Markus Lemmens
Qualifiziertes Personal solange wie möglich
halten
Mittelstand im Treibsand
Der Mittelstand ist nicht am Ende. Aber die Wende dauert viel
länger als gedacht. Im Reformsommer 2004 ist die Wetterkarte
der deutschen Wirtschaft uneinheitlich:
Während Großunternehmen wie Siemens und
DaimlerChrysler mit Stellenabbau und Jobverlagerung drohen, damit
für Tiefdruck-Stimmung sorgen, suchen mehrheitlich kleine- und
mittelständische Unternehmen (KMU) nach anderen Wegen. Ihre
Lage ist komplizierter, weil sie in weit höherem Maße an
Standorte gebunden sind und ihr Personal bis zum bitteren Ende
halten. Der Mittelstand ist - bei aller Unschärfe dieser
Kategorie - traditionell um ein gutes Klima zu seiner Belegschaft
bemüht. Deshalb ringen die KMU auch bei knapper Kasse um die
drei Ziele Qualifizierung, Motivation und Flexibilität der
Mitarbeiter. Der Ausweg Rauswurf ist keine wirkliche
KMU-Alternative.
Blickwechsel: In diesen Wochen befragen fast alle Industrie- und
Handelskammern (IHK) in Deut-schland ihre Mitgliedsfirmen. Was
bringt die Steuerreform? Gibt es Vorteile aus den
Strukturveränderungen des Arbeitsmarktes insgesamt? Die
Antworten der zumeist kleineren Handwerksbetriebe und
Dienstleistungsunternehmen lesen sich auf den Internetseiten der
IHK wenig euphorisch. Mehr als 50 Prozent glauben an keine
positiven Effekte. Konkret wünschen sich die KMU aber eine
Senkung der Lohnnebenkosten.
Finanzielle Entlastungen
Das sind die Aufwendungen, die einen Arbeitsplatz zwischen 30
und 40 Prozent pro Monat teurer machen, ohne dass der Arbeitnehmer
davon etwas erfährt. Eine Minderung dieser Summen
eröffnen Spielräume für weitere Einstellungen,
schaffen Garantien für bestehende Arbeitsplätze und
ermöglichen zusätzliche Investitionen in den Betrieben -
so lauten die Stellungnahmen der Unternehmen.
Diese Punkte deuten an, was geschehen muss. KMU brauchen
finanzielle Entlastungen, um ihre Ressource Nummer eins - das
Personal - zu stärken. Politiker, Experten des Arbeitsmarktes
und Wissen-schaftler beklagen seit Jahren nicht den Mangel an neuen
Ideen für raffinierte Produkte und clevere Dienstleistungen in
Deutschland. Vielmehr prangern sie strukturelle Hemmnisse an, die
eine Umsetzung neuer Ideen in Angebote, für die Konsumenten
auch Geld ausgeben, behindern. Aus mittelständischer Sicht
stimmt daran manches. Richtig ist aber etwas anderes: Den Faktor
Mensch ins Zentrum der Innovationen stellen.
Ist die Belegschaft gut ausgebildet, durch Weiterbildung
motiviert und in einem flexiblen Umfeld tätig, das auch einmal
Sondersituationen wie zum Beispiel einer zeitlich begrenzten
familiären Belastung standhält, dann wird das Tor zur
Innovation weit aufgestoßen. Davon ist auch der Präsident
des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Michael Rogowski,
überzeugt. Auf die Frage, wie er sich Deutschland im Jahr 2014
vorstelle, zeichnete er kürzlich sein Szenario vom engagierten
und ideenreichen Mitarbeiter: "Wir haben dann lauter kleine
Unternehmer in unseren Unternehmen. Wer den Menschen in den
Betrieben mehr Freiheit gibt, löst einen unglaublichen
Motivationsschub aus." Mit dieser Beweglichkeit, so Rogowski
weiter, der selbst Unternehmer ist, seien neue Produkte und
Dienstleistungen dann wirklich möglich.
Für den Mittelstand gilt trotz wirtschaftlichem Gegenwind
im Jahr 2004 die Devise: Halten der Mannschaft und mit den Themen
Weiterqualifikation, Flexibilität bei Jahresarbeitszeiten und
moderaten Gehaltserwartungen durchkommen. Denn viele kleinere
Unternehmen fühlen sich wie im Treibsand: Hektische Aktionen
ziehen das Opfer nur in die Tiefe, keine Regung dagegen verlangsamt
nur den Abwärtssog. Also liegt das KMU-Rezept in der Mitte,
wie beim Verhalten im Treibsand. Markus Lemmens
Der Autor ist Inhaber der Lemmens Verlags- &
Mediengesellschaft mbH Bonn/Berlin/London.
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