200 Milliarden Kilowattstunden Strom mittels
Erdwärme erzeugen; das wäre ein Drittel des derzeitigen
Verbrauchs.
Unterdessen gibt es nur eine erneuerbare
Energie, die in Deutschland kaum eine Rolle spielen wird: die
Meeresenergie. Darunter fallen zum einen Gezeitenkraftwerke, die an
den Küsten sehr spezielle Voraussetzungen benötigen. Sie
kommen für Deutschland nicht in Frage und sind auch weltweit
auf wenige potenzielle Standorte beschränkt.
In größerer Zahl sind hingegen in
den Weltmeeren Standorte zu finden, an denen ein
Sekundäreffekt der Gezeiten genutzt werden kann: die
Meeresströmung. Die erste Meeresströmungsturbine der Welt
ist im vergangenen Jahr vor der Küste der englischen
Grafschaft Devon in Betrieb gegangen. Die Anlage sieht aus wie ein
Windrad unter Wasser. Aber auch diese Technik kommt für
deutsche Meere nicht in Frage, da die Bedingungen nicht gegeben
sind: Sie benötigt Wassertiefen von 15 bis 20 Metern, bei
gleichzeitiger Fließgeschwindigkeit von zwei bis drei Metern
pro Sekunde. Großbritannien könnte aber zehn bis 20
Prozent seines Strombedarfs mit der Meeresströmung
decken.
Das größte Potenzial unter den
maritimen Energien hat die Wellenkraft. Eine Studie der MVV
Consulting (eine Tochter des Mannheimer Energieversorgers MVV
Energie AG) ergab, dass in Irland und Großbritannien 30
Prozent des Strombedarfes mit küstennaher Wellenkraft gedeckt
werden können. In Europa insgesamt liege das Potenzial der
ökonomisch nutzbaren Wellenkraft bei 120 Terawattstunden
jährlich, entsprechend etwa fünf Prozent des
Stromverbrauchs.
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