Berd Eggen
Neue Facette in einer Vielfalt von
Familiennormen
Leben unterm Regenbogen
Keine andere private Lebensform löst solche
heftigen Emotionen und ideologisch begründeten Diskussionen
aus wie die gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaft mit Kindern.
Immerhin stehen tief sitzende Überzeugungen unserer Kultur zur
Diskussion und damit zur Disposition; es sind kulturelle
Gewissheiten über Geschlecht, Sexualität, Ehe und
Elternschaft. Im Kern des Streites stehen die persönlichen
Entwicklungen des Kindes und die Eigenschaften der Eltern.
Die einen wehren sich gegen die rechtliche
Angleichung bei Heirat, elterlicher Sorge, Adoption und
Pflegschaft, weil sie vor allem um das Wohl der Kinder
fürchten. In ihren Augen brauchen Kinder für ihre
Entwicklung eine Mutter und einen Vater, die miteinander
verheiratet sind. Bereits die "Vaterlosigkeit" der Kinder, die von
ihren Müttern allein erzogen werden, betrachten sie als
problematisch für die Entwicklung des Kindes. Erst recht
stellten homosexuell orientierte Eltern eine
unverhältnismäßig hohe Gefahr für das Kind dar.
Homosexualität wird dabei häufig als Krankheit oder
Sünde begriffen. Kinder von homosexuell orientierten Eltern
hätten deshalb zum einen Schwierigkeiten mit der Entwicklung
ihrer sexuellen Identität, die Aspekte wie
Geschlechtsidentität, Geschlechtsrollenverhalten sowie
sexuelle Orientierung umfasst. Es wäre daher auch
wahrscheinlicher, dass die Kinder selbst homosexuell werden. Zum
anderen bestünde die erhöhte Gefahr psychischer
Instabilität mit entsprechenden Verhaltens- und
Entwicklungsstörungen.
Was ist das Maß für
Elternschaft?
Darüber hinaus hätten sie Probleme
in sozialen Beziehungen; besonders wären sie der
Stigmatisierung durch gleichaltrige Freunde ausgesetzt. Die
Eigenschaften der Eltern werden ebenso skeptisch beurteilt. Sie
gelten als grundsätzlich unfähig, Eltern sein zu
können. Sie wären psychisch labiler als heterosexuell
orientierte Eltern, und ihr Erziehungs- und Partnerschaftsverhalten
wäre alles andere als vorteilhaft für die Entwicklung des
Kindes. So fehlte homosexuellen Eltern jegliche kultivierende
Beziehungsfähigkeit, aber dafür wären ihnen hybride,
aggressive und perverse Züge grundsätzlich
eigen.
Oder man unterstellt Promiskuität der
Eltern und befürchtet, dass vor allem homosexuelle Väter
ihre Kinder sexuell belästigen und missbrauchen. Ausgenommen
der möglichen Stigmatisierung durch die soziale Umwelt der
Eltern und Kinder fehlt jedoch allen diesen Behauptungen und
Befürchtungen jegliche wissenschaftliche Grundlage.
Allerdings bewegen sich nicht nur die Gegner
einer rechtlichen Gleichstellung homosexueller Lebensgemeinschaften
und Verfechter scheinbar traditionaler Familienwerte auf
ideologischem Glatteis. Auch bei den Befürwortern der
rechtlichen Gleichstellung trüben persönliche
Weltanschauungen die Argumentation. Bis auf wenige Ausnahmen nehmen
die Befürworter eine defensive Haltung ein. Sie akzeptieren
heterosexuelle Elternschaft als "goldenes Maß" und
prüfen, ob homosexuell orientierte Eltern und ihre Kinder
dieses erreichen oder nicht. Dabei gilt es, möglichst deutlich
erfolgreicher zu sein. Die meisten wissenschaftlichen
Untersuchungen kommen auch zu dem Ergebnis, dass es entweder keine
Unterschiede geibt oder dass homosexuelle Mütter und
Väter die besseren Eltern sind. Dies wird schließlich
sichtbar im Begriff "Regenbogenfamilien". Er verweist auf Buntes,
Fröhliches, Freundliches, Positives. Sie sind eben nicht nur
anders als Ehepaare mit ihren Kindern. Die Unterschiede verweisen
grundsätzlich auf Defizite und nicht auf eine familiale
Vielfalt moderner Gesellschaften.
Bislang gibt es nur wenige
aussagekräftige Studien, die über Auswirkungen
homosexueller Lebensweisen der Eltern auf ihre Kinder berichten.
Hinsichtlich möglicher Verhaltens- und
Entwicklungsstörungen aufgrund der sexuellen Orientierung der
Eltern gibt es keine Unterschiede zwischen Kindern in
gleichgeschlechtlichen und verschiedengeschlechtlichen
Lebensgemeinschaften. Beispielsweise sind Kinder und Jugendliche
homosexueller Eltern genauso oft heterosexuell orientiert wie
Kinder heterosexueller Eltern. Homosexuelle Eltern zeigen in keiner
Weise häufiger Verhaltensstörungen als heterosexuelle
Eltern.
Nicht die sexuelle Orientierung, sondern das
Geschlecht homosexueller Eltern scheint auf Einstellungen und
Verhalten von Kindern zu wirken. So weisen wohl vor allem Kinder,
die in gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften von zwei Frauen
heranwachsen, seltener ein geschlechtstypisches Rollenverhalten auf
als Kinder heterosexueller Eltern.
