Christof Markus
Das Handwerk macht für die Ausbildung
mobil
Last-Minute-Lehrverträge auch 2004 -
einjähriger Praxistest
Unter dem Motto "Handwerk pa@kt an" hat der Zentralverband des
Deutschen Handwerks (ZDH) zusammen mit den 54 Handwerkskammern eine
Aktion gestartet, um in den kommenden Wochen und Monaten den jungen
Menschen möglichst viele zusätzliche
Ausbildungsplätze anzubieten. Das ist eine Folge des
Ausbildungspaktes von Bundesregierung und Wirtschaft, um die
ansonsten drohende Ausbildungsplatzabgabe zu verhindern.
ZDH-Präsident Dieter Philipp: "Staat und Politik stecken in
einer tiefen Vertrauenskrise. Menschen, die ihren Job verloren
haben, die um ihren Arbeitsplatz und ihre soziale Sicherheit
fürchten, sie tragen ihre Ängste und Sorgen auf die
Straße. Das gilt auch für Jugendliche, die um einen
Ausbildungsplatz zittern und nicht an den Erfolg des
Ausbildungsplatzpaktes glauben. Gerade Jugendliche setzen auch
gerne die Wirtschaft auf die Anklagebank, wenn es um fehlende
Lehrstellen geht."
Traumberuf - aber nicht für alle
Doch der ZDH macht folgende Rechnung auf: Fünf Jahre
Rezession des Binnenmarktes haben für den heimischen
Mittelstand verheerende Folgen und sind der größte
Ausbildungsplatzvernichter. Wenn 2004 im Handwerk mit seiner hohen
Ausbildungsquote von rund zehn Prozent bis zu 150.000 Stellen
wegbrechen sollten, dann brechen rein statistisch auch bis zu
15.000 Ausbildungsplätze weg. Philipp hat sich das Ziel
gesetzt, mehr Lehrstellen einzuwerben, als durch die Konjunktur
wegbrechen: "Wir zählen darauf, dass genügend Betriebe in
die Bresche springen und erstmals ausbilden oder weitere Lehrlinge
einstellen."
Auch das Handwerk kann nicht allen Schulabgängern eine
Lehrstelle im jeweiligen Traumberuf garantieren. Allerdings will
der ZDH trotz fortdauernder Rezession am Binnenmarkt und aufgrund
der demografischen Entwicklung einer steigenden Zahl von
Lehrstellenbewerbern jedem Jugendlichen eine berufliche Perspektive
geben. Deswegen wird für alle diejenigen, die zum Stichtag 30.
September noch keinen Ausbildungsplatz gefunden haben, eine
Nachvermittlung stattfinden.
Das bedeutet für die noch nicht mit einer Lehrstelle
versorgten Schulabgänger: Jeder wird angeschrieben. Allerdings
war man im vergangenen Jahr bei der Nachvermittlung ziemlich
enttäuscht. In einigen Kammerbezirken kam nicht einmal die
Hälfte der angeschriebenen Bewerber zu einem Gespräch.
Viele Ausbildungsplätze konnten deshalb nicht besetzt werden.
Eine Tatsache, die im politischen Streit um das Lehrstellenangebot
der Wirtschaft oft übersehen wird.
Bei der Nachvermittlungsaktion nach dem 30. September
erhält jeder Bewerber ein Angebot, so der ZDH-Präsident.
Dafür wird es erstmals verpflichtend einen so genannten
Kompetenz-Check gaben. Dieser soll dabei helfen, die Jugendlichen
nach ihrer Vorbildung und ihren Neigungen auf die
"Last-Minute-Lehrstellen" zu vermitteln. Die Chancen auf einen
Vertrag sind gut. Allein im Handwerk wurden im vergangenen Jahr
rund 6.000 Lehrverträge erst zwischen Oktober und Dezember
abgeschlossen.
