Peter Wilhelm
Für eine neue Gründerwelle
Zur Sache: Hubert Ulrich MdB (Bündnis
90/Die Grünen)
Als die Bundestagsfraktion von Bündnis
90/Die Grünen vor eineinhalb Jahren in Wörlitz tagte,
fand sie klare Worte für den Stellenwert des Mittelstandes in
ihrer Wirtschaftspolitik. Von einem "Partner" war da die Rede, der
das "Herz" im Leitbild der sozial-ökologischen Marktwirtschaft
darstelle. So wurde gerade kleinen und mittleren Unternehmen eine
hohe Flexibilität und Innovationsbereitschaft bescheinigt, mit
einem besonderen Potential für die ökologische
Modernisierung und mehr Beschäftigung.
Bis heute gilt, dass die so genannten kleinen
und mittleren Unternehmen (KMU) schätzungsweise 70 Prozent der
Arbeitsplätze und 80 Prozent der Ausbildungsplätze zur
Verfügung stellen, wie der Mittelstandsexperte der Fraktion,
Hubert Ulrich, hervorhebt. Daher komme diesem Bereich große
Bedeutung für eine funktionierende Wirtschaft zu. "Wir
brauchen eine kräftige Gründerwelle bei kleinen und
mittleren Betrieben", fordert der Abgeordnete, der innerhalb der
Grünen-Fraktion seit Anfang 2003 für die
finanzpolitischen Rahmenbedingungen des Mittelstandes spricht.
Ulrich greift mit dieser Forderung einen zentralen Punkt aus der
rot-grünen "Mittelstandsoffensive" auf, die der Bundestag im
Mai mit Koalitionsmehrheit beschlossen hat.
Doch Existenzgründer brauchen Geld - und
daran hapert es meist. So beklagte der Deutsche Industrie- und
Handelskammertag in seiner jüngsten Umfrage erneut, dass sich
die Rahmenbedingungen für kleine und mittlere Unternehmen bei
der Kreditvergabe weiter verschlechtert hätten. Zwar seien die
Leitzinsen in der Vergangenheit mehrfach gesunken, dafür
hätten viele Banken aber andere "Kreditparameter"
verschärft. Laut DIHK werden nun beispielsweise höhere
Anforderungen an die Sicherheiten oder an die Dokumentationspflicht
der Kreditnehmer gestellt.
Auch für Ulrich ist es ein zentrales
Anliegen der Fraktion, mittelständische Betriebe besser mit
Fremd- und Eigenkapital auszustatten. In diese Richtung zielt
bereits das Programm "Kapital für Arbeit". Die Koalition
stellt dabei kleinen und mittleren Unternehmen ein
Finanzierungspaket von maximal 100.000 Euro in Aussicht, wenn sie
einen Arbeitslosen oder von Arbeitslosigkeit Bedrohten mindestens
zwölf Monate einstellen.
Eine bessere Finanzförderung der KMU
versprechen sich die Grünen auch von der neu geschaffenen
Mittelstandsbank, einem Zusammenschluss von Deutscher
Ausgleichsbank und Kreditanstalt für Wiederaufbau. Bisher
getrennte Förderprogramme kommen nun aus einer Hand, was
Transparenz und Effektivität steigern soll.
Lange ging zudem die Sorge um, die
Kreditaussichten könnten sich auch noch durch internationale
Vorgaben verschlechtern. Hintergrund sind die neuen
"Basel-II-Richtlinien", die den Banken vorschreiben, ihre
Kreditvergabe künftig stärker an der individuellen
Bonität des Firmenkunden auszurichten, und damit
risikobedachter als bisher. Vor allem für Existenzgründer
und Kleinunternehmer hätte das eine zusätzliche
Hürde bedeutet. Laut Ulrich wurde die Regelung aber
dahingehend entschärft, dass Basel II nun erst ab einer
Kredithöhe von einer Million Euro greift. Allerdings seien
jetzt die Banken aufgefordert, diese Vereinbarung auch
umzusetzen.
Für Ulrich ist es dabei ganz wesentlich,
dass die Kreditvergabe weiterhin in einem funktionierenden
Wettbewerb der Banken abläuft. Das "Drei-Säulen-Modell
aus Privatbanken, Genossenschaftsbanken und Sparkassen darf nicht
wegbrechen", warnt er mit Blick auf Bestrebungen bei Privatbanken,
Sparkassen zu übernehmen. Denn es seien vor allem die
Sparkassen, die dem Mittelstand Geld zur Verfügung
stellten.
