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Kristin Kupfer
Pekings Sieg auf Zeit und die hausgemachte
Niederlage der Demokraten
Die Wahl zum Parlament von Hongkong lässt
die künftige Entwicklung der Sonderverwaltungszone im
Ungefähren
Der von manchen erwartete Triumph bei den Wahlen zum Hongkonger
Parlament ist für das pro-demokratische Lager ausgeblieben.
Die Peking-nahen Parteien haben 35 der 60 Sitze errungen. Die
Forderung der Bevölkerung nach mehr politischer Mitbestimmung
bleibt. Diese will die chinesische Regierung nicht gewähren,
sie muss in ihrer Sonderverwaltungszone weiter mit Konflikten
rechnen.
Das Ergebnis wurde schnell zur Nebensache. Das Wahlsystem und
-management bot allen Beteiligten den Aufhänger für
Erklärungen und Analysen. Als die "demokratischste Wahl in der
Geschichte Hongkongs" bezeichnete die amtliche Nachrichtenagentur
Xinhua die dritten Wahlen zur Legislativversammlung (Legislative
Council, kurz LegCo) nach Hongkongs Übergabe. In der Tat wurde
nie zuvor die Hälfte der Parlamentarier direkt vom Volk
gewählt. Bei den Wahlen unter britischer Herrschaft kam die
Bevölkerung erst 1991 zum Zug und durfte für 18 von 60
Sitzen votieren. Nach 1997 erhöhte sich die Zahl auf zuletzt
24 Volksvertreter. Dennoch ist auch das jetzige Wahlsystem nur
zweifelhaft-demokratisch.
Neben 30 direkt gewählten Sitzen wird die andere
Hälfte von so genannten funktionalen Wahlkreisen
überwiegend nach einfacher Mehrheit bestimmt. Diese Wahlkreise
bestehen aus einer sehr kleinen Zahl an Vertretern von
Berufsgruppen und Verbänden, die unter dem Einfluss der
Pekinger Regierung stehen.
Zum Verlierer dieses Wahlmodus wurde das pro-demokratische
Lager: obwohl es rund die Hälfte der Stimmen erlangte und
zudem die beiden Wahlkreise mit den mitgliederstärksten
Berufsgruppen gewann, konnten seine Parteien nur insgesamt sieben
Sitze erringen. Auch die von Peking bereits kurz vor der
Übergabe initiierte Modus-Änderung für die 30 direkt
von der Bevölkerung gewählten Sitze betrachtet das
pro-demokratische Lager als Benachteilung: in fünf großen
Kreisen werden jeweils vier bis acht Sitze an offene Listen
über das Verhältniswahlrecht vergeben. Vor der
Änderung galt - wie bei den funktionalen Wahlkreisen noch
aktuell - die einfache Mehrheit. 1995 gewannen die Demokraten fast
alle Sitze, dieses Mal mussten sie sich mit 18 begnügen. Auch
nach Hongkongs Verhältniswahlrecht reicht die Erfüllung
einer berechneten Quote, das heißt Stimmenzahl zum Sitzgewinn.
Deshalb lohnt es sich, Stimmen auf verbündete Kandidaten
aufzuteilen, strategische Absprachen und Kooperation sind wichtig.
Auch daran scheiterten die Vertreter der demokratischen Parteien.
Das kostete sie mindestens zwei Sitze sowie zukünftige
Allianzen. Martin Lee, Gründungsvater der Demokratiebewegung
in Hongkong und Kandidat der Demokratischen Partei, sowie Leung
Kwok-hung, ein populärer und unorthodoxer Aktivist, wegen
seiner Frisur auch "Long Hair" genannt, zogen so viele, für
sie de facto überschüssige Stimmen auf sich, sodass zwei
andere Kandidaten aus ihrem Lager knapp gegen Pro-Beijing-Leute
verloren. "Das war ein egoistischer und dummer Fehler, der viele
Freundschaften kosten wird", so Christine Loh, frühere
LegCo-Abgeordnete und Chefin des Think Tanks Civic Exchange.
Mangelnde Kooperation ist bezeichnend für das demokratische
Lager in Hongkong - außer der gemeinsamen Forderung nach mehr
Demokratie vertreten die Parteien und Aktivisten bezüglich des
Grades von politischen Reformen sowie bei sozialen und
wirtschaftlichen Themen oft unterschiedliche Standpunkte. Jedoch
scheint die Überzeugungskraft der bindenden Formel "mehr
Demokratie" nachzulassen: zwar werten manche Beobachter die
große Unterstützung für Lee und Leung als Sieg und
Forderung nach "radikaler Demokratie". Bei einer Wahlbeteiligung
von 55,6 Prozent haben immerhin 60 Prozent das demokratische Lager
gewählt. In Hongkong ist rund die Hälfte der 6,8
Millionen Einwohner wahlberechtigt.