Für Jugendliche, die nicht ausreichend qualifiziert sind
oder keine Lehrstelle gefunden haben, werden in diesem Jahr
erstmals so genannte Einstiegsqualifikationen angeboten. Die
Schulabgänger haben hier die Chance, einen Beruf ihrer Wahl
dem Praxistest zu unterziehen. Die Betriebe haben im Gegenzug die
Chance, Interessenten über eine Zeit von bis zu einem Jahr zu
testen. Den Jugendlichen werden während ihrer Zeit im Betrieb
Grundfertigkeiten im Beruf vermittelt, wie sie auch in der
Ausbildungsverordnung vorgesehen sind.
Bausteine zur Einstiegsqualifizierung wurden bereits für
neun beliebte Berufe geschaffen - vom Friseur über den
Tischler bis zum Anlagenmechaniker. Weitere sind in Vorbereitung.
Der späte Abschluss des Ausbildungspaktes hat dazu
geführt, dass die gesetzlichen Rahmenbedingungen erst
spät geregelt werden konnten. Die finanzielle Förderung
der Einstiegsqualifizierung durch den Bund sollte für die
Handwerksbetriebe ein zusätzlicher Anreiz sein, dieses neue,
im Ausbildungspakt vereinbarte Instrument anzunehmen.
ZDH-Präsident Philipp: "Selbst für Bewerber, die
letztlich keine Lehrstelle antreten, hat sich die Zeit gelohnt: Sie
haben Qualifikationen erworben, die ihnen auf dem Arbeitsmarkt eine
bessere Vermittlungschance geben."
Um dem mit der Bundesregierung geschlossenen Ausbildungspakt zum
Erfolg zu verhelfen, wurden in den vergangenen Wochen in den 54
Handwerkskammern 466 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
zusätzlich mit der Werbung und Vermittlung von Lehrstellen
betraut, dazu noch 20 Mitarbeiter eigens eingestellt. Darüber
hinaus engagieren sich 3.500 Ehrenamtliche und zahllose Meister
für die jungen Menschen. Allein in den ersten sieben Monaten
des Jahres 2004 ergaben sich für die Werbung von Lehrstellen
262.000 Betriebskontakte, 32.570 persönliche Ansprachen und
45.000 Telefonkontakte.
Ein beneidetes System
Zugleich beharrt der ZDH in der gegenwärtigen
Föderalismusdebatte auf einer bundeseinheitlichen Regelung der
außerschulischen beruflichen Bildung. Der ZDH-Präsident:
"Deutschland wird von der Welt für sein erfolgreiches duales
System beneidet, das die berufliche Bildung weitgehend in die
Verantwortung der Wirtschaft selbst legt. Eine Verlagerung der
Gesetzgebungskompetenz auf die Bundesländer würde das
Berufsbildungssystem zersplittern, unterschiedliche
Ausbildungsniveaus hervorbringen und so schlimmstenfalls auf eine
Einschränkung der beruflichen Mobilität hinauslaufen. Wir
können es uns nicht leisten, dass sich eine Zersplitterung des
Systems der beruflichen Bildung zu einem Nachteil für den
Standort Deutschland entwickelt - durch sinkende
Leistungsfähigkeit und möglicherweise gar fehlende
Europatauglichkeit."
Ein Wegfall der Kompetenz der Wirtschaft würde aus der
Sicht des ZDH zudem fatale Folgen für den Praxisbezug der
Ausbildung, für die Mitwirkung der Unternehmen und das
Engagement des Ehrenamtes in den Kammerorganisationen haben. Im
Blick auf ausländische Jugendliche stellt der ZDH fest: Das
Handwerk macht keine Unterschiede. Ausländische Jugendliche
sind ganz normale Jugendliche wie deutsche auch. Deshalb gibt es
für sie keine Sonderregelungen. Das sei der beste Beitrag zur
Integration, den man leisten könne. Christof Markus
Der Autor ist freier Journalist in Berlin.
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