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Ulrike Gropp
"Wie können Frauen heute noch Mütter
sein?"
Das unbequeme Glück
Aus einem Schulaufsatz zum Thema "Wie verbringt
Deine Mutter ihre Tage?" - Antwort einer zehnjährigen
Journalistentochter: "Die eine Hälfte des Tages ist sie zu
Hause, die zweite Hälfte unterwegs - und in der dritten
Hälfte des Tages schreibt sie!" So ähnlich wird Theresa,
heute zwei Jahre alt, vielleicht auch einmal von uns, ihren Eltern
sprechen. Als von seltsam gehetzten Wesen, deren Tage mindestens 36
Stunden haben müssten. Weil wir uns die normalste Sache von
der Welt zumuteten: als berufstätiges Paar ein Kind zu
haben.
Am Beginn meines Nachdenkens über die
ungeheuerliche Frage, "wie Frauen heute noch Mutter sein
können", steht ein freudiges Bekenntnis zu diesem Leben in
einem unbequemen Glück. Denn mit der Geburt unseres Kindes, an
einem Sonntagmorgen im März vor zwei Jahren, tat sich für
uns, und insbesondere für mich, eine ganz neue Welt auf. Die
wesentliche von den emotionalen, intellektuellen und existentiellen
Erfahrungen ist vor allem die: Egal, was noch kommen mag an
Höhen und Tiefen, auf jeden Fall ist das so manche Entbehrung
und auch manches persönliche Opfer wert.
Und Worte wie "Verzicht" und "Unsicherheit"
stehen bei allem Glück eben doch im Raum. Zumindest wenn es
sich bei den Beteiligten nicht um Beamte in Lebensstellung,
gebürtige Millionäre oder unkündbare Angestellte
handelt, sondern - was in unserer Generation gar nicht so selten
ist - um ein Paar, das in Zeiten unsicherer Jobs und ungewisser
Laufbahnen zu der Erkenntnis gekommen ist: Auf einen
Einzelverdiener können und wollen wir uns nicht verlassen.
Darüber hinaus handelt es sich bei uns - auch nicht so selten
- um zwei Individuen, die ihre Berufe lieben. Und die sich ihr
Leben, auch mit einem Kind, nicht ohne jenen überaus wichtigen
Kontrapunkt zur Welt des Privaten vorstellen mögen.
Es war uns also schon vor Theresas Ankunft
klar: Wir wollen trotz (oder auch gerade wegen) des Kindes unsere
jeweiligen Karrieren als Historiker und freiberufliche Journalistin
weiterführen. Doch wie? Wenn ein Wissenschaftler in einer
eigentlich auf 50 bis 60 Wochenstunden angelegten Kombination aus
Privatdozentur und zeitlich begrenzter Forschungsstelle auch noch
ein engagierter Vater sein will, dann muss er Abstriche machen. Die
von uns ursprünglich geplante geteilte Elternzeit wäre
für ihn einem beruflichen Selbstmord gleichgekommen und wurde
fallen gelassen. Doch auch so musste Jörg vom Tage der Geburt
des Kindes an ein Risiko in Kauf nehmen: Dass ihm die Tatsache,
dass es in seinem Leben noch etwas anderes gibt als die Karriere,
zum Nachteil ausgelegt werden kann. Auch mir war klar, dass ich
Theresas Ankunft mit einem partiellen Abschied vom Job "bezahlen"
müsste. Bei den absehbar geringen Einkünften aus meiner
zeitweisen freiberuflichen Betätigung erschien die Anmietung
eines eigenen Büros nicht lohnend. Konsequenz: Schreibtisch zu
Hause, Wiege daneben, Hilfskräfte engagieren und schreiben,
wann immer es geht.
Seelische Leerstelle
Es ging - und ging doch nicht. Nicht nur aus
zeitlichen Gründen. Ein paar Wochen nach Theresas Ankunft fiel
mir zum ersten Mal auf, dass es für mein Glück, dieses
Kind zu erleben, kaum eine zeitgemäße, adäquate
Sprache gibt. Etwas verschämt gestand ich dem mir nicht
ehelich angetrauten Mann und Kindsvater, dass die einzig absehbare
Lösung, um die semantische Leerstelle auszufüllen, ein in
meinen Augen ganz und gar unzeitgemäßes Wort sei:
Mutterglück. Er bekannte, ihm ginge es mit der Vokabel
"Vaterglück" so ähnlich. Gemeinsame Wortfindungsversuche
in seligen Minuten an der Wiege brachten nur Antiquiertes,
Naturhaftes oder Kitschiges zutage. Wir einigten uns dann
vorläufig - lachend und gerührt - auf unser
"Elternglück". Von Berufs wegen musste mir diese magere
sprachliche Ausbeute allerdings zu denken geben.