Die Wahl von unabhängigen Aktivisten wie Leung deutet auf
eine wachsende Frustration über die etablierten Politiker hin
- Demokraten eingeschlossen. Unter den faulen Äpfeln den
besten auswählen, so beschreibt der 21-jährige Student
John Siu seine Entscheidung im Wahlkreis Kowloon East. Für
andere Wähler ist Demokratie zwar wichtig, aber
Stabilität ebenso, manche fürchten eine
Auseinandersetzung mit der Zentralregierung in Peking. "Das
demokratische Lager muss auch eine Plattform für soziale und
wirtschaftliche Belange werden", so Loh, "es muss die Leute von
ihrer Regierungsfähigkeit überzeugen".
Für diesen Mangel sind die Parteien allerdings nicht allein
verantwortlich. Im Vorfeld der Wahl verdichteten sich Anzeichen
für eine massive Einflussnahme Pekings hinter den Kulissen.
Zunächst erschütterte eine Reihe von Skandalen das
demokratische Lager: James To musste sich gegen offensichtlich
fingierte Korruptionsvorwürfe wehren, und Alex Ho wurde wegen
angeblichen Umgangs mit einer Prostituierten in der Stadt Dongguan
verhaftet und ohne Gerichtsverfahren zu sechs Monaten "Umerziehung"
verurteilt. Wähler berichteten, sie hätten den Auftrag
erhalten, ihre Stimmzettel zu fotografieren; nur wenn sie
Pro-Peking wählen, würde ihnen und ihren Verwandten
nichts passieren. Die Organisation Human Rights Watch sprach von
einer "giftigen politischen Atmosphäre" und "den
besorgniserregendsten Menschrechtsverletzungen seit 1997". Die
chinesische Regierung startete eine "Charmeoffensive": neben
wirtschaftlichen Anreizen, unter anderem mehr Flüge ins
Festland, mehr Touristen nach Hongkong und zollfreie Einfuhr
für eine Reihe von Hongkonger Produkten, ließ sie zwei
ihrer Goldmedaillengewinner durch Hongkong fahren - wie der erste
Taikonaut Yang Liwei sollten sie patriotische Sympathien
wecken.
Mit dem Ergebnis kann die chinesische Regierung zufrieden sein.
Die Wahlgewinne der demokratischen Parteien halten sich in Grenzen,
als Opposition kann sie Verwaltungschef Chef Tung Chee-wa das Leben
schwer machen, aber keine Gesetze blockieren. Die Exekutive
dominiert das politische Systems: der Chief Executive kann das
LegCo auflösen, das zudem kein Recht auf Gesetzesinitiativen
besitzt. Dennoch besteht kein Anlass zur Entspannung. Mit dem
Bedürfnis nach mehr politischer Mitbestimmung bleiben sowohl
der Regierungschef als auch Peking konfrontiert. Die massiven
Proteste im Sommer 2003 gegen eine von der Volksrepublik
oktroyierte Sicherheitsgesetzgebung haben gezeigt, dass die
Hongkonger zum Kampf um demokratische Rechte bereit sind. Das
Gesetz wurde vertagt, aber nicht aufgehoben. Die Unzufriedenheit
richtete sich hauptsächlich gegen Tungs Regierung, eine
Position, die Peking teilt, wird er doch für das Debakel um
die verpatzte Implementation des Artikels 23 und die generelle
Missstimmung in der Bevölkerung verantwortlich gemacht. Zwar
mag Peking mit der Abberufung des Chief Executive Sympathien der
Hongkonger gewinnen. Jedoch wäre dies das Eingeständnis
einer Fehlbesetzung und würde eine neue Debatte um den
Wahlmodus des Verwaltungschefs und auch des LegCos lostreten.
Peking könnte die Schwäche der demokratischen
Kräfte nutzen, um durch Zuckerbrot und Peitsche die Hongkonger
weiter auf Stabilität und Wirtschaftswachstum
einzuschwören. Die Gefahr, dass dies wie im Sommer 2003 nach
hinten losgeht, bleibt. Das angeschlagene demokratische Lager zu
spalten, um mit den moderaten Kräften und Pro-Peking-Parteien
minimale politische Reformen auszuarbeiten, ist für die
chinesische Führungsriege ebenfalls gefährlich, auch
wegen der Signalwirkung für die eigene Bevölkerung.
Vielleicht wird die Führung einfach abwarten, ihre
Einflusskanäle nutzen und insbesondere in krisenhaften Zeiten
ausgefeilte Kontrollmaßnahmen anwenden, um direkte und
wohlmöglich gewalttätige Einmischung zu vermeiden.
Hongkong ist nicht ihr größtes Problem: Die Frage um den
Taiwan-Status schwelt, die Lösung kann nicht ewig warten.
Kristin Kupfer
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