Eckhard Stengel
Der "beliebteste Sozialdemokrat in der Republik"
geht nicht von Bord
Bremen: Nach dem Rücktritt von
Wirtschaftssenator Perschau bleibt der Hansestadt
Bürgermeister Scherf länger als angekündigt
erhalten
In Bremen fiel das Sommerloch für Journalisten dieses Jahr
aus. Erst erklärte Wirtschaftssenator Hartmut Perschau (CDU)
völlig überraschend seinen Rücktritt und löste
damit eine zähe Nachfolger-Suche aus. Dann verkündete
Bürgermeister Henning Scherf (SPD), dass er doch noch nicht in
den Ruhestand treten wolle, obwohl er das mehrfach angekündigt
hatte.
Die großen Ferien hatten gerade begonnen, als der Senator
für Wirtschaft und Kultur seinen Abgang mitteilte: "Leider
werde ich in Zukunft aus gesundheitlichen Gründen erheblich
kürzer treten müssen", schrieb Perschau dem "sehr
geehrten, lieben Herrn Dr. Scherf". Deshalb habe er "auf den
dringenden Rat meiner Familie hin" entschieden, den Senat zu
verlassen und nur sein ruhendes Bürgerschaftsmandat wieder
aufleben zu lassen. Eine Krebserkrankung hatte die Stimmbänder
des 62-Jährigen so angegriffen, dass er nicht länger in
vorderster Reihe als Senator und stellvertretender Regierungschef
agieren mochte.
Für Perschau ein tiefer Einschnitt nach einer wechselvollen
Karriere: Der gebürtige Danziger diente zunächst als
Berufsoffizier, bis er 1974 in die Hamburgische Bürgerschaft
einzog. Bei drei Wahlen misslang dem CDU-Fraktionschef die
Regierungsübernahme. Nach einem Zwischenspiel im
Europaparlament durfte er doch noch einen Ministereid ablegen: von
1991 bis 1993 für das Innenressort von Sachsen-Anhalt. 1995
wechselte der Wahl-Hamburger in die Konkurrenz-Hansestadt Bremen
und übernahm in der großen Koalition zunächst das
Wirtschaftsressort, später die Finanzen und 2003 wieder die
Wirtschaft. Obwohl der Adenauer-Anhänger neben manchen
Erfolgen auch das Scheitern des überdimensionierten Einkaufs-
und Erlebniszentrums "Space Park" mit zu verantworten hat, lobten
jetzt sogar die Grünen seinen "Einsatz für Bremen". Bei
allen politischen Kontroversen habe die Opposition ihn "als
Menschen schätzen gelernt".
Vielleicht würde auch der 65-jährige Scherf solche
warmen Worte zu seinem Abschied hören - aber er will einfach
nicht gehen. Zweimal schon hatte er seinen Rückzug
angekündigt, weil er nicht "irgendwann am Schreibtisch
umfallen" möchte. Erst wollte er vor der
Bürgerschaftswahl 2003 weichen, dann vertagte er den Abgang
auf etwa 2005. Aber auch das ist jetzt Schnee von gestern. Auf
einer Segeltour durchs Polarmeer überraschte er seine
Parteifreunde mit einem Telefoninterview: Er denke übers
Weitermachen nach, denn er wolle sich nicht "zu einem schwierigen,
komplizierten Zeitpunkt vom Hofe stehlen".
Dass er den neuerlichen Rücktritt vom Rücktritt nicht
zunächst mit seinen Genossen beraten hatte, vergrätzte
viele von ihnen. Gleich nach der Rückkehr aus dem ewigen Eis
musste sich Scherf einer schnell einberufenen Landesparteikonferenz
stellen. Nach zweieinviertel Stunden hinter verschlossenen
Türen trat er gut gelaunt vor die Presse: "Ich bin nicht
durchgeschwitzt." SPD-Landesparteichef Carsten Sieling berichtete
hinterher, Scherfs Bereitschaft zum Weitermachen sei von den
Mitgliedern "breit getragen" worden. Der Grund liegt auf der Hand:
Außer dem leutseligen Landesvater ist niemand in Sicht, der
der SPD wieder einen Wahlsieg garantieren könnte.
Eines gab die Partei ihm aber mit auf den Weg: Wenn der
Zwei-Meter-Mann nun wieder als Spitzenkandidat 2007 antritt, muss
er auf eine Koalitionsaussage zu Gunsten der CDU verzichten. Denn
eine vierte Amtszeit des seit 1995 regierenden
Elefantenbündnisses wäre vielen Sozialdemokraten suspekt.
Nach der Wahl will Parteichef Sieling durch eine
SPD-Mitgliederbefragung klären lassen, mit wem Scherf
Koalitionsgespräche aufnehmen soll. Keine neue Situation:
Schon 1995 war er durch eine solche Umfrage dazu verdonnert worden,
sich mit der CDU zusammenzutun, obwohl er damals noch
Rot-Grün-Anhänger war.
Was Scherfs "derzeit gültiges Haltbarkeitsdatum" sei,
wollte ein Journalist nach der Parteiversammlung wissen. "2011",
lachte Sieling. Ernsthaft wünscht sich der Parteichef einen
Rücktritt etwa im Jahr 2008. Scherf selber will sich mal
wieder nicht festlegen: "Ich muss einen guten Zeitpunkt finden."
Warum bleibt der 65-Jährige überhaupt im Amt, statt
lieber häufiger seine Enkel zu knuddeln? Weil die Lage
Bremens, Deutschlands und der SPD derzeit "dramatisch" sei, sagt
Scherf. "Ich bin, glaube ich, der beliebteste Sozialdemokrat in der
Bundesrepublik"; da könne er sich doch nicht einfach nach
Mallorca zurückziehen. Den letzten Ausschlag habe der
Rücktritt Perschaus gegeben. Jetzt sieht sich der
Hinterbliebene umso mehr gefordert, "den Laden zusammenzuhalten".
Ganz so selbstlos sind Scherfs Motive nicht. Kenner sehen vor allem
einen persönlichen Grund fürs Weitermachen: Das
dienstälteste Mitglied einer deutschen Landesregierung kann
schwer loslassen. Ein Vertrauter sagt: "Der macht das solange, wie
die Bremer ihn lieben."
Inzwischen hat er auch einen neuen Stellvertreter: Als
Perschau-Nachfolger holte die CDU nach wochenlanger Suche den
Frankfurter Ex-Bankier Peter Gloy-
stein (58). Der gebürtige Bremer, der im Vorstand der
Commerzbank saß und zuletzt die BHF-Bank führte, ist im
Senat bereits der vierte Seiteneinsteiger aus der Wirtschaft. Als
Diplom-Kaufmann mit Doktortitel sitzt er nicht nur im
Bundesvorstand des CDU-Wirtschaftsrates, sondern auch in den
Fördervereinen der Bayreuther Festspiele und der Frankfurter
Oper. Damit ist er laut seiner Partei eine "Idealbesetzung"
für das Doppelressort Wirtschaft und Kultur. Eckhard
Stengel
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