Reich ist unsere Sprache beim Sprechen
über das Leben mit Kindern nur dann, wenn Begriffe für
Probleme, Nichtgenügen, für die Überforderung
gefragt sind. Und dieser problemorientierte Diskurs ist kein
Zufall, kein Sprachversagen, wie wir inzwischen wissen, seitdem wir
uns mindestens einmal pro Woche zur Planungskonferenz vor unserem
Familienkalender zusammenfinden. Im Reden und Schreiben über
den Elternalltag, jenem Stakkato der Gehetzten, bildet sich einer
der großen, weitgehend gesellschaftlich akzeptierten Skandale
unseres Landes ab: die Verweigerung einer an den Bedürfnissen
der Familien und vor allem der Frauen und Kinder orientierten,
qualitativ und quantitativ bestmöglichen Betreuung für
(Klein)Kinder. Daran hat sich bislang auch durch die jüngsten
Debatten um das geplante Kinderbetreuungsgesetz wenig
geändert. Das wider alle Vernunft und alle gesellschaftlichen
Realitäten noch immer erschwerte Zusammenleben
berufstätiger Eltern mit ihren kleinen Kindern reproduziert
sich immer wieder aufs Neue. Auch in der Sprache. So zum Beispiel,
wenn sich die politischen Spitzenvertreter aus Bund, Ländern
und Gemeinden öffentlich darüber streiten, wer die Kosten
für die geplante Ausweitung der staatlichen Kleinkindbetreuung
übernehmen muss. Die Fürsorge für die kommende
Generation als kostspielige Pflicht, vor der sich alle am liebsten
drücken möchten? Ein verheerendes Signal in einer Zeit,
da sich sowieso immer weniger Menschen in der Lage sehen oder
bereit sind, ein Kind (oder gar mehrere) in die Welt zu
setzen.
Fehlten mir anfangs nur die Worte zur
Beschreibung meines, unseres Glücks, so fehlt mir inzwischen
vor allem die Zeit, um meinem Beruf nachzugehen. Unser gemeinsamer
Kalender, vor dem wir uns, meist am Sonntagabend, zu einem
zeitraubenden "Stundenplan-Slalom" zu dritt versammeln, führt
uns jedes Mal aufs Neue den ganz normalen familienpolitischen
Wahnsinn vor Augen. Dem wir - wie Millionen anderer Familien -
ausgeliefert sind. In unserem Falle sieht das so aus: Beide
Erwachsenen haben im Augenblick gemeinsam zwar "nur" etwa 70
Berufsstunden abzudecken; ich kann mir meine etwa 20 Stunden
Berufstätigkeit pro Woche sogar weitgehend frei einteilen. Und
mich dadurch - glücklicherweise - weitgehend nach den
zeitlichen Möglichkeiten der anderen Betreuungspersonen
richten.
Wir denken immer: "Wir schlagen uns noch ganz
tapfer", teilen Hausarbeit, Erziehung, Alltagskram (wenn auch -
gerechterweise - nicht paritätisch) und haben unsere
Ansprüche an individuellen Freiraum und den Pflegestatus
unserer irdischen Besitztümer (Wohnung) heruntergefahren.
Aufgewertet haben wir das Ritual gemeinsamer Mahlzeiten. Ohne zu
klagen kommen wir mit weniger Einkommen aus, obwohl wir mehr als
früher arbeiten. Wir leisten uns allerdings den Luxus eines
halben "Familientages" mitten in der Woche. Dafür gehört
Papa am Samstag ganz seiner Wissenschaft, entschwindet von morgens
früh bis nachmittags um 16 Uhr in sein dann stilles Institut.
Die weitgehend autonome Einteilung der Arbeit ist in unserem Falle
Fluch (das permanent schlechte Gewissen, nicht alles zu packen) und
Segen zugleich. Wir kennen Familien, in denen die objektiven
Zwänge viel größer sind: Medizinerpaare mit
Bereitschaftsdiensten, Verkäuferinnen und Ingenieure mit
Schichtdienst oder Arbeitszeiten am Wochenende.
