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Andrea Dunai
"Happy birthday, dear Gibraltar"
Kleine Enklaven am Mittelmeer und die
Verlegenheiten großer Politik
Selten geschieht es, dass man auf einer
Touristenreise außer den im "Baedeker" beschriebenen
Sehenswürdigkeiten auch etwas von den aktuellen Geschehnissen
mitbekommt. In diesen Genuss kam ich im August dieses Jahres unter
der Sonne des Mittelmeeres. Ich bereiste die Südküste
Spaniens, als es auf der Iberischen Halbinsel abgesehen von der
üblichen sengenden Hitze auch politisch heiß war.
Die Gemüter erhitzten sich wieder einmal
an den sechs Quadratkilometer großen "Affenfelsen". Die
Geschichte ist uralt: Während des Spanischen Erbfolgekrieges
eroberte Admiral Sir George Rooke an der Spitze einer
britisch-holländischen Meeresflotte im August 1704 Gibraltar.
Seitdem ist die Halbinsel britisch, was im Friedensvertrag von
Utrecht 1713 offiziell fixiert wurde. Die Habsburger verloren somit
den spanischen Thron, und die spanischen Bourbonen die Meerenge
nach Afrika. Seitdem spricht man in Spanien von einer illegalen
Invasion, in Gibraltar von "Befreiung". In feineren Kreisen
fügen die Briten jedoch zu, dass sie darunter die Befreiung
des Territoriums und nicht der Einheimischen verstehen.
Der Status Quo von Gibraltar wird in Spanien
mit methodischer Routine ignoriert: Auf der Autobahn
"Mediterráneo" zwischen Malaga und Cádiz wird die
Halbinsel nicht ausgeschildert, bei den internationalen
Zeitungskiosken in Andalusien gehören "Gibraltar Chronicle"
oder "El Faro de Gibraltar" nicht zum Sortiment, während man
im britischen Stadtstaat spanische Zeitungen beliebig kaufen kann.
Außerdem kann man von Cadiz und Algeciras (aus dem
maurisch-arabischen Al Dschasira) aus ohne Auslandsvorwahl per
Stadtgespräch nach Gibraltar telefonieren - es gilt als
Inland. Dafür arbeitet an der Grenze zwischen La Linea de la
Concepcion und den Penon (Felsen) der spanische Zoll auf
Hochtouren, worauf die Kronkolonie mit dreisprachigen Tafeln
reagiert, die die Reisenden auffordern, gegen die "Schikane der
Spanier beim Europarat in Straßburg Beschwerde
einzulegen".
Die 40.000 Einwohner von Gibraltar haben ein
einmaliges Verhältnis zu ihrer Schranke. Einerseits
schätzen sie sie, denn als 1969 Gibraltar von London
Teil-autonomie erhielt, machte General Franco die Grenze dicht,
zweifelsohne auch als einen cordon sanitaire der Diktatur
gegenüber der Demokratie. Infolgedessen konnten die Bewohner
ihr Zuhause 13 Jahre lang nur per Schiff oder Flugzeug verlassen.
Heute bedeutet nicht mehr die damals künstlich geschaffene
Weite, sondern eher die Nähe eine Bedrohung: Man
befürchtet durch die Vielzahl illegaler Grenzgänger und
den florierenden Drogenschmuggel ein neues Sicherheitsrisiko.
Immerhin sind hier jährlich sechs Millionen Menschen
unterwegs, unter ihnen 4.000 spanische Angestellte und 850 Briten,
die den Posten mindestens fünfmal pro Woche überqueren,
da sie in Gibraltar beziehungsweise La Linea arbeiten. Der Rest
sind Spanier oder Touristen, die steuerfrei Zigaretten und
Getränke einkaufen, oder eben die Gibraltarer, die sich in
ihren eingeengten Verhältnissen nach einem Spaziergang im
Nachbarland sehnen.
Auch wenn Gibraltar in jeder Hinsicht auf
Spanien angewiesen ist, sträubten sich die Einheimischen 2002
mit Händen und Füßen gegen eine gemischte
spanisch-britische Souveränität, die London und Madrid
über ihre Köpfe hinweg vereinbart hatten. Über Nacht
wurde ein Referendum organisiert, in dem 99 Prozent den Einfluss
Spaniens ablehnten.
