Detlef Hamer
Überleben in einem öden Alltag
Kritische Notate eines NVA-Rekruten
Der in Berlin lebende Autor Johannes Jansen (Jahrgang 1966) ist
unter Insidern als Verfasser eigenwilliger, sehr verinnerlichter
Kurzprosa bekannt und geschätzt. In der renommierten Reihe
"edition suhrkamp" sind seit 1992 mehrere Titel von ihm erschienen,
so die Aufzeichnungen "Reisswolf" und die Erzählung
"Verfeinerung der Einzelheiten". Der Verlag setzt die Folge jetzt
mit dem Band "Halbschlaf" fort.
Hier geht es um Texte und bildnerische Arbeiten, die der
gelernte Graveur - nicht selten als Entsprechungen zum
Geschriebenen - zwischen 1985 und 1987 geschaffen hat. Es sind
sorgsam verwahrte tagebuchartige Materialien aus der Rekrutenzeit
des "Jot Jot" - wie sich Johannes Jansen selbst bezeichnet - bei
der Nationalen Volksarmee der DDR. Dabei handelt es sich um ein
Konvolut von zwei faksimilierten Skizzenbüchern, zahlreichen
Einzelblättern und um einem aufschlussreichen Textband.
Insgesamt ist es eine bemerkenswerte Publikation, die aus der
Distanz der Zeit zu Recht den Rang einer poetischen Dokumentation
für sich beanspruchen kann: Immerfort beschäftigt ihn -
das ausschließlich auf sich selbst bezogene Individuum - sein
Verhältnis zur starren und sich doch hier und da wandelnden
Welt, zu einem Umfeld, das früher wie heute eher Frust als
Lust verheißt.
Dabei klingt der Titel "Liebling, mach Lack!" - Slogan aus der
Soldatensprache, der sich als Aufforderung zu schnellerem Tun
versteht - kontrapunktisch fröhlich-flott zu dem, was dem
Betrachter und Leser in den Zeichnungen und Aufzeichnungen entgegen
quillt. Die Blätter markieren auf sehr drastische Weise das
sinnentleerte Soldatendasein und die Sehnsucht nach freier
persönlicher Entfaltung. Sie lassen die Eingrenzung und
Einengung spüren, den geringen Freiraum, der in der
kärglichen Freizeit bleibt und der oft genug mit anderen
geteilt werden muss.
Paradoxe Situationen hinsichtlich der unentwegt staatlich
postulierten Maxime, die da "Friedensliebe" heißt, werden mit
Feder und Pinsel geschildert, gelegentlich absichtsvoll plakativ,
manchmal in Comic-Manier und oft mit dem Mittel der Collage - in
die bisweilen auch Fotos, darunter eigene Porträts, einbezogen
sind.
Bevorzugte kalligraphische Elemente, Zeilen voller Versalien,
ein selbst erfundenes System von Worttrennungen und
handschriftliche Passagen sowie gern genutztes Transparentpapier
verleihen den Darstellungen eine besondere Note. Von Zimperlichkeit
keine Spur, die Drastik wird zum Ventil, Aggression und Frust
abzubauen. So illustriert Johannes Jansen den "Aufschrei eines
arretierten Strichgenossen nach zehn Monaten Innenleben"; die
sexuelle Bedrängnis führt des Öfteren zum Thema des
(homosexuellen) "Soldatenficks".
Leisere und dennoch beherzte Töne schlägt der damals
19-jährige Literat in seinen frühen poetischen Versuchen
an. Da finden sich Prosazeilen und Verse voller Sensibilität,
zudem originelle Wortspiele und entlarvende Stabreime, die in ihrer
Summe die widerwärtige, da aufgezwungene Einsamkeit, aber auch
Träume und Alpträume reflektieren. Gleichwohl hat der
Verfasser seine ganz und gar privaten Notizen niemals als bewussten
Akt des Widerstands gegen das DDR-Regime begriffen. In ihnen tritt
vielmehr eine pazifistische Grundgesinnung zutage, die sowohl in
der Bildkunst als auch in der Literatur auf eine lange Tradition
zurückblickt.
Trotzdem vermitteln sie auf höchst verdichtete Weise einen
Einblick in den Alltag der ostdeutschen Armee, insbesondere in die
Befindlichkeit und Betroffenheit solcher untersten
Befehlsempfänger, deren Gefühle und Gedanken sich nicht
verbiegen ließen. Auf ganz andere Art als der Berliner
Grafiker Manfred Butzmann (Jahrgang 1942), der seine Erlebnisse und
Beobachtungen als ungedienter NVA-Reservist bereits in den
70er-Jahren schonungslos in Zeichnungen und Radierungen festhielt
(und sogar ausstellen durfte, weil ihre Brisanz "offiziell" nicht
erkannt worden ist), leistet Jansen einen ganz eigenen Beitrag zur
Bewältigung einer Vergangenheit, die zu verdrängen es
keinerlei Anlass gibt.
Es ist eine sehr persönliche Dokumentation, der neben der
poetischen eine politische Dimension innewohnt. Bereichert wird die
Publikation durch ein vorangestelltes Gespräch mit dem Autor
und durch ein analysierendes Nachwort von Roland Berbig.
Detlef Hamer
Johannes Jansen
Liebling, mach Lack! Die Aufzeichnungen des Soldaten Jot Jot.
Faksimiles.
Kooksbooks, Idstein 2004; Textbuch (96 Seiten) und zwei
unpaginierte Skizzenblöcke im Schuber. 44,- Euro
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