Willi Ph. Knecht
Rückblick auf den DDR-Fußball
Am Beispiel von Bernd Stange
Auf den ersten Blick ist kaum erkennbar, was außer Ostalgie
ein 390-seitiges Buch über einen Fußballtrainer
rechtfertigt, dem rühmenswerte Erfolge bei großen
internationalen Wettbewerben versagt blieben. Bernd Stange,
Jahrgang 1948, wird von Heiko Mallwitz als "Trainer zwischen den
Welten" porträtiert. Von kurzen Gastspielen in der Bundesliga,
in Australien, der Ukraine und im Oman abgesehen, gelten als
"Welten" seine Trainertätigkeit in der DDR und im Irak.
In der DDR wirkte Stange von 1981 bis 1988 als Trainer der
Nationalmannschaft, die unter ihm 37 Länderspiele mit 22
Siegen, sieben Unentschieden und acht Niederlagen austrug. Für
die Teilnahme an Europa- oder Weltmeisterschaften konnte sich die
DDR-Auswahl in dieser Zeit nicht qualifizieren. Dagegen errang die
parallel von 1982 bis 1984 von Stange trainierte Olympia-Auswahl
die Startberechtigung bei den Olympischen Spielen 1984 in Los
Angeles, die dann von der DDR wie von der Mehrzahl der
sozialistischen Länder boykottiert wurden.
Gunst und Neid
Mit bemerkenswerter Objektivität beschreibt Mallwitz die
Bandbreite Stanges. DFB-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder lobt
"Engagement und Herzblut", mit denen Stange seit November 2002
seine schwierige Aufgabe als Nationaltrainer des Irak zu meistern
versuchte. Dagegen nannte Jörg Berger, der 1979 aus der DDR
geflohene Kollege, Stange "nur karrieregeil": Offenbar seinem
Aufstieg zuliebe hatte er im November 1973 eine
Verpflichtungserklärung als Inoffizieller Mitarbeiter der
Stasi unter dem Decknamen "Kurt Wegner" unterschrieben und danach
Berichte verfasst. Wichtige Feststellungen des Autors werden durch
den Abdruck entsprechender Dokumente belegt.
Die Qualität des Buches erschöpft sich aber nicht in
der biografischen Beschreibung Stanges, sondern bietet vor allem
ebenso informative wie fesselnde Darstellungen seines politischen
und gesellschaftlichen Umfelds. Die Einblicke in Methoden der
politischen Gängelung des DDR-Fußballs durch die
Staatsmacht präzisieren und erweitern sogar bisher bekannte
Sachverhalte. Dies trifft auch auf die anfänglich von
deutschen Medien heftig kritisierte Trainertätigkeit im Irak
zu, für die Stange am 15. Dezember 2003 mit einem
FIFA-Ehrenpreis ausgezeichnet wurde.
Stange wurde 1988 nach dem verlorenen
Weltmeisterschafts-Qualifikationsspiel gegen die Türkei auf
Geheiß des zuständigen ZK-Sekretärs Egon Krenz
entlassen. 2004 qualifizierte sich im Gegensatz zur DFB-Auswahl die
von ihm trainierte Nationalmannschaft des Irak für die
Teilnahme an den Olympischen Spielen in Athen. Stange trat
allerdings nicht mit ihr die Reise nach Athen an. Bereits am 8.
April verließ er auf Drängen des Auswärtigen Amtes
wegen der angespannten Sicherheitslage den Irak. Anfang Juli
annullierte deshalb der Irakische Fußball-Verband den Vertrag
mit seinem Trainer.
Im Vergleich zur Stange-Biografie bietet das Buch
"Fußball-Land DDR" nur biedere Lesekost. Der Wirklichkeit wird
der Untertitel "Anstoß, Abpfiff, Aus" weit gerechter als die
Einschätzung, die DDR sei ein Fußball-Land gewesen.
Abgesehen von Stasi-Chef Mielke teilten die meisten
Parteigewaltigen die Beurteilung durch den Präsidenten des
Deutschen Turn- und Sportbundes, Manfred Ewald, Fußball sei
sportpolitisch uninteressant, weil mit ihm im Gegensatz zu den
medaillenintensiven Sportarten bei Olympischen Spielen nur eine
einzige Medaille zu gewinnen sei.
Tatsächlich feierte der Deutsche Fußball-Verband der
DDR von seiner internationalen Anerkennung 1952 bis zu seiner
Auflösung nur drei erinnerungswerte Höhepunkte: 1974
Gewinn des Europapokals der Pokalsieger durch den 1. FC Magdeburg,
im gleichen Jahr der 1:0-Sieg in der Weltmeisterschaftsvorrunde
über die Mannschaft der Bundesrepublik und 1976 die
Goldmedaille beim olympischen Fußballturnier in Montreal.
Unter der Herausgeberschaft von Frank Willmann liefern 20
Autoren Situationsbeschreibungen ohne viel Neuigkeitswert.
Attraktive Blickfänger wie das Schreiben des für Sport
zuständigen Politbüromitglieds Paul Verner an Erich
Honecker zwecks Entlassung des Cheftrainers Georg Buschner sind
selten. Ansonsten Altbekanntes: Die Diskrepanz zwischen der
Fußballbegeisterung der Bevölkerung und der
sportpolitischen Bewertung durch die Politoberen. Willi Ph.
Knecht
Heiko Mallwitz
Trainer zwischen den Welten - Bernd Stange.
Anderbeck Verlag, Anderbeck 2004; 349 S., 19, 80 Euro
Frank Willmann (Hrsg.)
Fußball-Land DDR. Anstoß, Abpfiff, Aus.
Eulenspiegel Verlag, Berlin 2004; 182 S., 14,90 Euro
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