Doch wehe uns, wenn irgendwo im System eine
Störung auftritt. Und "Störungen", zumal im Alltag mit
einem kleinen Wesen, sind schließlich das Normalste von der
Welt. Egal, ob uns eine Kinderkrankheit zusätzliche
Fürsorge abverlangt oder ob uns eine Vortragsreise, ein
Archivaufenthalt oder ein abendlicher Termin des Vaters aus dem
Zeitplan kickt (weil er dann als Betreuungsersatz für mich
ausfällt). Leicht wird auch ein auswärtiger
Interviewtermin der Mama zum Grund, dass sich der diensthabende
Papa Urlaub nehmen muss, weil die Ersatzkräfte auch keine Zeit
haben und frei disponierbare Großeltern nicht am Ort wohnen.
Wenn dann noch die tagsüber eingesetzte Babysitterin drei Tage
Urlaub erbittet, weil sie ihr Lernpensum für die anstehenden
Prüfungen nicht packt, dann kommt jede noch so gute
Organisation an ihre Grenzen.
Koordination und Verwaltung
Neulich haben wir einmal aufgeschrieben, wie
viel Zeit wir in einer ganz normalen Woche (ohne Arztbesuche etc.)
allein mit der Koordination und Verwaltung der Kinderbetreuung
verbringen: Wir müssen uns untereinander und mit den
Hilfskräften absprechen und dies alles im Kalender festhalten
("Kannst Du am Dienstag um elf Uhr für zwei Stunden nach Hause
kommen, ich muss zu einem Pressegespräch oder soll ich Frau X
anrufen?"). Eine privat organisierte Kinderbetreuung muss nicht nur
den sich ständig ändernden Anforderungen auf allen Seiten
angepasst werden. Ein solches Netz bedarf der Pflege, wenn es nicht
reißen soll - und das kostet Zeit: Menschen, denen man sein
Liebstes anvertraut, gehören ein Stück weit automatisch
zur Familie.
Das Resultat unserer Minutenzählerei in
Sachen Organisation der Kinderbetreuung (für ein Kind,
wohlgemerkt!) verschlug uns die Sprache: Insgesamt kamen wir in
einer Woche auf zweieinhalb Stunden am Telefon, in Gesprächen,
beim E-Mailen am Computer. Rechnet man diese Zeit in Geld um (pro
Stunde 25 Euro), so verdoppeln sich die monatlichen
Betreuungskosten von 250 Euro leicht auf 500 Euro (für
wöchentlich etwa zehn Stunden bezahlte Kinderbetreuung, hinzu
kommen bei uns noch einige kostenneutrale Stunden durch
Kindertausch mit anderen Eltern). Theresa, verzeih!
Wem sich durch die Augen seines Kindes der
Blick auf die Welt ein zweites Mal öffnet, stellt je nach
Weltbild und Empfindlichkeit mehr oder weniger schnell fest, dass
sich unsere Gesellschaft enorme Diskrepanzen und Widersprüche
im Grad ihrer Fürsorge für Menschen und Dinge
leistet.
Dort, wo Fernstraßen, Ampelanlagen oder
Sportarenen in einem strukturell ähnlich defizitären
Zustand sind wie Kindereinrichtungen und Schulen, gibt es einen
öffentlichen Aufstand. Wer einen gewissen Überblick hat
über die Art und Weise, wofür hierzulande
öffentliches Geld ausgegeben wird und wofür geistige
Ressourcen mobilisiert werden, stellt ernüchtert fest: Es ist
schlichtweg eine Frage der Prioritäten. Der Transport eines
Briefes von der hinterletzten Alm auf die vorgelagerte Nordseeinsel
ist (und war es auch schon vor der Privatisierung der Post) in
aller Regel innerhalb von 24 Stunden möglich. Diese Leistung
wird als Ausweis unserer Zivilisation betrachtet. Wer ähnlich
hohe Qualitätsstandards und eine vergleichbare
Kundenfreundlichkeit in der Grundversorgung mit Kinderbetreuung
fordert (sei es privat, sei es staatlich oder in Mischformen), ist
ein Träumer und wird sanft, aber bestimmt darauf hingewiesen,
dass das alles "leider, leider" viel zu teuer käme.
