|
|
Hans-Martin Schönherr-Mann
Wieweit reicht die Solidarität ?
Vorschläge zum
Generationenvertrag
Wir leben in der unvollendeten Moderne - eine Diagnose, die
nicht wenige teilen. Was fehlt noch zu ihrer Vollendung? Es fehlt
die politische Gleichheit, - so Kurt-Peter Merk, Rechtsanwalt und
Privatdozent für Politische Wissenschaft an der
Ludwig-Maximilians-Universität München in einer
engagierten Studie zum Generationenvertrag. Wird Gleichheit in der
westlichen Welt nicht weitgehend realisiert? Im Gegenteil, so Merk:
"Die rassistische und geschlechtliche Diskriminierung des Menschen
wurde aufgehoben, nicht aber seine Altersdiskriminierung."
Merkwürdigerweise vertritt Merk dann aber seine daraus
resultierende Forderung nach einem Wahlrecht für Kinder nicht
um ihrer selbst willen. Sie dient ihm vielmehr als Hebel zur
Rettung des Generationenvertrages, wenn sich die Alterspyramide
umkehrt - auch deshalb, weil Kinder heute ein Armutsrisiko
bedeuten. Umgekehrt, so Merk, profitieren die heutigen Rentner wie
keine Generation vor und nach ihnen von der Altersversorgung. Da
diese Gruppe immer größer wird, wächst ihr
politischer Einfluss. Keine Partei wird es riskieren, den Rentnern
einen Beitrag abzuverlangen, der die jüngeren Generationen
wieder entlastet, will sie nicht eine große Gruppe von
Wählern verprellen.
Der Generationenvertrag steht vor seinem Scheitern. Das muß
in der Tat nicht verwundern; seine Gründung beruht auf einem
Geburtsfehler. 1955 legte der Ökonom und Mathematiker Wilfried
Schreiber ein Gutachten zur Reform der Sozialsysteme vor. An Stelle
einer kapitalgedeckten Rente empfahl er einen Generationenvertrag,
der allerdings anders als der dann realisierte drei Generationen
miteinander verbinden wollte. Schreiber betonte den Gedanken eines
Versorgungsanspruches von Kindern auch vor dem Hintergrund von
kinderreichen und kinderarmen Familien. Für ihn gehörten
drei Generationen zu einem Generationenvertrag, die Generation der
Rentner, der Berufstätigen und die der Kinder. Doch Adenauer
kappte den Generationenvertrag um die letzte Gruppe mit den
überlieferten Worten: "Kinder kriegen sie sowieso."
Wie kann man dem Zusammenbruch des verkürzten
Generationenvertrages begegnen? Für Merk kann die Antwort nur
heißen, die Generation der Kinder, also die dritte Generation,
in den Vertrag einzubeziehen, und zwar derart, dass Rentner und
Kinderlose stärker belastet und Kinder ins soziale
Versorgungssys-tem aufgenommen werden. Werden sich aber Rentner wie
Kinderlose derartigen Reformbemühungen nicht erfolgreich
widersetzen?
Wie kann man die Gruppe der Berufstätigen mit Kindern
politisch stärken? Hier entdeckt Merk nun besagte Lücke
im demokratischen System: Auch Kindern steht, so Merk, von Geburt
an das Wahlrecht zu, von dem Augenblick an wo sie
eigenständige Träger von Rechten werden können.
Realisieren möchte Merk diese Idee einerseits durch Senkung
des Wahlalters, andererseits sollen die Eltern ihre kleineren
Kinder bei der Wahl vertreten.
Am Prinzip der einen Stimme pro Person als aufklärerischem
Gleichheitsgrundsatz möchte er festhalten. Ja, durch das
Kinderwahlrecht vollendet sich überhaupt erst das allgemeine
gleiche Wahlrecht, also die politische Gleichheit. Der
Rückgriff auf die Tradition entwickelt ein Grundrecht, dem
sich die Rentnergeneration und die Gruppe der Kinderlosen
argumentativ nicht widersetzen können - so der Merksche
Hintergedanke, der ihn dann auch zu Worten greifen lässt, die
in seinem Sinne zwar verständlich klingen, deren Pathos aber
ziemlich schräg tönt: "Am Demokratiebegriff orientiert,
führt die Aufhebung der Altersdiskriminierung zur
Verwirklichung der von der Aufklärung geforderten politischen
Gleichheit der Menschen. Die Moderne wäre vollendet."
Merk überbetont das Politische im Begriff der Moderne und
setzt zu große Hoffnungen auf die Politik. Sicherlich spricht
angesichts einer alternden Gesellschaft nichts dagegen, das
politische Gewicht der jüngeren Generationen zu
stärken.
Aber eine Änderung des Generationenvertrages wird
wahrscheinlich aus ökonomischer Dringlichkeit eingeleitet, und
dann eher durch die Einschränkung desselben, kaum durch die
Ausweitung des Sozialstaates. Nicht allein dass Merks Vorschlag
sich dem neoliberalen Geist der Zeit entzieht. Das wäre
ehrenwert. Doch Ausweitung ökonomischer Staatstätigkeit
löst selten die Probleme, um die es dabei geht.
Hans-Martin Schönherr-Mann
Kurt-Peter Merk
Die Dritte Generation.
Generationenvertrag und Demokratie -
Mythos und Begriff.
Shaker Verlag, Aachen 2003; 190 S., 28,- Euro
Zurück zur
Übersicht
|