Gleichwohl unterliegen Kinder homosexueller
Mütter und Väter Diskriminierungen und Stigmatisierungen
durch ihre soziale Umwelt, die Einstellungen und Verhalten der
Kinder beeinflussen können. Hierzu gehören die
familienrechtlichen und politisch-rhetorischen Diskriminierungen
ebenso wie die Stigmatisierungen etwa durch Peergroups. Die Kinder
können unter diesen Diskriminierungen und Stigmatisierungen
leiden. Um deshalb nicht selbst als homosexuell zu gelten, scheinen
besonders Kinder in der Pubertät die Homosexualität ihrer
Eltern gegenüber Gleichaltrigen zu verbergen oder es zu
missbilligen, wenn die Eltern ihre sexuelle Orientierung in der
Öffentlichkeit zeigen. Insgesamt jedoch treten wohl die Kinder
mit einer erstaunlichen psychischen Stärke diesen
Stigmatisierungen entgegen.
Die Kinder sind wohl eher offener
gegenüber Homosexualität und möglichen eigenen
homosexuellen Erfahrungen als andere Kinder, ohne deshalb selbst
homosexuell zu sein. Grundsätzlich scheinen sie ihre sexuelle
Orientierung reflektierter zu erleben.
Die Betonung der Unterschiedslosigkeit von
Kindern aus homo- und heterosexuellen Familien dürfte auf
lange Sicht an der Realität vorbeigehen und auch politisch in
die Irre führen. Denn Kinder, die in gleichgeschlechtlichen
Lebensgemeinschaften heranwachsen, können sich anders
entwickeln und anders verhalten als Kinder heterosexuell
orientierter Eltern.
Diese möglichen Unterschiede in der
Entwicklung und im Verhalten sind zunächst schlichtweg nur
Unterschiede und keine Defizite. Es sind Unterschiede etwa aufgrund
sozialer Vorurteile, politischer Unterlassungen oder nur solche
Unterschiede, die eine moderne, demokratische Gesellschaft auch bei
anderen respektiert und schützt.
Die Datenlage über Kinder und
Elternschaft im Zusammenhang mit gleichgeschlechtlichen
Lebensweisen ist sehr dürftig. Es fehlt bereits an
grundlegenden statistischen Informationen. So wissen wir nicht, wie
viele Kinder in Deutschland homosexuelle Eltern haben, wie viele
von den Kindern bei ihnen leben und in welchen
Familienformen.
Von den 52.300 gleichgeschlechtlichen
Lebensgemeinschaften in Deutschland sind mindestens 7.300 Familien
mit mindestens 10.600 Kindern. Jedoch dürften wesentlich mehr
Kinder bei gleichgeschlechtlich orientierten Eltern leben.
Unbekannt bleiben die Kinder, deren Eltern sich nicht offen als
gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften zu erkennen geben. Zudem
fehlen die Kinder allein erziehender homosexueller Mütter und
Väter. Schließlich fehlen auch die Kinder von homosexuell
orientierten Eltern, die weiterhin in einer heterosexuellen
ehelichen oder nichtehelichen Lebensgemeinschaft leben. Doch
ungeachtet der tatsächlichen Zahl wachsen vergleichsweise nur
sehr selten Kinder in einer gleichgeschlechtlichen
Lebensgemeinschaft heran. Von den rund 21 Millionen Kindern in
Deutschland ist es deutlich weniger als ein halbes Prozent. Ihre
Lebenslagen ähneln eher den Kindern nicht ehelicher
heterosexueller Lebensgemeinschaften als denen ehelicher
Lebensgemeinschaften. Drei von vier Kindern in
gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften sind unter 18 Jahren,
zwei von drei sind 14 Jahre und jünger. Mehr als die
Hälfte der Kinder hat Geschwister, die auch in der
Lebensgemeinschaft leben. Die relativ junge Altersstruktur der
Kinder zeigt sich auch am Schulbesuch. Etwas mehr als zwei Drittel
von ihnen gehen zur Schule. Die Kinder wohnen mit ihren Eltern
überwiegend in Gemeinden bis 50.000 Einwohnern, also in
kleineren Gemeinden. Zwei Drittel der Kinder haben einen nicht
ledigen Elternteil. Die Mutter oder der Vater des Kindes ist
geschieden, verwitwet oder verheiratet, aber wohnt nicht mehr bei
ihrem bzw. seinem einstigen Ehepartner. So wächst nur eine
Minderheit der Kinder in Lebensgemeinschaften auf, in denen beide
Partner ledig sind. Die Kinder leben sowohl bei homosexuellen
Müttern als auch bei homosexuellen Vätern.
Die Eltern sind im Schnitt Mitte bis Ende 30.
Das Bildungsniveau homosexueller Eltern gleicht dem heterosexueller
Eltern in nichtehelichen Lebensgemeinschaften. Sie verfügen im
Mittel über einen höheren Schulabschluss als verheiratete
Eltern. Die meisten Kinder haben Eltern, die beide
erwerbstätig sind. Allerdings wächst auch etwa ein
Drittel der Kinder in Familien heran, in denen nur ein Elternteil
erwerbstätig ist. Diese unterschiedliche Aufgabenwahrnehmung
ist in Familien homosexueller Mütter ebenso zu beobachten wie
in Familien homosexueller Väter. Und hier unterscheiden sich
doch homosexuell orientierte Eltern von heterosexuell orientierten
Eltern. Denn in ehelichen, aber auch in nichtehelichen
heterosexuellen Lebensgemeinschaften ist es, wenn nur einer
erwerbstätig ist, überwiegend der Vater, also der
Mann.
Bernd Eggen, Diplom-Soziologe und
Diplom-Sozialpädagoge, ist Mitarbeiter an der
Familienwissenschaftlichen Forschungsstelle des Statistischen
Landesamtes Baden-Württemberg in Stuttgart.
Zurück zur Übersicht
|