Dass sich Politik, Gesellschaft und
Verbände hierzulande drücken vor einem freudigen und
lautstarken Bekenntnis zu einem bestmöglichen,
vielfältigen und an die Bedürfnisse der Familien
angepassten Kinderbetreuungssystem, ist nicht neu. Aber dass jede
Familie, vor allem aber jede Mutter, die berufstätig sein
möchte oder muss, auch noch zusätzlich unbezahlte
Arbeitsstunden als Manager aufgebrummt bekommt - das hätten
wir uns in unserem früheren Leben als kinderloses Paar so
nicht vorstellen können. Auch nicht, dass die Beweislast, dass
Muttersein und Kinderhaben vereinbar ist, noch immer den Familien
aufgebürdet wird. So gehen Stunden, Tage, Wochen an
unwiederbringlicher Lebens- und Arbeitszeit verloren. Die Kosten
dieser familienpolitischen Strukturschwäche werden jedem
Einzelnen zugeschoben. Sie werden privatisiert, das daraus
resultierende Risiko wird individualisiert.
Neue Vätergeneration
"Ihr spinnt, ihr Deutschen!", sagt meine aus
Deutschland stammende, seit fast 25 Jahren in Frankreich lebende
Freundin Gabi. "Die Atomkraft habt ihr erfolgreich in die Schranken
verwiesen, die Wiedervereinigung irgendwie hingekriegt, aber den
Frauen, wenn sie das denn wollen, Kinder und Beruf zu
ermöglichen, das packt ihr einfach nicht." Meine Freundin ist
Fachärztin für Psychiatrie - und Mutter von drei Kindern.
Sie hat einen anspruchsvollen Beruf, ihre eigenen Kinder und
zeitweise noch ein Pflegekind miteinander vereinbart: Alltag in
Frankreich, und zwar nicht nur in der Mittel- und Oberschicht,
sondern flächendeckend. Vor allem fühlten sie und ihr
Mann sich vom Staat unterstützt, nicht behindert: durch das
staatlich geregelte Tagesmüttersystem, die
Selbstverständlichkeit eines Platzes in der nahe gelegenen
"Maternelle" (ab zweitem Lebensjahr der Kinder), durch ein
einfaches System der staatlich subventionierten Sozialversicherung
für Putzfrauen, Babysitter und Tagesmütter, das die
massenhaft illegalen Beschäftigungsverhältnisse in der
privaten Kinderbetreuung wie in Deutschland überflüssig
macht. "In Deutschland wurde die Aufwertung und
Professionalisierung der privaten Dienstleistung Kinderbetreuung
schlichtweg verpasst", lautet Gabis Resümee. Je nach Laune
füge ich ihrem "verpasst" dann noch die Ergänzung
"böswillig" oder "aus Blödheit" hinzu.
Sicher ist: Die möglichen
volkswirtschaftlichen Gewinne aus der weiblichen Qualifizierung und
Emanzipation und aus dem wachsenden Engagement der neuen
Vätergenerationen wurden auf diese Weise, zumindest partiell,
wieder vernichtet. Das ideologische Brimborium und die Erzeugung
schlechten Gewissens bei berufstätigen Eltern, vor allem
Müttern, kaschieren das Versagen staatlicher Grundversorgung
immer schlechter. Doch vermutlich wird auch weiterhin alles ruhig
bleiben: Eltern, die sich mit den nicht mit ihren beruflichen
Anforderungen zusammenpassenden Öffnungszeiten von
Kindergärten oder Schulen herumärgern müssen, haben
in aller Regel keine Zeit, um auch noch auf die Barrikaden zu
gehen.
Meine berufliche Tätigkeit hat unter
diesen Vorzeichen etwas Partisanenhaftes, manchmal sogar etwas
Clandestines bekommen. Manchmal kommt es mir so vor, als schriebe
ich, nicht weil ich den Beruf einer Journalistin ergriffen habe,
sondern obwohl ich Mutter bin. Das ist schlecht fürs
Selbstbewusstsein und schlecht fürs Konto. Aber es ist prima,
nach fast mehr als zehn Jahren im Beruf mit einer neuen Weltsicht
und neuen Themen konfrontiert zu werden. Und für Theresa ist
es - wenn wir sie richtig verstehen - wunderbar, dass ich und ihr
Vater in ihrem Alltag (noch immer) die tragende Rolle spielen. Und
doch macht es mich wütend und traurig, dass wir und viele
andere Eltern trotz bester Absichten und guter Planung unser Kind
manchmal als Hindernis empfinden müssen, wenn wir im
beruflichen Überlebenskampf nicht untergehen
wollen.
Ulrike Gropp ist freie Journalistin in
Leipzig.
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