Kaum hatte Luis Rodríguez Zapatero, der
neue spanische sozialistische Ministerpräsident, seinen
Konflikt mit dem britischen Premier Tony Blair wegen des
Rückzugs der spanischen Truppen aus dem Irak beigelegt,
handelte er sich einen neuen, heftigen Zank mit England ein. Ob es
dabei um geschichtliche Ungerechtigkeit, Komplexe, simple
Tolerierungsprobleme, Gebietshunger oder eben
Formulierungsschwächen handelt, sei dahingestellt.
Als der spanische Außenminister Miguel
Ángel Moratinos einige Tage vor den Feierlichkeiten
anlässlich des 300. Geburtstags von Gibraltar erfuhr, dass der
britische Verteidigungsminister Geoffrey Hoon am 4. August die
Parade der königlichen Marine von Gibraltar abnehmen
würde, sprach er von einer "vollkommen unfreundlichen Geste".
Er sei "enttäuscht" und kündigte an, die Angelegenheit
auf diplomatischem Wege zu klären. Der britische Botschafter
Stephen Wright musste wieder einmal sein diplomatisches Geschick
unter Beweis stellen. Diesen Druck erlebte er bereits mehrmals in
diesem Jahr. Mal bat Madrid, den Besuch der britischen Prinzessin
Anne in Gibraltar bis zur Eheschließung von Thronfolger Prinz
Felipe und Letizia Ortiz hinauszuzögern, mal musste das
britische Militär-U-Boot "Tireless" vor der Küste
Gibraltars die Anker lichten.
María Teresa Fernandez de la Vega,
spanischer Vizeministerpräsident, kündigte gegen den
Besuch von Hoon "sofortige Maßnahmen" an. In Gibraltar wurde
sogar befürchtet, dass die Spanier an besagtem Feiertag, der
übrigens kurzerhand zum "Freiheitstag" erklärt wurde, die
Grenze schließen würden.
Madrid hat unmissverständlich angemerkt,
"wenn Verbündete im 21. Jahrhundert historische Ereignisse
feiern, dies in einer positiven Form vor sich gehen müsse,
ähnlich wie bei der Zeremonie anlässlich der Landung der
Alliierten in der Normandie". Auch Zapatero bediente sich
polemischer Worte, was die Gibraltarsche Empfindlichkeit wiederum
als "Einmischung in die nationale Zugehörigkeit" bewertete.
Äußerungen wie "der Besuch von Hoon ist nicht opportun
und Blair verhält sich wie ein Kolonialherr aus dem 18.
Jahrhundert" oder "London bezeugt ein ungünstiges Verhalten"
führten aber auch in Spanien zu einem zwischenparteilichen
Zusammenstoß. Die Konservativen (PP) wiesen dabei auf die
falsche Politik der Regierung in Bezug auf Gibraltar hin und
meinten, dass Luis Rodríguez Zapatero den zerbrechlichen
Kontakt zu England durch seinen "persönlichen Denkzettel"
belaste. Zapatero habe vor Blair das "Fehlen von Qualität und
Einfluss demonstriert". Auch die Union der Linken (IU) beteiligte
sich heftig an der Diskussion und forderte Zapatero auf, "das
imperialistische philofaschistische Verhalten von Blair
abzulehnen". Dieser verbale Ausrutscher galt jedoch eher dem
britischen Standpunkt im Irak-Krieg. Die spanischen Sozialisten
konnten sich lediglich damit verteidigen, dass die Vorbereitungen
zum Jahrestag bereits seit einem Jahr im Gange seien und der
damalige Regierungschef Aznar in dieser Phase seine
"Grundbedingungen" hätte artikulieren müssen.
Und doch hat es Gaspar Zarrías,
Präsident der Junta von Andalusien, am schärfsten
formuliert, als er bei einer Pressekonferenz verkündete, dass
Gibraltar einen Teil von Spanien bilde und dass es Ziel sei, die
Kolonie möglichst bald an Spanien
zurückzugeben.
Es sah fast danach aus, als ob der Besuch von
Denis MacShane, dem britischen Europaminister, Mitte Juni in Madrid
zu keinem Ergebnis führte. "Eiskalt" erläuterte er, dass
die britische Flagge solange über Gibraltar wehen werde, wie
es die Menschen dort wünschten. Außerdem fügte er
hinzu, dass die spanischen Enklaven Melilla und Ceuta in Nordafrika
ebenfalls auf der spanischen Souveränität beharrten, auch
wenn Marokko die zwei Städte mit großer Freude dem
Königreich von Mohammed VI. eingliedern würde. Seine
Bitte, in Bezug auf Gibraltar Verständnis aufzubringen,
rauschte an den Ohren der spanischen Politiker vorbei.