Doch was nutzt es den Betrieben, wenn sie
zwar Kredite erhalten, die Raten aber nicht rechtzeitig
zurückzahlen können, weil sie auf unbeglichenen
Rechnungen sitzen bleiben und so in die Liquiditätskrise
geraten? Mancher erinnert sich vielleicht noch in diesem
Zusammenhang an eine Protestaktion im Sommer 2000 vor dem
Brandenburger Tor in Berlin, als Handwerkerfrauen mit einem
mehrtägigen Hungerstreik auf solche Missstände bei der
Zahlungsmoral aufmerksam machten, durch die immer wieder Firmen
unverschuldet in die Pleite getrieben werden. Gerade die
öffentliche Hand müsse hier ihren Zahlungsverpflichtungen
pünktlich nachkommen, mahnt Ulrich.
Einen gewissen Spielraum hat den betroffenen
Betrieben schon die so genannte Ist-Besteuerung verschafft, eine
Sonderregelung, die der Bundestag erst kürzlich noch einmal
bis Ende 2006 verlängert hat. Sie erlaubt es Firmen, ihre
Umsatzsteuer lediglich entsprechend ihren tatsächlichen
Einnahmen zu berechnen. Das heißt beispielsweise für
mittelständische Handwerksbetriebe, dass sie nur für
bezahlte Rechnungen Steuern abführen müssen.
Es gelten aber Obergrenzen, und zwar von
125.000 Euro Jahresumsatz für Betriebe im Westen, und 500.000
Euro für solche im Osten. Für die Bundestagsfraktion
fordert Ulrich weiterhin, diese Marge auf einheitlich eine Million
Euro anzuheben. Er räumt aber ein, dass die Frage der
Finanzierung bisher unklar ist.
Daneben hat die Koalition unter dem Stichwort
"small business act" ein weiteres Paket zugunsten von Kleingewerbe
und Existenzgründern initiiert. Dahinter verbirgt sich ein
Modell zur vereinfachten Gewinnermittlung, das steuerliche
Entlastung und Bürokratieabbau miteinander verknüpft.
Unter anderem beginnt die Buchführungspflicht nun erst
für Firmen ab einem Jahresumsatz von 350.000 Euro; bisher lag
die Grenze dafür bei 260.000 Euro.
Im Kampf gegen überflüssige
Vorschriften hat sich die Koalition insgesamt 68 Projekte zum Ziel
gesetzt, die sie in einem "Masterplan Bürokratieabbau"
zusammengefasst hat. Neun davon seien bisher realisiert, sagt
Ulrich. Kernstück ist die Reform der Handwerksordnung, mit der
die Grünen zugleich eine zentrale wirtschaftspolitische
Forderung aus ihrem Wahlprogramm 2002 umgesetzt haben. So ist
inzwischen der Meisterbrief in rund 50 Prozent der Handwerksberufe
nicht mehr zwingend Vorbedingung für Selbständigkeit.
Dort, wo der Meisterzwang weiter besteht, können sich Gesellen
nach sechsjähriger Berufszeit unter bestimmten Voraussetzungen
selbständig machen.
Mehr Flexibilität
Ulrich wertet diese Reform als wichtigen
Schritt auf dem Weg zu mehr Flexibilisierung und
Existenzgründungen, wie er schon mit der Mini-Job-Regelung und
der Einführung der so genannten Ich-AG eingeschlagen wurde.
Allerdings hält er zusätzliche Maßnahmen im Rahmen
der Agenda 2010 für dringend geboten. Arbeit in Deutschland
sei wegen der Höhe der Sozialabgaben nach wie vor zu teuer,
beklagt er. Ziel müsse es sein, die Lohnnebenkosten weiter zu
senken, und zwar unter die Marke von 40 Prozent. Bei der
Steuerreform sei allerdings mit Einkommensteuersätzen zwischen
15 und 42 Prozent ab 2005 der Spielraum vorerst
ausgeschöpft.
Trotz aller Schwierigkeiten warnt Ulrich vor
unbegründetem Pessimismus und "Negativszenarien". So mag er
sich nicht der jüngsten Einschätzung der
Arbeitsgemeinschaft Mittelstand anschließen, wonach die
langsam anspringende Konjunktur an den KMU vorbeigehe, und für
das laufende Jahr bestenfalls eine Verlangsamung des
Abwärtstrends zu erwarten sei. Der Standort Deutschland
dürfe nicht kaputt geredet werden, und im internationalen
Vergleich stehe man nicht schlecht da; im europäischen
Wirtschaftsraum sehe er sogar "enorme Chancen". Für Ulrich ist
wirtschaftliche Entwicklung eben auch ein Stück weit
Psychologie, wie er betont.
Der Autor ist Nachrichtenredakteur in
Berlin.
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