Am Vorabend der Geburtstagsfeier war
Gibraltar prächtig herausgeputzt. In jeder Ecke hing eine
britische Flagge, die Einwohner bekamen gratis rote T-Shirts und
waren gebeten worden, dazu weiße Röcke oder Hosen, die
Farben ihrer Stadt, zu tragen. Auf den engen Plätzen und in
den schmalen Gassen wurden Bühnen aufgestellt, und die
Geschäfte lockten mit einem Sonderausverkauf.
Kurz vor dem mitternächtlichen Feuerwerk
verkündete der Stadtgouverneur und Regierungschef Peter
Caruana in seiner Muttersprache wie auch in perfektem Spanisch den
Slogan: "Wir feiern nicht die militärischen Einheiten und die
britischen Kräfte, die 1704 den Sieg errungen haben. Wir
feiern die 300-jährige Zugehörigkeit Gibraltars zu
Großbritannien und unsere Beziehung zum
Mutterland."
Am nächsten Tag standen Tausende
Bewohner Hand in Hand rings um den Felsen und stimmten das Lied
"Happy Birthday, dear Gibraltar" an. Gegen Mittag fand in
glühender Hitze ein Spektakel der Marine statt: Die Soldaten
führten die Pseudobefreiung eines Schiffes vor, das von
Terroristen geentert wurde. Spanische Politiker blieben dem
historischen Spektakel fern, sie sind nur am Benutzungsrecht von
Gibraltars Flughafen interessiert.
Gleichzeitig hat Spanien keine geringeren
Sorgen um seine Enklaven als Großbritannien. Marokko hat
nämlich verkündet, die Spuren von 400 angeblich in
Afghanistan ausgebildeten Terroristen verloren zu haben.
Gleichzeitig verbreitete die Wochenzeitung "La Razon" die
Nachricht, dass Al Qaida seine nächste Aktion in den
spanischen Enklaven Ceuta und Melilla plane. Die Patrouille an
diesen afrikanischen EU-Grenzen, wo man bis jetzt die illegale
Einwanderung von Marokkanern und Drogenschmugglern fürchtete,
bekam zusätzliches Personal aus Madrid.
Während man gegen die Schikanen der
spanischen Kontrolle an der Grenze zu Gibraltar beim Europarat
Einspruch erheben kann, ist eine ähnliche Instanz an der
afrikanischen Grenze zwischen Spanien und Marokko auf keiner Tafel
erwähnt. Dabei erinnert dieser Kontrollpunkt in vielem an
ehemalige Ostblockgrenzen, mit dem nicht unbedeutenden Unterschied,
dass hier "hilfsbereite" Marokkaner für ein paar Euro die
überlange Schlange austricksen und den obligatorischen
Einreisestempel bei den korrupten Grenzbeamten bevorzugt erhalten.
Trotz der eindeutigen Annäherungsversuche zwischen Rabat und
Madrid ist das spanisch-marokkanische Verhältnis nach wie vor
angespannt. Der britische Europaminister argumentierte kurz vor dem
Ausbruch des Gibraltarkonflikts ganz gezielt mit spanischen
Enklaven, die mehr als 500 Jahre Teile der spanischen Krone sind.
Rabat ist bereit, über das ständig hinausgezögerte
Referendum Verhandlungen aufzunehmen. Wenn Mohammed VI. in einer
Sache Entgegenkommen andeutet, benimmt er sich in der anderen
weniger kulant. Nach der Besatzung der unbewohnten, Spanien
zugehörigen Petersilieninseln vor zwei Jahren sind nun die
Insel Chafarinas und Alborán in der unmittelbaren Nähe
von Melilla an der Reihe. Es geht jedoch um mehr als
Hoheiutsrechte. Britische und australische Firmen haben den Auftrag
bekommen, dort nach Erdöl für Marokko zu
suchen.
Wenn man in der ersten marokkanischen Stadt
Nador vergeblich nach spanischen Zeitungen sucht, hat man den
Eindruck, dass sie auf Anweisung von oben fehlen. Die
Staatsräson - ob britisch, spanisch oder marokkanisch -
scheint überall die gleiche zu sein.
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